Mehr als nur Schokolade: Die „dunkle“ Seite des nachhaltigen Leckage-Managements
Druckluft wird im Zusammenhang mit Lebensmittelherstellung oft nur als Energieträger in den Produktionsprozessen betrachtet. In den Nachhaltigkeitsmedien wird das Thema kaum berücksichtigt. Dabei sind die Anwendungsgebiete für Druckluft in der Lebensmittelindustrie unverzichtbar. Dazu gehören beispielsweise Prozesse wie Reinigen, Abfüllen, Mischen, Schneiden, Transportieren und Verpacken. Hier kommt es auch zu einem direkten und/oder indirekten Kontakt zwischen der Druckluft und dem jeweiligen Produkt. Ein Blick auf Schokoladenherstellung zeigt, dass das Thema durchaus kommunizierbar ist, wenn es in einem entsprechenden Kontext erscheint, der jeden Menschen angeht.
Da Schokolade ein emotionales Produkt ist, bietet es sich zur Erklärung eines komplexen Themas an, das vielfach im Dunkeln liegt. Nicht nur die Rohstoffe, sondern auch die End- und Zwischenprodukte müssen im Herstellungsprozess von einem Prozessschritt zum nächsten befördert werden. Beispielsweise werden ie Zutaten für Schokolade sowie die produzierte Kakaomasse pneumatisch gefördert.
Die Herausforderung besteht darin, Dienstleistungen zu entwickeln, die Industrie 4.0 und Nachhaltigkeit verbinden. Auch der schwäbische Druckluft- und Pneumatikspezialist Mader hat deshalb seinen Service schon vor vielen Jahren digitalisiert. Dadurch liegt das Einsparpotenzial im Bereich Druckluftleckagen bei etwa 30 Prozent. Für das Leckage-Management wurde ebenfalls eine digitale Anwendung entwickelt, denn Leckagen werden in Unternehmen häufig nicht oder nicht zeitnah beseitigt. Das verursacht Kosten und verschlechtert die Energiebilanz. Gründe dafür sind u.a.:
• fehlende Dokumentation
• fehlende Transparenz über das Einsparpotenzial
• zeitlichen Kapazitäten.
Die Aufzeichnung und Analyse von Daten ist für Unternehmen enorm wichtig, damit Einsparpotenziale und Veränderungen rechtzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen abgeleitet werden können. Um ein effizientes und effektives Leckage-Management zu gewährleisten, wurde diese digitale Lösung entwickelt: Die Kunden erhalten eine wirtschaftliche und ökologische Bewertung für jede Leckage. Alle Informationen werden digital erfasst und sind live über das Leckage-Online-Portal oder per Looxr Leckage-App - durch die eine Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der Prozesse erreicht wird - abrufbar. So haben sie jederzeit eine Übersicht darüber, wie viel Druckluft bzw. Energie durch jede einzelne Leckage verloren geht, aber auch über die CO2-Menge, die dadurch anfällt. Eine Priorisierung der Leckagen mit Hilfe eines leicht verständlichen „Ampel-Systems“ zeigt auf, an welcher Stelle schnell gehandelt werden müsse.
„Die Erfolge zu sehen ist sehr wichtig“, sagt der Energie- und Gebäudemanager Benjamin Flaig, der seit 2018 das Energieteam beim Schokoladenhersteller Ritter Sport leitet. Verantwortlich ist er unter anderem für die Verbesserung der energetischen Performance im Werk sowie für die konsequente Reduktion des Energieverbrauchs – jährlich mindestens 1,5 Prozent weniger Energieverbrauch pro produzierter Tonne Schokolade. Pro Jahr laufen dreieinhalb Millionen Tafeln Schokolade vom Band. 2020 wurde nach Unternehmensangaben das Ziel „Klimaneutralität“ erreicht. Im gleichen Jahr gelang es dem Unternehmen mit einem umfassenden Leckage-Konzept, bis zu 250 Tonnen CO2 in der Fertigung einzusparen. Per Looxr Leckage-Portal informiert sich Benjamin Flaig über die beseitigen Druckluft-Leckagen und den damit erzielten Energieeinsparungen.
Das Team kann sich somit an jeder Produktionslinie selbst ein Bild von den georteten Leckagen machen. Über das Scannen des QR-Codes an der Leckage erfahren sie sofort, wie viel Druckluft über die undichte Stelle verloren geht, und welche Komponenten für die Beseitigung erforderlich sind. Druckluft wird im gesamten Prozess der Schokoladenherstellung benötigt:
Warenannahme (Transport der verschiedenen Rohstoffe in Pulverform an ihren Bestimmungsort)
Druckluft als Steuerluft (z.B. für Weichen)
Herstellung von Schokoladentafeln (Betrieb von Ventilen und Zylindern in den Maschinen)
Verpackungsprozess: Aussortierung von Tafeln, die dem Qualitätsanspruch nicht zu 100 Prozent entsprechen
Reinigung der Schokomasseleitungen.
Neben der Qualitätsüberwachung spielt Energiemonitoring eine wichtige Rolle im Druckluftprozess. So wurden an allen mit Wärmerückgewinnung ausgestatteten Kompressoren Stromzähler angebracht, um deren Effizienz zu überwachen. Sie arbeiten nur so viel, wie es der Druckluftbedarf im Werk gerade erfordert. Mithilfe des Monitorings wird dargestellt, wie viel Druckluft für den jeweiligen Prozess benötigt wird und wie viel als „Leckageluft“ im Prozess verloren geht. Zunächst setzte der Schokoladenhersteller auf eine Inhouse-Lösung (firmeneigenes Instandhaltungsteam). Doch die gestiegene Komplexität sowie ein wachsender Maschinenpark führten bald dazu, dass Ritter Sport eine Outsourcing-Lösung für das Thema „Leckage“ suchte. Seit 2019 ist dafür der süddeutsche Druckluft- und Pneumatikspezialist Mader hier zuständig - zunächst ausschließlich für die Ortung der Leckagen, dann nach umfassenden Hygieneschulungen auch größtenteils für die Beseitigung der Undichtigkeiten. In der Getränke- und Lebensmittelbranche gibt es besonders strenge Hygienestandards – diesen muss auch die Pneumatik und Drucklufttechnik gerecht werden.
Die Leckageortung und -beseitigung wurde in der Instandhaltungsplanung fest einkalkuliert. Im Servicefenster selbst ist das Druckluft-Team ebenfalls vor Ort und beseitigt die gefundenen Leckagen. Mindestens einmal jährlich wird jede Produktionslinie im dafür vorgesehenen Instandhaltungsfenster einem Leckage-Check unterzogen. Allerdings ist man - anders als bei Projekten wie dem Austausch der Beleuchtung - mit Leckagen „nie fertig“, sagt Flaig. Denn dass sie entstehen, lässt sich nicht vermeiden, bemerkt Marina Griesinger, Leiterin Energieeffizienzmanagement bei Mader. Sämtliche Bauteile unterliegen einem gewissen Alterungsprozess. „Komponenten, die ständig in Bewegung sind oder wie es bei Ritter Sport der Fall ist, mit extremen klimatischen Bedingungen konfrontiert sind, verschleißen. Dichtungen werden spröde und können nicht mehr vollständig abdichten und schon entweicht an dieser Stelle Druckluft. Druckluft, die unter hohen Energieaufwand erzeugt wurde, wird in die Umgebung dann einfach abgeblasen“. Jährlich werden beim Schokoladenhersteller durchschnittlich 500 Leckagen geortet und beseitigt, was 200 bis 250 Tonnen CO2 entspricht.
Gesamtkonzepte zur hocheffizienten Drucklufterzeugung vernetzen sämtliche Elemente von der Planung, über die Ausführung bis zur vorausschauenden Wartung und steuern sie so smart, dass automatisch die individuell geforderte Druckluft-Leistung und -Qualität entsteht - bei gleichzeitig höchster Verfügbarkeit und Effizienz sowie geringsten Life-Cycle-Kosten. Ulrike Böhm und Stefan Guggenberger haben sieben Schritte herausgearbeitet, mit denen Leckagen in der Fertigung reduziert werden (gekürzte Zusammenfassung)
1. ERFASSEN: Ermittlung der Fördermenge des Kompressors und wie viel Druckluft tatsächlich verbraucht wird.
2. FINDEN: Wo geht Druckluft verloren?
3. DOKUMENTIEREN: Wo war das Leck?
4. ANALYSIEREN: Welche Erkenntnisse bringt die Leckageortung?
5. ENTSCHEIDEN: Was wird umgesetzt?
6. BESEITIGEN: Die ausgewählten Leckagen werden fachgerecht beseitigt.
7. ÜBERWACHEN: Eine konstante Druckluftverbrauchsmessung und bei Bedarf regelmäßig durchgeführte Leckageortung und -beseitigung sichern nachhaltig das erzielte Ergebnis.
Ulrike Böhm: Vom analogen Energieträger zu Druckluft 4.0. In: Technischer Handel (5/2018).
4.0 goes green: Herausforderungen, Chancen und innovative Lösungen am Beispiel der Mader GmbH & Co. KG. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage, SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021.
Werner Landhäußer und Ulrike Böhm: Energie als Krisenpotenzial. Die Geschichte hinter dem Mader-Effekt. In: CSR und Energiewirtschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2019.