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Lockdown und Nachhaltigkeit: Warum wir den Moment der angehaltenen Welt nutzen sollten

„Wir sollten die Chance der Stunde, den besonderen Moment der angehaltenen Welt, nutzen, um die Gesellschaft auf Nachhaltigkeit hin umzusteuern“, schreibt die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Claudia Kemfert in ihrem Zwischenruf „Das Problem des ungezügelten Wachstums“. Das Wirtschaftswachstum muss vom fossilen Energieverbrauch entkoppelt und sollte nicht als Maßstab für Wohlstand definiert werden. „Statt vor der ,Tagesschau‘ Börsenkurse zu zeigen, sollten wir lieber die Indikatoren der Nachhaltigkeit unseres Planeten erfahren: Ressourcenverbrauch, die Sauberkeit der Luft oder den Anteil erneuerbarer Energien.“

Ihr Plädoyer ist Teil einer von Heiko Kleve angeregten und moderierten Debatte zwischen Steffen Roth und Fritz B. Simon um die Coronapandemie und ihre Folgen, um den Lockdown und das Anhalten der Welt. Sie wurde von Ende April bis Ende Juni 2020 live im Carl-Auer Magazin auf der Webseite des Carl-Auer Verlags geführt. Zweimal wöchentlich erschienen aktuelle, aufeinander Bezug nehmende Beiträge von Protagonisten und prominenten Zwischenrufern im Netz. Es entstand eine ausführliche und innovative Debatte, die nun als Publikation vorliegt, denn: „Was einen Wert besitzt, der verspricht über längere Zeit zu halten, hat es verdient, ‚verbucht‘ zu werden“, schreibt Matthias Ohler, Geschäftsleiter des Carl-Auer Verlages, in seinem Vorwort. Dies ist zugleich als eine Liebeserklärung an das Buch und die Nachhaltigkeit zu lesen: „Wir haben uns entschieden, dieses Ereignis nicht der Fluidität und potenziellen Demenz des Internets zu überlassen, sondern es – im doppelten Sinne des Wortes – haltbar zu machen.“

Im Kontext der beiden Jahrhundertthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung ist diese Sammlung eine wichtige Ergänzung, weil der Blick darauf aus interdisziplinärer Perspektive erfolgt und auch Unternehmen davon lernen können. Sie können die Verbindung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung als Chance nutzen, indem sie Prozesse in sinnvollen Bereichen digitalisieren und Kernkompetenzen in neue Geschäftsmodelle und Marktbereiche integrieren – all dies muss allerdings auf eine unternehmerische Nachhaltigkeitsstrategie abgestimmt sein. Hinzu kommt, dass der enormen Geschwindigkeit, mit der sich Märkte und Produktionsweisen verändern, auch die Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeiter angepasst werden müssen. Was sie heute brauchen, sind vor allem vernetzte Fähigkeiten, denn altes Wissen und gewohnte Denkstrukturen können sich bei aktuellen Problemen und Nachhaltigkeitsanforderungen als falsch bzw. hinderlich erweisen und neue Lösungen blockieren. Wo passende Digitalisierungsstrategien, die nötige Expertise, finanzielle und personelle Ressourcen fehlen, können Digitalisierungsprojekte nicht nachhaltig umgesetzt werden. Ein wesentlicher Fehler, der ebenso im Debattenbuch aufgegriffen wird, ist es auch, wenn sich Unternehmen nur auf technologische Aspekte des digitalen Wandels konzentrieren und diese eher untergeordnet mit Nachhaltigkeitsindikatoren zusammenbringen.

Die Digitalisierungsstrategie muss in die Unternehmensstrategie eingebettet sein. Dass das erfolgreich sein kann, zeigt sich beim mittelständischen Unternehmen Mader in Leinfelden-Echterdingen: Hier sind und waren sich schon vor der Corona-pandemie alle bewusst: Wenn Digitalisierung einen nachhaltigen Erfolg für das Unternehmen bringen soll, ist die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit, der Unternehmenskultur essenziell. Deshalb wurde sie in mehreren Schritten weiterentwickelt und die Leistungsangebote um digitale Anwendungen ergänzt. Dazu gehört beispielsweise eine Leckage-App, die zunächst zur Optimierung des eigenen Dienstleistungsprozesses in einem abteilungsübergreifenden Team entwickelt wurde. 2018 wurde die LOOXR GmbH gegründet, das Mader-Spin-off, in dem das gesamte „Softwaregeschäft“ gebündelt wird mit dem Ziel, den gesamten Druckluftprozess zu digitalisieren und damit maximale Transparenz, Versorgungssicherheit und Energieeffizienz im gesamten Druckluftsystem zu erreichen. Andere Unternehmen können davon beispielsweise lernen, dass es wichtig ist, dass - je nach Bedarf - baukastenähnliche Module in den Unternehmen zum Einsatz kommen sollten, die sich sukzessive erweitern lassen.

Dazu braucht es zunächst ein Bewusstsein für die Doppelrolle von Digital- und Nachhaltigkeitsstrategie: Nachhaltigkeitsziele müssen entlang der eigenen Digitalisierungsprozesse verankert werden, und das Unternehmen wird durch Digitalisierung auf seinem Weg zu einer agilen und an Nachhaltigkeit ausgerichteten Organisationsentwicklung unterstützt. Deshalb ist es wichtig, zunächst Verständnis für die nötige Anbindung an die Unternehmens- und/oder Nachhaltigkeitsstrategie zu schaffen und auf das eigene Unternehmen zu reflektieren. Das Anhalten der Welt im Lockdown hat das Bewusstsein dafür noch einmal geschärft.

Heiko Kleve, Steffen Roth, Fritz B. Simon: Lockdown: Das Anhalten der Welt. Debatte zur Domestizierung von Wirtschaft, Politik und Gesundheit. Mit einem Nachwort von Bernhard Pörksen und Zwischenrufen von Stefan Blankertz, Franz Hoegl, Michael Hutter, Claudia Kemfert, Günter Lierschof, Peter Pantuček-Eisenbacher, Birger P. Priddat, André Reichel sowie Antje Tschira. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg 2020.

CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2021.

CSR und Energiewirtschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage, Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2019.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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