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Lernkultur der Zukunft - so einfach kann der Weg sein

Die letzten 12 Monate haben die Gesellschaft ganz schön „durchgepflügt“. Corona, die Politik und das gesellschaftliche Verhalten haben sich wie ein Pflug durch die etablierten Strukturen der Unternehmen gepflügt. Homeoffice wurde nach jahrelangem Stillstand plötzlich möglich, Führungskräfte lernen das vertrauensvolle Führen aus der Distanz. Nur die Lernkultur liegt auf dem frisch gepflügten Unternehmensacker wie ein trotziger Stein. Wie ich darauf komme? Das erkläre ich gerne.

Der Lockdown der Lernkultur

In den letzten 12 Monaten sind ca. 75% meines sonstigen Seminargeschäftes durch Corona verschoben oder aufgehoben worden. Da bleibt viel Zeit, sich Ideen, Konzepten und neuen Wegen zu öffnen. Selbstverständlich stand besonders am Anfang der intensive Kontakt zu meinen Kunden und den Teilnehmer:innen im Fokus. Ich habe Bedürfnisse, Sorgen und Ängste erfragt, um besser zu verstehen, wie Corona den Status quo der Lernkultur trifft. Die Erkenntnis: In vielen Unternehmen wurden die klassischen Weiterbildungen von 100% auf magere 5-10% reduziert. Die Gründe sind logisch. Wirtschaftliche Unsicherheit und gesundheitliche Bedenken. Bei diesen Rahmenbedingungen ist es total nachvollziehbar, dass beim Training erst mal auf die Notbremse getreten wird. Rein in den Lockdown der Lernkultur.

Wie lange hält der Lockdown der Lernkultur noch an?

Der Lockdown im Bereich der Seminare und Weiterbildungen wurde von den Teilnehmer:innen kurzfristig sehr positiv wahrgenommen. Sie waren dankbar, dass sie nicht mit anderen Teilnehmer:innen im gleichen Seminarraum sitzen mussten. Damit haben viele das Eintreffen von Corona in Deutschland verbunden. Auch wenn Webasto vorbildlich mit dem Fall umgegangen ist, blieben die Sorgen um die eigene Gesundheit.

Ein paar Monate später hat sich die Belegschaft an die „neue Normalität“ der Arbeit von daheim gewöhnt. Die Lernkurve bei der Arbeits- und Teamkultur war rasant. In wenigen Monaten sind Mitarbeiter:innen von 0 auf 100 gekommen. Was für ein Erfolg. Aber da war doch noch was!? Ach ja, der Lockdown bei den Weiterbildungen.

Wie haben Personalabteilungen und Trainer den Lockdown genutzt?

Zugegeben, in vielen Personalabteilungen herrschte durch Kurzarbeit und der Einführung des Homeoffice genug Arbeit. Es galt, den akuten Lernbedarf für mobile Arbeit zu schließen. In diesem Rahmen sind interaktive Formate pragmatisch genutzt worden und erste Berührungsängste wurden abgebaut. Gott sei Dank, haben sich auch die Trainer an Zoom & Co. herangetraut und im eigenen Wohnzimmer auf dem Flipchart Inhalte präsentiert. Für eine ad hoc Antwort auf den ersten Lockdown mag dieser pragmatische Weg noch vertretbar sein. Trotzdem bin ich der Meinung, dass damit alter Wein in neuen Schläuchen verkauft wird, wenn das digitale Trainings sein sollen.

Mit Blick auf die Zukunft der Lernkultur frage ich mich, ob diese „möchtergern“ Innovationen ein echter Schritt in die Zukunft der Lernkultur sind.. oder nur ein getriebenes Stolpern bei den Trainern und in der Personalentwicklung.

Warum sollte sich die Lernkultur ändern?

Wenn es die Zeit zulässt, ist es durchaus sinnvoll, Veränderungen zu hinterfragen. Nur weil es neue, angesagte technische Möglichkeiten gibt, muss man diese nicht Hals über Kopf (und ohne Struktur) einsetzen. Mit dieser Erklärung hatten Personalentwickler und Trainer (bis zum Januar 2020) für den Erhalt der eingesetzten Methoden plädiert.

Nachdem die Pandemie allen Beteiligten eine Veränderung der Lernkultur (zumindest kurzfristig) aufgezwungen hat, ist jetzt die Frage: Was lernen wir aus der gezwungenen Veränderung und wie nutzen wir diese Erfahrungen für die Lernkultur der Zukunft?

Vor- und Nachteile der bisherigen Präsenz-Lernkultur

Langeweile im Seminar - ©Product School/Unsplash
Langeweile im Seminar - ©Product School/Unsplash

Beginnen wir mit einem fast schon melancholischen Rückblick auf die Zeit, in der Präsenzseminare jederzeit möglich waren. Damals wussten wir noch nicht, was auf uns zukommen wird. Deshalb wurde „damals“ auch gerne über die Nachteile der Präsenz-Seminare gemeckert:

-großer Zeitaufwand für die Teilnehmer:innen (Spagat zum Tagesgeschäft)

-Unterschiedlicher Kenntnisstand der Teilnehmer:innen (Über- oder Unterforderung einiger Teilnehmer:innen)

-(zu) viel Input und (zu) wenig Zeit, dass Wissen in der Praxis (nicht nur in Übungen) auszuprobieren

-wenig selbstbestimmtes / bedarfsgerechtes Lernen, stattdessen Lernen nach Konzept

-Input vom Trainer ist nur im Seminar möglich, darüber hinaus müssen die Teilnehmer:innen den Input aus den Unterlagen ableiten.

Demgegenüber stehen natürlich auch Vorteile, wie z.B.

-Die Pause aus dem Alltag wirkt erholsam

-Der Austausch in der Gruppe führt zu neuen Blickwinkeln und Ideen

-Erfahrungsaustausch bereichert die Inhalte

-Positive Gruppendynamik motiviert zu Veränderungen

In Summe lässt sich dieses Konzept positiv bewerten. Deshalb bestand ja auch niemals ein echter Bedarf, hier radikale Veränderungen vorzunehmen. Gleichzeitig spricht der relativ geringe Transfererfolg (je nach Untersuchung zwischen 7-20%) dafür, das in dieser Lernmethode Luft nach oben ist.

Wie kann eine Lernkultur der Zukunft aussehen?

„Never change a winning team!“ Ist ein weitverbreiteter Ansatz, der zum Verweilen in der Komfortzone einlädt. Gleichzeitig muss diese Aussage ja nicht zu einem „Ja/Nein-Denken“ führen. Wie wäre es, wenn wir den Weg zur Lernkultur der Zukunft damit beginnen, die positiven Dinge aus der bisherigen Lernkultur beibehalten zu wollen. Darauf aufbauend können Lösungen für die Defizite ergänzt werden.

Konkret bedeutet das, den menschlichen Faktor (Austausch in der Gruppe, neue Blickwinkel + Auszeit vom Tagesgeschäft) mit einem neuen organisatorischen Faktor (Wann, wo, was) gelernt werden soll zu kombinieren. Also ein hybrides Lernmodell, wie in einem Hybrid-Auto.

Wie sieht ein hybrides Lernmodell in der Praxis aus?

Hybride Lernmodelle kombinieren die Online- und Offline-Welt. - Fatemeh Rezvani/Unsplash
Hybride Lernmodelle kombinieren die Online- und Offline-Welt. - Fatemeh Rezvani/Unsplash

Das Auto macht es uns vor: Je nach Situation wird der passende Antrieb gewählt. Auf die Lernkultur übertragen bedeutet das meiner Meinung nach, dass digitale Formate dort sinnvoll sind, wo es um Geschwindigkeit, Skalierbarkeit und Individualität geht. Präsenzformate hingegen sind dort gefragt, wo es um den Austausch, das Team und die Gruppendynamik geht.

Hier ein Praxisbeispiel aus der Entwicklung von jungen Führungskräften

-HR stellt den Teilnehmer:innen das neue Lernkonzept vor (Online, z.B. Zoom / Teams)

-Kick-Off zusammen mit dem Trainer. Teilnehmer:innen lernen sich persönlich kennen, das Teambuilding startet. Je nach eigenem Bedarf und Arbeitsschwerpunkten werden „Fokus-Gruppen“ gebildet.

-Zu jedem Themenblock startet eine Selbstlernphase, in der sich die Teilnehmer:innen allein und „on Demand“ die Inhalte per Video + Übungen aneignen. (Online, Video-on-Demand)

Hier zwei Praxisbeispiele von meinen Kursen „Leadership Basics - Was gute Chefs heute wissen müssen“ oder „Get things done - das 1x1 des Zeit- und Selbstmanagement

-Nach der ersten Selbstlernphase gibt es einen kurzen Online-FAQ-Workshop für offene Fragen. (Online, z.B. Zoom / Teams)

-Nach dem FAQ-Workshop starten die Teilnehmer:innen mit der ersten Umsetzungsphase, in der sie erste eigene Erfahrungen sammeln. Diese Erfahrungen sammeln sie und bringen sie mit in die nächste Phase.

-In Präsenz folgt die intensive Arbeit mit den Inhalten. Die eingebrachten Erfahrungen der Teilnehmer:innen werden aufgegriffen und weiter ausgebaut. Alle sind auf den gleichen inhaltlichen Niveau angekommen. Fallbeispiele basieren auf echten Praxiserfahrungen der Teilnehmer:innen:innen. Der Austausch in der Gruppe und mit dem Trainer festigt die Inhalte und macht Mut für den weiteren Einsatz. Im Team werden gemeinsame und individuelle Ziele für den nächsten Schritt formuliert. (Tracking der Ziele online möglich, z.B. per Everskill)

-Nach dem Präsenz-Training folgt die nächste Arbeitsphase der Teilnehmer:innen. Sie arbeiten an ihren gemeinsamen (und eigenen) Umsetzungszielen. Für Fragen zu den Methoden können sie weiterhin die Video-on-Demand Inhalte jederzeit und überall nutzen.

-Nach der nächsten Arbeitsphase folgen 1-2 weitere Online-Follow-up Veranstaltungen, deren Themenschwerpunkte von der Gruppe bestimmt werden. Das Team entscheidet online, welche Agendapunkte im Rahmen der 2-3 stündigen Online-Veranstaltung bearbeitet werden. (Online, z.B. Zoom / Teams)

-Darüber hinaus gibt es für die gesamte Gruppe ein verfügbares Coaching-Budget, dass für Einzelcoachings mit individuellen Fragen genutzt werden kann.

In diesem Entwurf sind selbstverständlich noch keine individuellen Bedürfnisse und Wünsche des Unternehmens und der Teilnehmer enthalten. Auch ein hybrides Lernkonzept muss im Detail immer wieder angepasst werden.

Liebe Unternehmen, habt den Mut, einen echten Schritt in Richtung Lernkultur der Zukunft zu gehen!

Alte und durchaus erfolgreiche Gewohnheiten aufzugeben, ist hart. Bei der Lernkultur der Zukunft müssen die alten Zöpfe aber nicht komplett abgeschnitten werden. Durch den Einsatz von hybriden Lernmodellen lassen sich die „alten Zöpfe“ prima mit neuen Ansätzen und Methoden zu einer sehr attraktiven Kombination verflechten. Sprechen Sie mich dazu gerne an. Ich freue mich, mit Ihnen gemeinsam den Weg zu einer modernen Lernkultur zu gehen.

Mit sonnigen Grüßen

Henryk Lüderitz

Henryk Lüderitz schreibt über Young Professionals, junge Führungskräfte, Leadership, Talente & High Potentials

Die Herausforderungen von Young Professionals kenne ich aus eigenerer Erfahrung: Bereits mit Anfang 20 war ich bei Vodafone in einem Talentprogramm. Es folgten Positionen als Projektleiter und Führungskraft. Nach 12 Jahren im Konzern arbeite ich jetzt als Trainer und Coach für Young Professionals.

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