Management ist tot! Lang lebe das Management.
Was machen die Unternehmen richtig, die ohne große Produktivitätseinbußen durch diese Pandemie gekommen sind? Sie haben Manager, die ihren Mitarbeitenden vertrauen.
COVID-19, Globalisierung, politisch unsichere Zeiten, Digitalisierung und die Notwendigkeit, unsere Umwelt zu schützen, zwingen Unternehmen dazu, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken. Gleichzeitig sind die Märkte transparenter geworden und über eine Vielzahl digitaler Kanäle besser zugänglich. Diese Voraussetzungen erfordern hochkompetente Manager·innen und einen Führungsstil, der die Zusammenarbeit über mehrere Disziplinen hinweg fördert. Ein Treiber modernen Arbeitens ist die Pandemie: Unternehmen änderten ihre Geschäftsmodelle innerhalb weniger Tage und schickten Mitarbeitende ohne massive Produktivitätseinbußen in ihr Home Office. Mein eigenes Beratungsunternehmen hat von 100 Prozent Vor-Ort-Beratung auf 95 Prozent Online-Beratung und -Schulung umgestellt – und unsere Kunden waren und sind zufrieden. Meiner Meinung nach gibt es eine Besonderheit, die die Unternehmen, die trotz Pandemie gut abgeschnitten haben, von denen unterscheidet, die es nicht geschafft haben: Die Manager:innen vertrau(t)en auf ihre Mitarbeitenden.
Traditionelle Manager·innen setzen auf die Verwaltung der Belegschaft
Die Aufgabe von Führung ist, Zusammenarbeit zu ermöglichen, eine Richtung vorzugeben und für Klarheit einer (gemeinsamen) Ausrichtung zu sorgen. Obwohl der Wandel längst da ist, verlangen viele Manager·innen aber noch immer von ihren Mitarbeitenden, mindestens drei Tage pro Woche in die Bürogebäude zurückzukehren.
So herrschen bei traditionellen Manager:innen diese Annahmen vor:
Sie glauben, dass sie die Entscheidungen für Menschen, Teams oder die Organisation treffen müssen.
Sie glauben, das heutige Geschäftsumfeld sei so komplex, dass man es mit den klassischen Managementparadigmen nicht kontrollieren oder steuern kann. Dennoch greifen sie auch zentralistische Ansätze zurück, was in den meisten Fällen kontraproduktiv ist.
Sie glauben, dass die Verwaltung von Menschen effektiver sei als die Förderung von ehrlicher und einfacher Kommunikation.
Moderne Manager·innen arbeiten agil
Im Gegensatz dazu betrachten moderne Management- und Führungskonzepte wie Scrum, Design Thinking, Lean Startup, Objective und Key Results Organisationen als ein Team von Teams. Sie schaffen Klarheit durch kontinuierliches Feedback, das in regelmäßigen Iterationen gegeben wird – egal ob es sich um Fakten, Daten, Produkte oder Teile von Produkten handelt. Um Führungskräfte bei der Gestaltung dieser Prozesse zu unterstützen, hat die agile Community Rahmenwerke entwickelt, die sofortigen Nutzen stiften: Agile Management-Frameworks ermöglichen Manager:innen, Teams zu führen, anstatt Einzelpersonen zu managen. Das Ziel ist, dass der oder die Einzelne in diesen Teams in die Lage versetzt wird, zum Gesamtziel des Unternehmens oder des Teams beizutragen, indem er oder sie selbst die besten Entscheidungen trifft und dabei um die Unterstützung von Teamkolleg·innen weiß. Die wahre Stärke der agilen Rahmenwerke liegt also darin, dass Scrum Master, Teamleiter·innen usw. gezwungen sind, sich aus vielen Entscheidungen herauszuhalten und stattdessen ein Umfeld zu schaffen, in dem die Teammitglieder ihre eigenen Fortschritte immer wieder überprüfen können – ein System, das auf Kommunikation basiert. Denn Manager·innen fördern und lenken diese Kommunikation innerhalb bestimmter Grenzen – und zwar nicht mehr und nicht weniger.
Manager:innen managen Teams, nicht Einzelpersonen
Nach all den Jahren des Kommandos und der Kontrolle durch Schule, Universität, Familie und Gesellschaft müssen die Menschen wieder lernen, sich selbst zu organisieren, Entscheidungen zu treffen und sich an Regeln und Einschränkungen zu halten, wenn es keine:n Manager·in gibt, der bzw. die das verlangt. Deshalb brauchen die meisten Organisationen eine Art "Teammanager·in" (Scrum Master, OKR Master, agiler Coach etc.), der den Teammitgliedern bei diesem Übergang hilft. In meinem Unternehmen haben wir zum Beispiel Teams, die aus agilen Coaches bestehen. Bei Eintritt in das Unternehmen ist ihnen oft noch nicht klar, dass
sie in Iterationen arbeiten müssen,
dass ihnen niemand sagt, was sie zu tun haben,
dass niemand sonst Karriereentscheidungen für sie trifft,
dass das Team selbst über Gehaltserhöhungen entscheidet und
dass sie sich die Projekte aussuchen, an denen sie mitarbeiten wollen.
Dafür notwendig ist eine Struktur, die Zusammenarbeit fördert und dabei unterstützt, sich für ein gemeinsames Ziel einzusetzen. Derzeit experimentieren wir mit einem Rahmen für die Entscheidungsfindung namens Soziokratie. Die Grundidee ist, dass Teams eine Struktur schaffen, in der sie auf der Grundlage von Zustimmung entscheiden können. Warum brauchen wir bei uns (noch) diesen Rahmen? Im Unternehmen gibt es eine einfache, grundlegende Regel: Entscheide, was du für möglich hältst. Als das Unternehmen wuchs, erwies sich dieser Grundsatz für die meisten Menschen als zu freiheitlich. Er führte zu Verwirrung und Angst statt zu Sicherheit. Also suchten wir nach einem Rahmen, der bei der Entscheidungsfindung ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Meine Aufgabe war es, das Problem zu erkennen und darauf zu reagieren. Ich leitete den Prozess ein, dass wir uns als Unternehmen mit Soziokratie als strukturierendes Element beschäftigen. Ein Prozessmodell, das formaler ist, und gleichzeitig doch zeigt, dass ich den Entscheidungen meiner Kollegi·innen vertraue. Sie haben sich dafür entschieden, es auszuprobieren, und sie setzen diesen Prozess in ihrem eigenen Tempo um. Ich sage den Einzelnen nicht, wie sie es machen sollen, sondern wir arbeiten mit der gesamten Organisation zusammen. So kommt das häufigste Problem klassischer Organisationen gar nicht erst auf: Manager·innen, die Entscheidungen für andere treffen.
Am System arbeiten, nicht im System
Stattdessen werden sie von denjenigen getroffen, die über die Informationen verfügen. Sobald dem Team alle notwendigen Informationen zur Entscheidungsfindung vorliegen, macht der gewählte Managementrahmen sofort transparent, ob das Team noch etwas wissen oder lernen muss. Wenn das Team sein Ziel verfehlt, liegt offensichtlich ein Mangel an Fachwissen oder Fähigkeiten vor. Eine Führungskraft fragt dann, was das Team braucht, um seine Leistung zu verbessern und es weiter zu unterstützen.
Ich bin sicher: Eine Führungskraft wird dann erfolgreich sein, wenn sie mit dem Team zusammenarbeitet, anstatt ihm Entscheidungen abzunehmen. Es ist heute und künftig ihre Aufgabe, die organisatorische Kommunikation zu strukturieren und am System, aber nicht im System zu arbeiten.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Artikel „Management is dead – long live management!“, der in der aktuellen Emergence-Ausgabe erschienen ist (hier ist die Langversion des Artikels abrufbar, hier geht es direkt zur neuen Ausgabe).