Ausschnitt des Buchcovers „Walter Chandoha. Cats. Photographs 1942–2018“ bei TASCHEN - Walter Chandoha/TASCHEN

Kuschelige Zeiten: Warum uns Katzen erwärmen

Weltweit leben etwa mehr als 600 Millionen Katzen in menschlicher Gesellschaft. In Deutschland sollen es 13 Millionen sein. Im Ranking der meist verbreiteten Haustiere stehen Katzen auf Platz 1. Hauskatzen (Felis catus) galten den alten Ägyptern als heilig. Doch ihre Vergötterung hat inzwischen noch größere Ausmaße angenommen. Das Internet ist ihr „virtuelles Pantheon, wo die tägliche Verehrung stattfindet“, schreibt Susan Michals, Autorin des Buches „Cats. Photographs 1942–2018“ sowie die Gründerin von CatCon und der Cat Art Show, den beiden größten kulturellen Veranstaltungen der Welt zum Thema Katzen. Zwei Millionen Katzenvideos finden sich geschätzt auf YouTube. Hashtags wie #purrfect und #catsofinstagram dominieren, und ein Begriff wie „caturday“ hat es bereits in die Alltagssprache geschafft. Von Los Angeles bis London gibt es Conventions, wo alles, was mit Katzen zu tun hat, und Popkultur verschmelzen.

Mit Namen wie Lil BUB, Hamilton the Hipster Cat und White Coffee Cat stehen Katzen heute als Influencer im Fokus, bewerben Produkte und generieren Millionen von Followern in den sozialen Medien. Am 19. August 2018 feierte Lagerfelds Birma-Katze Choupette (zu Deutsch: die Süße) ihren siebten Geburtstag und scherzte damals auf Instagram (über 130-tausend Follower): „Ich bin vielleicht sieben geworden, aber ich sehe keinen Tag älter aus als fünf!“ Lagerfeld bezeichnete ihr Verhalten einmal als "witzig - und dann doch zum Heulen." Choupette Lagerfeld avancierte zur Pariser Exzentrikerin. Mit ihrem Herrchen aß sie gern zu Abend. Dabei bekam sie ihr Essen, das von einem eigenen Koch zubereitet wurde, auf einem Silberteller serviert – ganz nach dem Motto von Kurt Tucholsky: „Hunde haben Herrchen, Katzen haben Personal“.

Die Katze verdiente in einem Jahr mehr als ein Durchschnittsarbeitnehmer in seinem ganzen Leben. Mit Werbeverträgen und Kollektionen hat sie über drei Millionen Euro verdient. "Sie hat ihr eigenes kleines Vermögen.", sagte Karl Lagerfeld einmal. In einem Pariser Studio hat er 2015 die Streifzüge von Choupette durch den neuen Opel Corsa begleitet. Choupette war bereits die zweite Katze mit einer Hauptrolle in der Kommunikation rund um das Auto. In der Werbung für die erste Generation des Klassikers (1982-1993) jagte Kater Tom dem wendigen Kleinwagen mit Maus Jerry am Lenkrad hinterher.

„Die Ausdrucksformen von Hunden sind ziemlich beschränkt“, meinte der Fotograf Walter Chandoha. „Sie nehmen keine wirklich aufregenden Posen ein, wie eine Katze das tut.“ Mit dieser Ansicht war er nicht allein. Schon Erich Kästner schrieb:

„Die Katze springt nicht durch Reifen und denkt

nicht im Traum daran, uns zum Gefallen auf den

Hinterbeinen herumzustelzen.“

Hund und Katze waren für Erich Kästner reich an Tugenden und Talenten, „doch der Hund hat ein Talent zuviel: Er lässt sich dressieren. Und er hat eine Tugend zu wenig: Er ist ein Tier ohne Geheimnisse.“ Auch Kästner liebte Katzen. Deine Haustiere benannte er nach Film-Diven und Sexsymbolen wie Anna Magnani, Gina Lollobrigida oder Pola Negri. Bei offiziellen Fototerminen achtete er immer darauf, dass eine seiner Katzen auf einem Bild zu sehen ist. Das Literaturmuseum der Moderne des Deutschen Literaturarchivs Marbach lud im September 2017 zum Besuch bei den Familien berühmter Schriftsteller ein. Neben Kästners "Ahnenpass" zum Nachweis "arischer" Herkunft in der NS-Zeit hing dort auch der Stammbaum seiner Angora-Katze namens "Madame Nitouchev Borutta" - mit Stempel attestiert vom "Zuchtbuchamt Nürnberg" im August 1954.

Der US-amerikanische Dichter und Schriftsteller Charles Bukowski (1920-1994) notiert am 24. August 1992, dass Katzen 20 Stunden am Tag schlafen: „Kein Wunder, daß sie besser aussehen als ich.“ Für ihn stand außer Zweifel, dass ihre Gesellschaft der menschlichen vorzuziehen ist: „Um mich zu beruhigen, sehe ich gern meinen Katzen zu. Die geben mir ein gutes Gefühl. Aber steckt mich nicht in ein Zimmer voll Mitmenschen. Bloß nicht. Besonders an Feiertagen. Bitte nicht.“ (13. September 1991)

Die Fotografie faszinierte Walter Chandoha bereits in den späten 1930er- Jahren, als er Schüler an der Bayonne High School in New Jersey war. Er las alles darüber und probierte mit der Kodak-Balgenkamera seiner Familie aus, was er sich selbst beigebracht hatte. Er trat ich dem Lens Club bei, dessen Mitglieder und Gastredner ihm dieses Mediums professionell näherbrachten. Ein Jahr nach seinem Highschoolabschluss erhielt er einen Job in New York City als Lehrling bei Leon de Vos, einem der besten Werbefotografen seiner Zeit. Er erhielt zwar einen geringen Lohn, wurde aber durch die Entdeckung der Wissenschaft und Magie hinter der Beleuchtung für Porträts, Stillleben und Außenaufnahmen entschädigt. Er begriff, „dass starkes Hintergrundlicht ein gutes Bild sogar noch besser und eindringlicher machen kann.“ Später wurde es zu einem seiner fotografischen Markenzeichen.

Kurze Zeit arbeitete er als Porträtfotograf in Studios in New Orleans und Newark, dann wurde er nach Pearl Harbor zur U.S. Army eingezogen. Aufgrund seines fotografischen Könnens wurde er angestellter Pressefotograf einer GI-Zeitung in Fort Dix, New Jersey. Später wurde er Kriegsfotograf bei der Fernmeldetruppe im Pazifik. „Im Krieg lernte ich schnell, wie wichtig es ist, rasch und entschlossen zu reagieren, findig zu sein und mit vorhandener Ausrüstung sowie behelfsmäßigen Werkzeugen zu improvisieren, um eine Aufnahme hinzubekommen“, schrieb Walter Chandoha kurz vor seinem Tod am 11. Januar 2019 im Alter von 98 Jahren in seinem Vorwort.

1946 kehrte er nach Hause zurück und schrieb sich an der New York University ein, um Marketing zu studieren. Auf dem Heimweg von einer Lehrveranstaltung fand er in einer Winternacht im Jahre 1949 eine streunende Katze im Schnee und nahm sie als Geschenk für seine Frau Maria mit nach Hause. Auf die gute Behandlung reagierte das Tier mit Zutraulichkeit. Daheim richtete Chandoha seine Kamera auf seinen neuen Freund „Loco“ (der Verrückte), denn das Tier raste jeden Abend um elf Uhr durch die Dreizimmerwohnung in Astoria, Queens, von Wand zu Wand und erschreckte sich, wenn es sich selbst in einem Spiegel erblickte.

Der Fotograf war von den Bildern so angetan, dass er begann, Katzen aus einem örtlichen Tierheim zu fotografieren. Er schickte die Bilder an Zeitungen, Magazine und zu Fotowettbewerben. Bald kamen Zeitschriften wie Look und Women’s Home Companion auf ihn zu. Das war der Grundstein seiner über 70-jährigen Karriere. In den 1950-er Jahren ging es darum, die Bedürfnisse der wachsenden Generation der Babyboomer zu erfüllen. Tiere waren ein integraler Bestandteil des Familienlebens. Deshalb integrierten Werbeschaffende die Tiere in ihre Kampagnen - und schon bald stand die Madison Avenue bei Chandoha Schlange. Seine Werke schmückten über 300 Zeitschriftencover, Hunderte Packungen Tiernahrung und Tausende Werbeanzeigen, Plakaten und T‑Shirts. Er veröffentlichte 33 Bücher (davon 14 über Katzen und andere Tiere), Glückwunschkarten, Kalender und Puzzles. Chandoha leistete auch einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der LOLcats (Cat Memes). Seine Bildersammlung erinnert uns daran, den Blick für das Unbezähmbare, Witzige und Melancholische nicht zu verlieren. Katzen erinnern uns daran.

Walter Chandoha. Cats. Photographs 1942–2018. Walter Chandoha, Susan Michals, Reuel Golden (Deutsch, Englisch, Französisch). TASCHEN Verlag, Köln 2019.

Karl Lagerfeld: Parallele Gegensätze: Fotografie. Mode. Buchkunst. Gerhard Steidl Verlag, Göttingen 2014.

Karl Lagerfeld: Choupette. Gerhard Steidl Verlag, Göttingen 2015.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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