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Meditation in Bewegung: Warum Radfahren so beliebt ist

„Manchmal ist das Leben ganz schön leicht, zwei Räder, und ein Lenker und das reicht“, singt Max Raabe in seinem Retro-Schlager „Fahrrad fahr’n“. Der Künstler, der mit einem Repertoire aus Schlagern der 1920er- und 30er-Jahre und eigenen Titeln im Stil dieser Zeit bekannt wurde, empfindet das Rad in Berlin als ein „sehr angenehmes Fortbewegungsmittel" – „das ist das Ideale und lüftet die Sandale“. Er fährt fast immer (bis zu 15 Grad und außer bei Regen und Schnee) auf einem Herrenrad aus den 1960-er Jahren ohne Gangschaltung - sogar zu Preisverleihungen im Smoking. Im Mai 2019 wurde er beim Nationalen Radverkehrskongress in Dresden als "Fahrradfreundlichste Person 2019" ausgezeichnet. Seine Botschaft: „Man darf halt nicht so ellbogenhaft herumfahren. Mit etwas Geschmeidigkeit kommt man viel besser voran.“

Das Fahrrad von Max Raabe ist wie sein künstlerisches Werk ein eleganter Zeuge vergangener Zeiten. Die Gänge seines Fahrrads sind auch mit kreativen Gedanken-Gängen eng verzahnt, denn es werden immer neue Dimensionen und Wege erschlossen – auch „Holzwege“, die sich außerhalb üblicher Erfahrungstouren befinden und genauso zum Ziel führen. Die Metapher „Auf dem Holzweg“ hat Hannah Arendt mit dem leidenschaftlichen Selbstdenken in Verbindung gebracht: Dem Holzfäller gleich, dessen Geschäft der Wald ist, befindet sich der Selbstbestimmte auf Wegen, die von ihm selbst gebahnt werden, „wobei das Bahnen nicht weniger zum Geschäft gehört als das Schlagen des Holzes“. Selbstdenken und Handeln gehören hier zusammen. Das Denken ist dabei nie an Resultate gebunden.

Die Gemeinde von Enthusiasten, die alte Räder sammeln und noch ohne Tacho auskommen, wächst stetig.

Ihnen geht es ums Fahren und nicht um Leistung. Einer der bekanntesten Retro-Orte ist Gaiole im Chianti. Seit 1997 treffen sich hier jährlich im Oktober Tausende Retro-Anhänger zur „L’Eroica“. Veranstalter verlosen mittlerweile Startplätze, „weil das Vintage-Peloton zur Lawine angeschwollen ist“. In Flandern findet die „Retro Ronde“ statt, in Frankreich unter anderem die „Anjou Velo Vintage“. „Es geht auch um Wertschätzung für klassische Handwerkskunst“, sagt der Nürnberger Künstler und Gastronom Ralf Siegemund.

Traditionelle Muskelkraft-Radfahrer wollen sich bewegen und bewusst Fahrrad fahren. Sie nehmen durch das geringe Tempo viel intensiver ihre Umgebung wahr. Sie erfahren buchstäblich die Kunst des wirklichen Schauens, die „Hohe Schule des Sehens“. Viele von ihnen nehmen es sogar mit in die Wohnung, wo es als Dekorationsobjekt steht – es findet sich heutzutage genauso in Schaufenstern von Modehäusern, Computerläden und Bankfilialen.

Authentizität ist die Sehnsucht unserer Zeit

Viele Menschen verbinden diese Entwicklung mit der Sehnsucht nach dem Echten - eine Reaktion auf die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft. Der Philosoph Charles Taylor sprach schon 2007 vom „Age of Authenticity”. Allerdings haben Wellen von Marketingmaßnahmen ohne Berücksichtigung einer nachhaltigen Relevanz auch zu einer Überschwemmung geführt, die den Begriff der Authentizität verwässert haben: Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler und Künstler sollen authentisch („maßgeblich, echt“) sein, aber auch Produkte und Marken. Authentizität aber ist nur dann nachhaltig, wenn sie Relevanz und Resonanz, die sich bei Produkten auch positiv auf den Absatz auswirkt. Es lohnt deshalb auch ein Blick auf das Thema Fahrradzubehör, das bei vielen Menschen ebenfalls nostalgische Erinnerungen weckt.

Hartmut Ortlieb war Anfang der achtziger Jahre in Irland mit dem Rad unterwegs. Es regnete in Strömen, und die Innenbeschichtung seiner Nylon-Radtaschen war der Situation nicht gewachsen. Er fragte sich, warum es keine wasserdichten Radtaschen gibt, denn die Ware in Lastkraftwagen wird ja auch nicht nass. So nähte er auf der Nähmaschine seiner Mutter sein erstes Paar Satteltaschen aus Lkw-Plane. Kletterfreunde aus Franken erfuhren davon und meldeten ebenfalls Bedarf an. 1982 fertigte er in Nürnberg eine Kleinserie. So entstand die Firma Ortlieb. "Unsere Fahrradtaschen sind für jene gemacht, die gute Handarbeit billigen Massenprodukten vorziehen", heißt es im ersten Ortlieb-Prospekt von 1982. Anfangs arbeitete Hartmut Ortlieb noch mit richtigen Nähten, die von innen abgeklebt werden mussten, damit kein Wasser eindringt. Doch schon seit langem werden die Nähte nur noch verschweißt. Das Prinzip wasserdicht ist bis heute geblieben - verändert hat sich das Befestigungssystem. Die Radtaschen der neuesten Generation "Plus" lassen sich ohne Werkzeug auf den Gepäckträger eines Rades anpassen.

Produziert wird nach wie vor in Deutschland, der Firmensitz liegt in Heilsbronn, knapp 30 Kilometer entfernt von Nürnberg. Auch in den USA ist Ortlieb mittlerweile vertreten. Es ist der drittwichtigste Absatzmarkt des Unternehmens nach Deutschland und Großbritannien ist. Das Unternehmen erhält heute Taschen zur Reparatur, die bis 30 Jahre alt sind. Einige davon hätte Ortlieb gern im eigenen Archiv, denn vor allem bei den Modellen aus den achtziger Jahren gibt es noch einige Lücken. Kunden wird ein kostenloser Tausch gegen neue Taschen angeboten, aber viele möchten sich nicht von den alten Produkten trennen, weil sie viele Erinnerungen damit verbinden. Die alten Räder sind längst gegen neue getauscht - aber die Radtaschen möchten die Kunden behalten. So rüstet das Unternehmen alte Taschen mit dem modernsten Haltesystem des Unternehmens nach, damit sie problemlos an moderne Gepäckträger passen.

Was dem Autofahrer der Kofferraum, ist dem Radfahrer die Packtasche.

Sowohl Arbeitsmaterialien als auch Einkäufe oder Wechselwäsche finden darin Platz. Wasserdichte Taschen schützen dabei sensible Utensilien wie Laptop oder Akten vor Regen oder Spritzwasser. Der Vorteil eines Rucksacks liegt im großen Volumen, und dass kein Gepäckträger am Rad verbaut sein muss. Eine spezielle Radtasche verhindert hingegen nicht nur bei sommerlich heißen Temperaturen, dass man schneller zu schwitzen anfängt. Bei der Auswahl der passenden Tasche sollte berücksichtigt werden, was alles transportiert wird. Für fast alles gibt es heute passende Lösungen. Ortlieb bietet beispielsweise für seine Gepäckträgertasche „Back-Roller“ einen „Commuter Insert“ genannten Einsatz für Pendler an. So lassen sich Laptop, Unterlagen, Smartphone sowie Trinkflasche aufgeräumt verstauen. Dabeihaben sollte man auch immer eine Regenjacke, die sich klein verpacken lässt und in der Tasche wenig Platz wegnimmt. Im Alltag unverzichtbar ist auch ein Minitool zum Festziehen lockerer Schraubverbindungen. Eine kleine Luftpumpe kann bei einem Reifendefekt hilfreich sein und findet an Trekking- und Cityrädern am Rahmen Platz.

Nachhaltige Fahrradtaschen, beispielsweise aus PVC-freiem Planenmaterial, bietet auch der Outdoor-Spezialist VAUDE an. Er arbeitet nach dem Umweltstandard bluesign® und wurde als erstes Outdoor-Unternehmen nach EMAS öko-zertifiziert. Hergestellt werden die Fahrradtaschen klimaneutral in Deutschland. Das Familienunternehmen ist wirtschaftlich gut aufgestellt und trotz hoher Umsatzverluste in Corona-Zeiten zuversichtlich. Aufgrund der Vertrauenskultur wird mobiles Arbeiten mit digitalen Tools schon seit langem gefördert – dadurch konnten die Mitarbeiter direkt ins Homeoffice wechseln. Dabei spielt die hohe Flexibilität, die bei VAUDE schon bisher praktiziert wird, um Beruf und Familie bzw. Privatleben zu vereinbaren, eine wichtige Rolle. Als Teil der Unternehmenskultur pflegt VAUDE seit jeher langfristige Beziehungen mit seinen Partnern – so werden auch in Krisenzeiten nicht einfach Aufträge storniert, sondern gemeinsam Lösungen gesucht, sowohl mit Kunden als auch mit Lieferanten.

Konsequente Kundenorientierung und –information ist für nachhaltig ausgerichtete Unternehmen eine verbindliche Bedingung des Wirtschaftens.

Etliche der hier vorgestellten Produkte rund ums Rad erinnern auch an frühere Zeiten, als ihre Herstellung noch etwas Besonderes war und über viele Jahre benutzt wurden. Sie spiegeln auch die Persönlichkeit ihres Besitzers. Vielleicht erleben Retro- und Nostalgiethemen derzeit einen Boom, weil Corona dann weit weg ist. Sie haben mit persönlichen Bindungen zu tun, geben Orientierung und stiften Identität. Zugleich sind sie ein Zugeständnis an einen langsameren, natürlichen Rhythmus in einer viel zu schnellen technisierten Welt.

Die Beispiele belegen aber auch, wie wichtig der Nachhaltigkeitsaspekt vielen Menschen heute ist – auch zahlreiche Prominente satteln um. Für Schauspielerin Veronika Ferres war Nachhaltigkeit immer mehr ein Grund, „den Wagen stehen zu lassen.“ Auch der Mediziner und Moderator Eckart von Hirschhausen, der die Stiftung "Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ gegründet hat, sagt: „Ich atme lieber die Abgase von zehn Fahrrädern ein als von einem SUV.“

Weiterführende Informationen:

Mit dem Service der Deutschen Bahn kann man in vielen Städten günstig ein Rad ausleihen: www.callabike-interaktiv.de

In vielen Städten treffen sich Menschen zum kritischen Massenradeln: www.criticalmass.de

Umweltfreundliche Radreisen: www.fahrradreisen.de

Lorenz Wolf-Doiettinchem: Da kommt was ins Rollen. In: stern (4.6.2020), S. 39-47

Sebastian Herrmann: Stahl und Wolle, in: Süddeutsche Zeitung, 21./22.6.2014, S. 5

Christian J. May: Wie kommen Sie zur Arbeit. In: GALA 42 (8.10.2020), S. 44.

Erik Schilling: Authentizität. Karriere einer Sehnsucht. C. H. Beck. München 2020.

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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