Künstlerisches „Upcycling": Wertschätzung statt Wegwerfen
Zu den natürlichen Eigenschaften des Holzes gehören u. a. seine warme, raue Oberfläche, seine individuelle Zeichnung und sein Duft. Wir fühlen, sehen und riechen das Holz, mit dem wir arbei-ten. Das macht für mich die Besonderheit des Werkstoffs aus. Wir nehmen Holz mit unseren Sinnen wahr. Ich denke, in der industriellen Holzproduktion tritt diese Wahrnehmung in den Hintergrund. Es ist nicht mehr so nah. Doch unsere sinnliche Wahrnehmung verbindet uns mit dem Wesen der Dinge. Es ist ein wenig vergleichbar mit der industriellen Lebensmittelproduktion: Industriell verarbeitetes Fleisch wird nicht mehr in gleicher Weise mit dem Tier in Verbindung gebracht, wie dies wäre, wenn man es hätte aufwachsen sehen und das Schlachten erfahren hätte.
Ihren Wert und auch ihre Wertschätzung erfahren die Dinge aber auch durch Einzigartigkeit, Aufwand in der Herstellung und Gestaltung, knappe Verfügbarkeit, eine individuelle Farb- oder Formgebung. Industrielle Produktion ist jedoch eher an Gleichförmigkeit in Form, Qualität und Güte interessiert. Die Spuren individueller Bearbeitung in Handarbeit sind nicht gewünscht.
Ja, denn jedes Stück ist durch ein gleiches anderes ersetzbar. Ersatzkauf wird zumeist preiswerter als eine Reparatur. Es wird weniger Aufwand für die Pflege betrieben und stattdessen weggeworfen und neu gekauft. Dies ist allerdings ein allgemeines Phänomen unserer Zeit. Die Natur folgt anderen Regeln. Ist ein Baum abgeholzt, braucht es Jahre, bis ein neuer nachgewachsen ist. Die Forstwirtschaft hat schon sehr früh aus diesem Wissen heraus den Begriff der Nachhaltigkeit entwickelt.
Eine erste offizielle Definition lieferte 1987 der Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future, auch bekannt als „Brundtland-Bericht“. Er sieht es als eine Aufgabe der Bildung Wertschätzung und Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft zu vermitteln: “Sustainable development requires changes in values and attitudes towards environment and development - indeed, towards society and work at home, on farms, and in factories. The world's religions could help provide direction and motivation in forming new values that would stress individual and joint responsibility towards the environment and towards nurturing harmony between humanity and environment.” Basis für nachhaltiges Handeln sind unsere Werte wie die Achtung vor dem Leben und der Natur. Eine enge emotionale, sinnliche oder haptische Beziehung zum produzierten Einzelstück wird seiner Wertschätzung förderlicher sein, als eine maschinelle, uniforme Produktion.
Wie bereits ausgeführt, ist Holz als natürlicher Werkstoff mit den Sinnen erfahrbar. Den Stamm der Bäume zu umarmen ihre unebene Rinde zu spüren, berührt. Sie vermitteln uns Gefühle der Beständigkeit, des Schutzes, des Vertrauens und der Geborgenheit wie sie in zahlreichen Gedichten und Liedern zum Ausdruck kommen. „Alt wie ein Baum“ wollten die Puhdys werden, und auch Johann Wolfgang von Goethe kann sich bereits im Jahr 1815 der Wirkung des Ginkgo Baumes nicht entziehen und verfasste das Gedicht „Gingo Bilboa“. Er widmete es seiner Liebe Marianne von Willemer, veröffentlicht im West—östlichen Divan. „Dieses Baum’s Blatt, der von Osten Meinem Garten anvertraut, Giebt geheimen Sinn zu kosten, Wie’s den Wissenden erbaut…“
Wir fühlen uns stark und „könnten Bäume ausreißen“, wünschen uns für unsere Kinder „Wurzeln und Flügel“, „…gehen in den Wald Bäume Umarmen!“. Verliebte ritzen ihre Namen in Baumrinde – für die Ewigkeit. Bäume haben auch in unserer Sprache ihren Platz eingenommen, wenn wir Gefühle ausdrücken möchten. Holz ist insofern längst nicht nur ein nachwachsender Rohstoff, dessen wertvolle Eigenschaften im Hausbau genutzt werden und z. B. das Raumklima positiv beeinflussen. Sie sind manchmal Tröster unserer Kindheit und geduldige Zuhörer, Bäumen werden Geheimnisse anvertraut und sie begleiten uns oft über mehrere Generationen hinweg. Unsere Beziehung zum duftenden, warmen Holz lässt es uns Wert schätzen, wo sich der Kreis zur Nachhaltigkeit wiederum schließt. Holz bietet so gesehen Möglichkeiten, die über die Nutzung als Bau-, Werk- und Brennstoff weit hinausgehen.
Ich beziehe meine Holzplatten gern aus der Resteecke im Holzzuschnitt in den Baumärkten. Die dort abfallenden rohen Reststücke sind aus verschiedenen Gründen für meine künstlerische Arbeit besonders interessant. Zum einen folgen die Motive meiner Bilder mit Fantasie der Maserung im Holz. Es ist ein wenig vergleichbar mit Wolkenlesen, allerdings mit Augen, Hand und Nase. Ich muss die Oberfläche meist erst berühren, bevor sich das Bild zeigt. Die Maserung einer ungenormten Holzplatte ist individuell, weil es sich um ein beliebiges Teilstück einer Platte handelt. Aststellen, sonst als Fehler gesehen, bieten sich als Augen an. Es ist ein befriedigendes Gefühl, dem als minderwertige Ware angebotenen Restholz zu Einzigartigkeit und Wert zu verhelfen durch künstlerisches „Upcycling" - Wertschätzung statt Wegwerfen.
Das ist eine nicht ganz einfach zu beantworten. Wenn ich zurückblicke, habe ich mit den ersten Arbeiten auf Holz vor ca. neun Jahren begonnen. Wie viele Künstlerinnen und Künstler, habe auch ich das Holz zunächst als starren Malgrund genutzt, anstelle der flexibleren Leinwand. Ich habe mit Acrylfarben, Kohle und weiteren Materialen auf Holz gearbeitet. Dabei wurde die Holzoberfläche völlig verdeckt.
Gerade diese individuelle Oberfläche macht Holz gegenüber Papier oder Leinwand besonders. Die Maserung zeigte mir in Betrachtung und Berührung immer wieder neue Motive. So entstand während der Arbeit ein interaktiver Prozess zwischen Holz und Künstlerin, getragen von dem Wunsch, eine Geschichte sichtbar werden zu lassen und gleichsam die durchziehenden Gedanken einzufangen. Ich wollte daher unbedingt diese Einzigartigkeit der Maserung im Kunstwerk erhalten und den Entstehungsprozess sichtbar werden lassen. Dies führte mich letztlich dazu, die Motive mit Graphitstiften – der altmeisterlichen Technik folgend – herauszuarbeiten, so dass das eigentliche Bild zunächst monochrom entsteht. Pudrige Pastellkreide verfügt über die Eigenschaft, Holzmaserung nicht abzudecken, sondern diese vielmehr zu verstärken, je intensiver und dunkler die Farbgebung ist. Die Farbe reibe ich mit den Fingerkuppen vorsichtig in die Holzoberfläche ein. Dies führt zwar regelmäßig dazu, dass das Entsperren des Mobiltelefons mit Fingerabdruck nach Stunden des Farbauftrags für mehrere Tage ausscheidet, doch das Ergebnis ist es wert. Jedes Kunstwerk wird so zu einem nicht reproduzierbaren nahezu fälschungssicheren Unikat. Die Wirkung des Originals, seine Ausstrahlung des Besonderen, lässt sich nicht reproduzieren.
Besonders faszinierend ist das Fantasievolle und fast schon Meditative des Spiels mit den Linien im Holz. Ich glaube, das folgende Beispiel beschreibt den interaktiven Prozess sehr gut. Vor einer Weile bat mich ein Musiker, den rohen Holzkorpus einer nach seinen Vorgaben gefertigten E-Gitarre in meiner Technik zu gestalten. Seine einzige Vorgabe war die Farbe – grün sollte sie werden und das Motiv zur Musik passen. Er wohnt in Polen, und ich wollte im aufgrund seiner Fotos der Holzoberfläche des Korpus verschiedene Entwürfe vorbereitend zusenden. Die Entwürfe habe ich gefertigt, doch es war schwierig, denn sie waren allesamt nicht passend. Dann aber brachte er mir den Rohling des Korpus zur Bearbeitung. Ich konnte mit der Hand darüberstreichen und wusste gleich, wie das Motiv aussehen würde. Ich habe die Maserung hervorgehoben und unterschiedlich stark akzentuiert. Die Linien und Bänder zogen sich wie Höhen, Tiefen und Stakkatos in der Musik über den Holzkorpus und es entstand ein Musikinstrument als Unikat. Wir stehen noch immer im Kontakt, über Landesgrenzen hinweg.
Beruflich habe ich mich mehr als zehn Jahre mit Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung befasst, dachte ich. Gelernt habe ich, dass man verinnerlichte nachhaltige Werte nicht an der Bürotür ablegt. Sie wirken in alle Lebensbereiche hinein. Der Bildung kommt für eine nachhaltige Entwicklung deshalb auch eine Schlüsselrolle zu. Insofern ist es selbstredend, dass sich Nach-haltigkeit auch im künstlerischen Wirken spiegelt. Bei mir zeigt es sich im Werkstoff Holz, der Technik und den Motiven. Mensch und Natur oder Kommunikation sind häufige Themen in meinen Arbeiten. Die Verwendung von Abfallware kommt der Ressourcenschonung entgegen.
Triebfeder des Künstlers ist der Wunsch nach Perfektion seiner Arbeit und der Drang, etwas Besonderes zu schaffen oder seine innewohnende Botschaft noch besser vermitteln zu können. Dies gilt für das verwendete Material, Farben und Technik gleichermaßen. Sein Motor ist die Kreativität. Diese sucht Anregung in Begegnungen mit anderen Menschen, Kulturen, Erzählungen etc. Die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Erfahrungen, anderen Kulturen ebenso wie gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen führt zu Kreativität und diese wiederum ist Basis für Innovationen. So wird in der Kunst z. B. digitalen Entwicklungen mit Neugier begegnet und als Chance für das Erschließen neuer Möglichkeiten verstanden. Die bildende Kunst erschließt sich die Arbeit mit neuen Medien, nutzt sie jedoch ebenso zur Perfektionierung geübter Techniken. Dabei ist der Anspruch z. B. nicht, den Pinsel durch das Tablet völlig abzulösen. Vielmehr finden sich ausschließlich digital „gemalte“ Bilder neben solchen, die vielleicht digital komponiert und dann mit Stift und Pinsel auf die Leinwand gemalt wurden oder weiterhin völlig ohne digitale Hilfsmittel auskommen. Die Bildhauerei nutzt die neuen Möglichkeiten, die sich durch neue Materialien oder vielleicht auch den 3D-Druck bieten, ohne dass die Arbeit mit dem Meißel deshalb völlig in Frage gestellt würde. Ich denke, diese Aufgeschlossenheit für Veränderungen, ohne alles Bisherige gleich blind infrage zu stellen, kann ein wichtiger Aspekt für Wirtschaftsgestaltung im Zeitalter der Digitalisierung sein.
Menschliche Kreativität lässt sich zumindest bislang nicht gleichermaßen durch Künstliche Intelligenz ersetzen. Viele Tätigkeiten werden „Maschinen“ übernehmen können, doch können sie auch innovativ sein? Kreativität braucht Kommunikation. Viele Unternehmen haben dies bereits erkannt und innerbetrieblich hierfür Möglichkeiten auch jenseits der Sitzungsräume und des Managements geschaffen. Die Bedeutung des realen persönlichen Austauschs, der zwischenmenschlichen Interaktion, der nicht nur das Teambuilding unterstützt, sondern auch Kreativität und Innovationen fördert, sollte in Zeiten der räumlichen Entkopplung der Arbeit vom Unternehmen nicht unterschätzt werden. Es offenbart sich für die Zukunft ein schwieriger Spagat zwischen virtuellen Möglichkeiten und dem Bedürfnis nach realem Austausch. Die in der Vergangenheit vielfach glorifizierten digitalen Möglichkeiten der Arbeit und der Kommunikation haben in Zeiten des pandemiebedingten Homeoffice erste Kratzer bekommen.
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Helga Berg: Auszubildende engagieren sich für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. Fachkräfte von morgen handeln heute bereits nachhaltig. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Johann Wolfgang von Goethe, Westoestlicher Divan, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München, Sonderausgabe 2006, 5. Auflage 2018, S. 129