Mehr Lebensqualität mit drei Tagen Wochenende und vier Tagen Arbeit
Auf der ganzen Welt probieren Betriebe die Vier-Tage-Woche aus. Aktuelle Studien und Beispiele zeigen mehr Lebensqualität und bessere Gesundheit bei einer hohen Produktivität und häufig gleichem Lohn.
„Nicht nur Arbeit zählt, sondern das Leben auch“
Der Standard in Betrieben ist eine Arbeitswoche mit 40 Stunden. Ist das vielleicht nur eine schlechte Gewohnheit? Die klassische Fünf-Tage-Woche stammt von 1918 aus einer Regelung für Fabriken, damals noch mit 60 Stunden Arbeit pro Woche. Als der Handwerksmeister Marcus Gaßner keine Auszubildenden fand, hat er 2018 die Vier-Tage Woche bei vollem Lohn eingeführt. Zuerst war die Aktion zur Gewinnung von Auszubildenden gedacht. Inzwischen freuen sich auch alle Kolleg:innen sowie die Chefin und der Chef über die Vier-Tage-Woche. Ayleen Bauser, die Partnerin von Marcus Gaßner, freut sich über mehr Freizeit: „Nicht vergessen, dass man selber ein Mensch ist. Nicht nur Arbeit zählt, sondern das Leben auch. Man hat nur das eine Leben.“
Experimente in der Hotellerie
Die Hotelkette 25hours testet seit November 2021 die Vier-Tage-Woche an zwei Standorten. Der Lohn bleibt derselbe.
Die Küchenbrigade im Park-Hotel Winterthur arbeitet ebenfalls seit November an vier anstatt fünf Tagen pro Woche. Die Umsetzung habe sehr gut geklappt, so Hoteldirektor Philipp Albrecht. Das Vier-Sterne-Stadthotel reagiert damit auf die zuvor hohe Zahl von Mitarbeier:innen, die unzufrieden gekündigt hatten.
Als erstes Hotel in Sachsen wagt das Dresdner Carolaschlösschen die Vier-Tage-Woche im Kampf gegen Personalmangel.
Wirkt magnetisch auf Fachkräfte
Die Vier-Tage-Woche ist selten und hat sich auf dem Arbeitsmarkt noch nicht durchgesetzt. Deshalb wirkt sie als Unterscheidungsmerkmal und Attraktor in der Mitarbeitersuche. 2021 hat die Steirische Tischlerei Schneider keine Mitarbeiter:innen gefunden. Als sie eine Vier-Tage-Woche einführte und diese offensiv bewarb, kamen 50 Bewerbungen. Zuvor gab es monatelang keine einzige Bewerbung.
Im digitalen Verlag Lokale Stimme in Gmund am Tegernsee wurde auf die Vier-Tage-Woche umgestellt. Herr Schuler ist dort Vertriebsleiter und hat freitags frei. Sein Gehalt und die Zahl der Urlaubstage sind gleich geblieben. Er findet es genial, da ihm mehr Zeit für seine Familie und für Ausflüge bleibt.
Gesteigerte Lebensqualität
Familie, Freizeit und Hobbys wie Ausflüge und Sport werden in allen Umfragen zur Vier-Tage-Woche als wichtigster Gewinn beschrieben. Mehr Zeit für sich, für die Familie und für Freunde sind ein großer Vorteil. Fast alle Befragten gaben an, dass sich ihre Work-Life-Balance durch die reduzierte Arbeitszeit stark verbessert hat. Außerdem können Arbeiten im Haushalt auch während der Woche erledigt werden, sodass an Wochenenden mehr Zeit und Energie für Aktivitäten bleibt.
Enzo Weber forscht am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): „Das Entscheidende ist, dass wir die starke Trennung zwischen Vollzeit und Teilzeit aufheben.“ Bisher gibt es nur entweder Teil- oder Vollzeit. Sich auf eine Vier-Tage-Woche einzulassen, die über das gesetzlich verankerte Recht auf Teilzeit hinausgeht, ist ein neues Arbeitsmodell, das die Vorteile beider Arbeitszeitmodelle verbinden würde.
Der Umsatz steigt bei Versa
Das australische Unternehmen Versa hat die Vier-Tage-Woche zunächst mit drei Mitarbeiter:innen getestet. Inzwischen haben alle Kolleg:innen am Mittwoch frei. Ihr Unternehmensmotto „making people’s lives better“ wendet Versa, eine Agentur für digitale Transformation, auch intern an. Die Firma setzt auf zwei Arbeitsblöcke mit dem Doppel Montag-Dienstag und Donnerstag-Freitag. Dadurch wirke die Freizeit wie zwei Wochenenden.
Das Konzept wurde im Juli 2020 umgesetzt. Versa hat den Umsatz um 46 Prozent erhöht und den Gewinn verdreifacht seit der Einführung des freien Mittwochs. „Ich wollte beweisen, dass es sogar in einer Branche wie dieser – einer Dienstleistungsbranche, die dafür bekannt ist, junge Menschen anzustellen, die sehr lange arbeiten – funktionieren kann, wenn man sich etwas Innovatives einfallen lässt“, sagte CEO Kath Blackham.
Produktivität bleibt gleich oder steigt
Eine im Juni 2021 veröffentlichte Studie aus Island zeigt, dass die Beschäftigten weniger Stress hatten, sich glücklicher fühlten und weniger krank waren. Die Produktivität blieb dabei gleich oder wurde sogar gesteigert. Die Isländische Studie sieht positive Effekte sowohl für die teilnehmenden Organisationen als auch für die Angestellten.
Ein weiteres Beispiel kommt von Microsoft, dort wurde 2019 in Japan die Vier-Tage-Woche eingeführt. Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ist auch dort gestiegen und die Produktivität hat nicht abgenommen, zugleich sind Papier- und Energieverbrauch im Unternehmen gesunken.
Die Produktivität ist ein Dreh- und Angelpunk in den Testläufen zur Vier-Tage-Woche. Noch ist offen, wie sie in allen Branchen umgesetzt werden könnte. Auch bei dem Unternehmen „Perpetual Guardian“ zeigt das Modell keine Produktionsverluste. Die Krankheitstage minimierten sich, das Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen stieg. Für den Eigentümer von „Perpetual Guardian“, Andrew Barnes, ist die Vier-Tage-Woche „eine Sache, deren Zeit gekommen ist“. In einer Umfrage unter 2000 britischen Büroangestellten kam sogar raus, dass die Mehrheit nur knapp drei von acht Stunden produktiv arbeitet. Also könnte die Arbeitszeit auf eine produktive Länge gekürzt werden.
Weniger Stress und gesteigerte Gesundheit
Die isländische Studie zeigt, dass die teilnehmenden Personen weniger bei der Arbeit fehlten. Und auch andere Studien zeigen, dass bei einer Vier-Tage-Woche die Fehlzeiten sinken, weil mehr Zeit zur Regeneration bleibt. Typische Stressbeschwerden wie Rücken- und Kopfschmerzen treten seltener auf.
Vier Stunden weniger Arbeit bei gleicher Bezahlung führen nach dieser Studie zu weniger Rauchen und reduziertem Übergewicht. Weniger zu arbeiten ist gut für Menschen und die Gesellschaft.
Herausforderungen
Die Vier-Tage Woche hat natürlich nicht nur Vorteile. Manche Firmen zahlen für die reduzierte Arbeitszeit einen reduzierten Lohn. Andere Firmen, wie der Handwerksbetrieb von Marcus Gaßner und die australische Agentur Versa, zahlen den vollen Lohn für 40 Stunden, gearbeitet werden dort 37,5 Arbeitsstunden an vier Tagen. Die meisten Unternehmen trauen sich noch nicht zum radikalen Schritt.
Die Skepsis ist groß, ob die Arbeitsleistung an vier Tagen tatsächlich der Produktivität an fünf Tagen entspricht. Auch ist offen, ob an den vier Tagen genug Zeit zum Austausch zwischen den Kolleg:innen bleibt. Informelle Gespräche beim Kaffee sind ein wichtiges Bindeglied in vielen Firmen. Es gilt, zu beobachten, ob die Vier-Tage-Woche das auch ermöglicht. Neue Versuche in Spanien und bei weiteren Firmen, die die Vier-Tage-Woche einführen, wie „Belmont Packaging“ und „Boxed-Up“, werden neue Erkenntnisse bringen. Umfragen in Großbritannien haben gezeigt, dass die Mehrheit der britischen Arbeitnehmer:innen eine verkürzte Arbeitswoche bevorzugen würde.
Wie sind eure und Ihre Erfahrungen mit vier Tagen Arbeit – gibt es Gedanken, Bedenken oder andere Ideen?
Zuerst veröffentlicht im Good News Magazin