Mit Bioökonomie die Welt ernähren?
Kann Bioökonomie die Welt ernähren? Die Verfechter der Bioökonomie sehen die Antwort in der Technologisierung der Landwirtschaft. Ertragssteigerungen, (gen-)technische Lösungen und mehr Effizienz sollen dafür sorgen, dass alle satt werden. Doch so wirksam ist die Ökonomisierung des Biologischen im Kampf gegen Hunger und Armut nicht.
Das World Food Institute e. V. (IWE) hat die Autoren Franz-Theo Gottwald und Joachim Budde in der Studie „Mit Bioökonomie die Welt ernähren?“ im Jahr 2015 damit beauftragt, die Ziele und Methoden der Bioökonomie daraufhin zu untersuchen, ob sie überhaupt dazu geeignet sind, die Welt von morgen zu ernähren. Daran sind erhebliche Zweifel berechtigt. Die ernüchternde Bilanz: Bioökonomie leistet bislang keinen Beitrag zur nachhaltigen Sicherung der Welternährung. Vielmehr verschärft die bioökonomische High-Tech- und Investitionsstrategie den Kampf um Boden und biologische Ressourcen. Damit fördert der bioökonomische Ansatz Hunger, Armut und Flucht, anstatt diese Probleme zu lösen.
Interessierte erhalten Details zu den Hintergründen der Bioökonomie und Quellentipps für diejenigen, die tiefer ins Thema einsteigen möchten. Zudem werden Alternativen aufgezeigt, „die mindestens ebenso gut die Probleme angehen können wie das von der Bundesregierung favorisierte Konzept der Bioökonomie“. Die Studie soll zum Nachdenken darüber anregen, was für eine Welt Technik und Wissenschaft in naher Zukunft möglich machen. Und wo im zivilgesellschaftlichen und politischen Rüstzeug Lücken klaffen, die es zu schließen gilt. Unterstützt wurde sie durch die Schweisfurth-Stiftung, die seit 1985 innovative Ansätze in Wissenschaft und Bildung fördert, die einer zukunftsfähigen Kultur und Wirtschaft Bahn brechen können. Angestrebt wird eine Renaissance ganzheitlicher Lebensqualität. Dabei wird auf eine „Ökologie der kurzen Wege“ gesetzt, die ein Denken und Handeln umfasst, das dem natürlichen Kreislauf gerecht wird, „vom Futtermittelanbau bis hin zur Nutzung biologischer Abfälle.“ Lebensmittel aus ökologischer Erzeugung tragen auf natürliche Weise zur Verringerung der gesellschaftlichen Kosten bei, die von der industrialisierten Land- und Ernährungswirtschaft verursacht werden.
Die Studie ist ein Weckruf, schon jetzt ins Handeln zu kommen. Denn schon heute werden die Weichen so gestellt, dass im Jahr 2030 eine völlig andere Welt Wirklichkeit werden könnte. Dass „am Ende“ der Studie ein Zitat von Erwin Chargaff, dem renommierten österreichisch-amerikanischen Chemiker steht, ist ein Signal, um endlich aufzuwachen: „Wir haben eine der scheußlichsten Epochen der Weltgeschichte durchlebt; ich bin überzeugt, dass die beginnende Vergewaltigung der Natur durch die Forschung unter die verhängnisvollsten Verirrungen gezählt werden wird. Diejenigen, die behaupten, dieses Vorgehen sei in Ordnung, denn es diene guten Zwecken und werde aufs Schonendste durchgeführt, machen einen entsetzlichen Fehler. Sie ahnen nicht, wie gefährlich es ist, sich den Grenzen des Lebendigen auch nur zu nähern.“ (Zwei schlaflose Nächte 14, Scheidewege, 1997/1998)
In ihrer Streitschrift „Irrweg Bioökonomie“ weisen Anita Krätzer und Prof. Franz-Theo Gottwald nach, dass sich hinter dem zunächst harmlos klingenden Label „Bioökonomie“ eine mächtige Allianz aus Industrie, Großinvestoren, Politik und Forschung verbirgt, die sich einem erschreckenden und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkten Ziel verschrieben hat: der kommerziellen Inbesitznahme alles Lebendigen. Die Autoren machen auf Basis der zentralen Aktionsfelder der Bioökonomie auf Weichenstellungen aufmerksam, die Tiere und Pflanzen erklärtermaßen zur „Biomasse“ degradieren – eine Entwicklung, die letztlich auch vor dem Menschen nicht haltmacht. Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen
die von der Bioökonomie angestrebten Naturverwertung, die nicht nur die restlose Inbesitznahme allen Lebens beinhaltet, sondern auch seine beliebige, einem „skrupellosen Nutzungsinteresse unterworfene Um- und Neugestaltung“, deren Überheblichkeit sich in Zielformulierungen zeigt wie der, Lebewesen gentechnisch „optimieren“ zu wollen.
den unreflektierten Einsatz von Technologien mit kaum beherrschbaren Folgewirkungen.
die Förderung und Forcierung von Monopolbildungen durch die Politik, die den freien Wettbewerb „als Grundprinzip der Marktwirtschaft“ unterbindet und Forschung zum Dienstleister dieser Monopole degradiert.
Herr Prof. Gottwald, was verbirgt sich hinter dem Begriff Bioökonomie?
Ich möchte mit der Definition von Bioökonomie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Deutschland antworten: Unter Bioökonomie wird eine Wirtschaftsform verstanden, welche auf der nachhaltigen Nutzung von biologischen Ressourcen wie Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen basiert. Um dies zu ermöglichen, sind hochinnovative Nutzungsansätze notwendig. Die Bioökonomie berührt dabei eine Vielzahl von Branchen wie Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau, Fischerei und Aquakulturen, Pflanzenzüchtung, Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie sowie die Holz-, Papier-, Leder-, Textil-, Chemie- und Pharmaindustrie bis hin zu Teilen der Energiewirtschaft. Bio-basierte Innovationen auch sollen Wachstumsimpulse für weitere traditionelle Sektoren, beispielsweise im Rohstoff- und Lebensmittelhandel, in der IT-Branche, im Maschinen- und Anlagenbau, in der Automobilindustrie sowie in der Umwelttechnologie geben.
Welche Chancen sind damit verbunden?
Die deutsche Bundesregierung sieht - ähnlich wie die Europäische Union - wirtschaftliche Chancen, wenn es denn gelingt, eine wissensbasierte, international wettbewerbsfähige Bioökonomie zu etablieren, in folgenden Wirtschaftsfeldern: Ernährungswirtschaft, um Beiträge zu einer höheren Ernährungssicherheit zu liefern, indem die Pflanzenproduktivität und die Ertragssicherheit Klima unabhängiger garantiert werden kann; neuartige gesundheitlich zuträgliche Lebensmittel für genetisch zu bestimmten Krankheitsbildern vordisponierten Kundengruppen (Nutrigenomics); für die energetische Verwendung besser als bislang geeignete Pflanzen sowie Biomasse basierte Energieerzeugung aus Rest- und Altstoffen (Erntereste und Überschüsse, nicht für die Futter- oder Lebensmittelproduktion verwertbare Rohstoffe, Altöle aus der Lebensmittelverarbeitung und Schmieröle aus Industrieanlagen). Insgesamt soll eine zielgerichtete Marktentwicklung rund um nachwachsende Rohstoffe in Deutschland vorangetrieben werden.
Weshalb sehen Sie die Freiheit der Forschung und Demokratie gefährdet?
Durch die Bevorzugung der Bioökonomie wird der Erforschung ökologischer Landwirtschaft wie auch alternativer Wirtschafts- und Produktionsformen viel zu wenig Geld zur Verfügung gestellt. Der sich derzeit bildende Verbund aus Wirtschaftsunternehmen, staatlichen Forschungseinrichtungen oder staatlich geförderten Forschungsgesellschaften und politischer Rahmensetzung wird genauso wenig mit gesellschaftlichen Anspruchsgruppen demokratisch diskutiert, wie die viel grundsätzlichere Frage nach einer öffentlichen Willensbildung bezüglich der biotechnologischen Methoden, die die Grundlage für Bioökonomie bilden. Zwischen 2010 und 2016 werden im Rahmen der nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030 der Deutschen Bundesregierung 2,4 Milliarden Euro für Forschung zur Umsetzung der Bioökonomie zur Verfügung gestellt. Hier werden Macht und Geldspiele für einen Fortschrittsansatz gemacht, die am Ende zu einer neuen Lebenswelt führen werden. Ob die deutsche Gesellschaft dies will oder wollen sollte, steht bislang nicht zur Debatte.
Sie kritisieren auch das dahinterliegende Menschen- und Weltbild. Was ist daran problematisch?
Pflanzliches, tierisches, menschliches Leben hat viele Eigengesetzlichkeiten. Diese lassen sich in ihrer Komplexität nicht monotechnologisch reduzieren auf das Wissen um die Gene und ihre möglicherweise beliebige, auch artübergreifende Kombinierbarkeit. Leben hat, so auch grundgesetzlich nicht nur in Deutschland garantiert, eine eigene Würde. Es ist nicht nur Mittel zu Fortschrittszwecken, sondern stellt, so zumindest das christliche Menschen- und Lebensverständnis, einen Zweck an sich dar, es hat Eigenwerte. Ein die Würde und die Eigenwerte respektierendes Menschen- und Weltbild setzt der Nutzung von Leben Grenzen an der Freiheit, Selbständigkeit und Integrität der jeweils anderen Lebensform. Dies wird durch den bioökonomischen Ansatz, so wie er sich bislang präsentiert, ein keiner Weise anerkannt und zum Maßstab gemacht.
Welche Bedeutung hat die Dominanz einzelner Großkonzerne für die Landwirtschaft?
Zu den deutschen Unternehmen gehört im Saatgutbereich die Kleinwanzlebener Saat AG; im Tierzuchtbereich Lohmann Tierzucht, eine Firma, die Eigentümer an Geflügelgenetik ist und im Wettbewerb nur weltweit mit zwei oder drei anderen großen Firmen noch steht. Im Handel ist es die Firma Alfred C. Töpfer International, einer der großen Getreidehändler und Futtermittelhändler. Im Bereich der Agrarchemie sind Bayer und BASF zu nennen, die zugleich auch im Saatzuchtbereich tätig sind. In der Tat sind weltweit einige große Konzerne flächendeckend tätig, die für alles, was mit Pflanzen und Tieren einhergeht, für die Mehrzahl der Landwirte weltweit die Voraussetzungen, die sogenannten Inputfaktoren liefern. Eine ähnliche, verstärkte Konzentration ergibt sich bei den Verarbeitungskonzernen wie Nestlé, Unilever, Smithfield oder Tönnies in der Fleischverarbeitung, um auch ein deutsches Unternehmen zu nennen.
Werden damit die Abhängigkeiten der Landwirte immer größer?
Ja, und damit auch ihre Verpflichtung zu wachsen, angesichts steigender Preise für die benötigten Produktionsmittel von Pflanzen und Tieren.
Was heißt das für die Gesellschaft?
Diese Vereinheitlichung in der Erzeugung von Pflanzen und Tieren bedeutet, dass es immer weniger Alternativen gibt – man sieht z.B. wie schwer sich die Bio-Land- und Lebensmittelwirtschaft tut, um wirklich mehr Landwirte auch in Deutschland zu gewinnen, die einen anderen Weg einschlagen. Insgesamt gibt es immer weniger Alternativen und dafür immer mehr vereinheitlichte, automatisierte, kapitalintensive Produktionsanlagen, die die Landschaften verändern, so dass die Gesellschaft beispielsweise heute schon auch in Deutschland von der „Vermaisung“ der Landschaft spricht, die negative Einflüsse auf die Tourismuswirtschaft haben, die zu Pachtpreisverzerrungen führen, so dass für den in der Energiewirtschaft genutzten Mais in Biogasanlagen Pachtpreise von über 1000 Euro pro Hektar bezahlt werden, während es im Ökolandbau bei 340 Euro liegt. Für die Gesellschaft bedeutet das: weniger Wahlfreiheit bei mehr ökologischen und sozialen Risiken. Denn die intensive Produktion schädigt nachweislich das Grundwasser, laugt die Böden aus und bringt sie zum Erodieren. Auch das Klima wird schädigt - und damit die Voraussetzung für ein gutes Leben auf dieser Erde verschlechtert.
Weshalb gibt es in der Öffentlichkeit noch kein ausgeprägtes Bewusstsein für diese Thematik?
Dafür gibt es viele Gründe: So ist der Konsumismus als Lebensstil weltweit ausgeprägt, es werden zudem viele Fehl- und Falschinformationen verbreitet. Auch wird häufig jenseits der öffentlichen Diskurse, also nur in Fachkreisen debattiert - ohne Anspruchsgruppenwie Umwelt-, Natur- und Verbraucherschützen einzubeziehen.
Weshalb gehört Leben nur sich selbst?
Von Albert Schweitzer stammt das schöne Zitat: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ In einigen europäischen Verfassungen wird sogar von der „Würde der Tiere“ gesprochen. Das heißt, dass sie einen Eigenwert haben, eine Eigenständigkeit, eine Integrität und Autonomie, die ethisch, politisch und in der fachlichen Praxis der Labore und auf dem Acker und in den Aquakulturen berücksichtigt werden muss. Philosophisch und kulturhistorisch gesehen ist Leben unveräußerlich. Die eigentumsrechtliche Vereinnahmung von Bausteinen des Lebens via Patentierung ist eine hoffentlich nicht zu lange dauernde, nicht nachhaltige Verirrung aus ökonomistischer Perspektive.
Wodurch wird diese Verirrung gestützt?
Beispielsweise von einer universellen Ratio des Missbrauchs, der Ausnutzung, des energetischen Vampirismus Pflanzen, Tieren, Boden- oder Wasserlebewesen und Luftlebewesen gegenüber. Alles wird zur Nützlichkeit zugerichtet, alles wird zu Produkten des zivilisatorischen Narzissmus. Gerade gegen diesen zivilisatorischen Totalitarismus von Biotechnik und Bioökonomie gilt es, mit allen erlaubten Mitteln zu mobilisieren.
Welche Alternativen gibt es zur Bioökonomie?
Es gibt durchaus vorbildliche alternative Ansätze aus agrarökologischer, dezentraler, Gemeinwohl orientierter Sicht: So nutzt z.B. die Blue Economy ein Fischzucht- und Treibhaus-System, das den Kot von Fischen als Dünger für Pflanzenbeete verwertet, die wiederum das Wasser filtern und so die Gesundheit der Fische erhalten. Gegenentwürfe einer nachhaltigen Wirtschaft mögen idealistisch klingen, sind aber risikoärmer und verantwortungsbewusster, Natur- und Umwelt schonender als die Bioökonomie. Alternativen gibt es zuhauf, so neben dem oben genannten Beispiel Lösungen in flexiblen regionalen Netzwerken mit weitgehend geschlossenen Stoffkreisläufen, einer der jeweiligen Erfordernissen angepassten lokalen Selbstversorgung mit regenerativen Energien, einer an Ernährungssouveränität und relativer Ernährungsautarkie orientierten Land- und Lebensmittelwirtschaft sowie einer je nach Bedarf erfolgenden lokalen, nationalen oder globalen Vernetzung von Wissen, Technologien und Finanzwirtschaft.
Das Interview wurde 2015 geführt und erscheint hier aus aktuellem Anlass.
Weiterführende Informationen:
Anita Krätzer, Franz-Theo Gottwald: Irrweg Bioökonomie. Kritik an einem totalitären Ansatz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014 (edition unseld).