Mentoring sollte keine Einbahnstraße sein
Junge Spezialisten nehmen immer häufiger ältere und erfahrenere Mitarbeiter an die Hand – die Verkehrung der etablierten Prozesse bezeichnen wir als Reverse Mentoring. Allerdings sehe ich diesen Trend nicht nur positiv, denn eine Medaille hat immer zwei Seiten.
Beim Reverse Mentoring kehrt sich demnach die klassische Mentoring-Konstellation um: Bisher übernahmen es erfahrene, meist ältere und in jedem Fall dienstältere Mitarbeiter, unerfahrene und in der Regel jüngere Mitarbeiter in vorhandene Prozesse, bestimmte Inhalte oder Gegebenheiten einzuarbeiten. Nun coachen junge Mitarbeiter die älteren – insbesondere bei der Verständnisvermittlung zu den Möglichkeiten der Digitalisierung sowie dem ganz praktischen Umgang mit digitalen Tools oder mit Social Media im unternehmerischen Umfeld.
Verkehrte Mentoring-Welt
In diesen Bereichen kann Reverse Mentoring ein sehr guter Ansatz sein, dürfte aber bei einer ganzen Reihe der älteren Mitarbeiter auf wenig Begeisterung stoßen. Sie finden sich plötzlich in der Rolle des Lernenden wieder, was insbesondere für langjährige Mitarbeiter mit fundiertem Erfahrungswissen nicht immer leicht ist. Schließlich waren sie es bisher, die um Rat gefragt wurden und damit auch als wertvolle Erfahrungsträger wahrgenommen wurden. Vielmehr noch: Sie wurden als diejenigen gesehen, die auf dieser Grundlage Karriere gemacht haben.
Darüber hinaus ist es naturgemäß nicht angenehm, vermeintlich zum alten Eisen und nicht mehr zu den tragenden Säulen des Unternehmens zu gehören oder nicht mehr nachvollziehen zu können, was heute und künftig wichtig ist. Daraus resultiert für viele ältere Mitarbeiter Existenzangst, die Sorge, den Job zu verlieren.
Die Tücken der Einbahnstraße
Dabei wird gerne unterschätzt, dass insbesondere ältere Mitarbeiter über ein sehr wertvolles Erfahrungswissen verfügen, das jüngere noch gar nicht erworben haben können. Dieses Wissen nicht nur zu bewahren, sondern effektiv zu nutzen und intern zugänglich zu machen, sollte für Unternehmen eine vordringliche Aufgabe sein: Hier können alle profitieren.
Und noch einen zweiten Punkt gilt es zu berücksichtigen: Ältere Mitarbeiter sind in der Regel wesentlich abgeklärter, können mit Stress besser umgehen und agieren in Krisensituationen mit kühlem Kopf. Im Gegensatz dazu reagieren jüngere Mitarbeiter oft genug nur – und das unüberlegt und spontan. Gerade in schwierigen Zeiten brauchen Unternehmen diese innere Stabilität.
Ein dritter Aspekt ist ebenfalls relevant: Ältere Mitarbeiter wechseln statistisch gesehen deutlich seltener den Job. Bei der Besetzung von Schlüsselpositionen oder Arbeitsbereichen, in denen schnelle Mitarbeiterwechsel sehr ungünstig sind, kann das ein wichtiger Faktor sein.
Aus diesen Gründen halte ich sehr viel davon, wenn Sie im Unternehmen beim Mentoring nicht auf Einbahnstraßen setzen.
Kommunikation in alle Richtungen öffnen
Das eine schließt das andere nicht aus: Ich denke, Sie begeben sich mit Ihrem Unternehmen auf einen guten Weg, wenn Sie nicht nur das klassische Mentoring, also „ein Älterer sagt dem Jungen, wo es langgeht“, favorisieren. Auch ausschließlich auf das Gegenteil, nämlich Reverse Mentoring - „Der Digital Native klärt jetzt mal den analogen älteren Mitarbeiter auf“, zu setzen, ist keine vielversprechende Lösung.
Die Mischung macht es. Empfehlen kann ich Mutual Mentoring: Jeder gibt Wissen und nimmt Wissen vom anderen an. Ganz nach dem Motto: „Ich lerne von dir und du lernst von mir.“
Das kann auch im informellen Rahmen ablaufen: Im eigenen Unternehmen beobachte ich, dass es bestens funktioniert, wenn sich die älteren und die jüngeren Kollegen beim Mittagessen miteinander austauschen und sich gegenseitig Tipps geben. Da erklärt die junge Kollegin dem älteren ein neues Tool der Projektmanagementsoftware Asana und die ältere Führungskraft berät aus ihrer Erfahrung heraus die jüngere, wie sie ihr Aufgabenmanagement optimiert.
Das sind kleine, aber so wichtige Momente, die ein Geben und Nehmen auf Augenhöhe stärken.