Nachhaltig „bewandert“: Vom Wollen zum Brauchen
Nachhaltigkeitsorientierte Lebensstile setzen das einfache Leben in den Mittelpunkt des Handelns. Bei dem dabei stattfindenden Perspektivenwechsel vom „Wollen“ zum „Brauchen“ entstehen auch neue Modelle der Aufhebung von Produktion und Konsum. Denn in einer immer komplexer werdenden Welt suchen Menschen vermehrt nach einem echten, authentischen Leben abseits des tradierten ökonomischen Systems. In der Natur wird alles Überflüssige reduziert und das Bewusstsein für die wesentlichen Dinge des Lebens geschärft. Reduktion ist zugleich ein Zeitgeschenk, weil die Tage nicht mehr von einer Vielzahl von Dingen und gewohnten Reizen dominiert werden. Die Ökonomie der „Zuvielisation“ ist heute einer Ökonomie der Bedeutsamkeit gewichen, bei der das bewusste Leben ins Zentrum des eigenen Handelns gestellt wird. So entdecken seit Jahren immer mehr Menschen das Wandern für sich – bereits 2021 erlebte der deutsche Alpenverein den größten Zulauf der Vereinsgeschichte. Die zuwachsstärkste Altersgruppe waren die 19- bis 25-Jährigen. Vor allem Weitwandern ist für viele Erlebnis und Entspannung zugleich - ob Pilgern auf dem Jakobsweg, Hüttentouren, Alpenüberquerungen oder Wochenend-Trips.
Zur Ausrüstung gehören das richtige Schuhwerk (Wanderschuh, Wanderstiefel oder Bergstiefel), Wander-/ Trekkinghose, Funktionsshirt, Fleecejacke, Softshelljacke, Regenjacke, Regenhose (oder wasserdichte Überhose), Mütze, Handschuhe, Halstuch, Sonnenbrille, Sonnenschutz, Tagesrucksack/Trekkingrucksack, Trinkflasche, Thermosflasche Outdoor-Lebensmittel, Trekkingstöcke, Wanderkarte und –führer, Multitool, Messer, GPS-Gerät und Erste-Hilfe-Set. Im Hinblick auf den Gesundheits- und Umweltschutz schaffen Textilsiegel wie „IVN Best“ oder „bluesign“ Gewissheit. Der Umweltstandard von bluesign umfasst die Aspekte Konsumentenschutz, Abwasser, Abluft, Arbeitssicherheit und Ressourcenproduktivität. Bei diesem internationalen Qualitätsstandard steht nicht nur das Endprodukt, sondern die gesamte Produktions- und Vertriebskette von Textilien und Schuhen im Fokus.
Besonders wichtig zum Schutz der Umwelt sowie der Gesundheit von Textilarbeitern und Konsumenten ist, dass die Stoffe ungiftig gefärbt, bedruckt oder auch veredelt werden. Auch mit der Umsetzung der Richtlinien der Fair Wear Foundation (FWF) schaffen Unternehmen erste elementare Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben der Näherinnen und Näher. Diese Multi-Stakeholder-Initiative wird von Unternehmens- und Textilverbänden, Gewerkschaften sowie Nichtregierungsorganisationen getragen. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen und gerechte Bezahlung bescheinigt das „Fairtrade“-Siegel. Das Internationale Naturtextil-Logo GOTS (Global Organic Textile Standard) hat ebenfalls strenge Kriterien. Er gilt für die Verarbeitung von Textilien aus biologisch erzeugten Naturfasern und definiert umwelttechnische Anforderungen entlang der gesamten textilen Produktionskette. Zusätzlich umfasst er Sozialkriterien. Nur Textilprodukte, die aus mindestens 70 Prozent biologisch erzeugten Naturfasern bestehen, können gemäß GOTS zertifiziert werden. Es eignet sich allerdings nur für wenige Funktionstextilien, da es im Gewebe keine Kunststofffasern zulässt, auch nicht aus Recycling-PET. Viele Materialien, die in konventionellen Produkten die Nässe abhalten oder Schweißgeruch verhindern, sind bei GOTS und auch bei dem noch strengeren Label IVN Best des Internationalen Verbandes der Naturtextilwirtschaft nicht erlaubt. Bei Funktionswäsche aus Merinowolle gewährleisten beide Logos, dass die Wolle aus Öko-Tierhaltung stammt und nicht mit Chlor gebleicht wurde.
Die breite Öffentlichkeit erreichte das Thema erstmals 2010, als das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL titelte: „Outdoor-Hersteller fallen bei sozialer Verantwortung durch“. Auch die ZEIT fragte damals: „Lieber nackt als unfair?“ Beide Beiträge bezogen sich auf die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben der Outdoor-Unternehmen in den Produktionsländern. Das Thema wurde unter anderem durch die Kampagne für Saubere Kleidung im gleichen Jahr aufgegriffen. Seitdem hat sich viel getan. So wurde das Thema Outdoor auch beim Öko-Pionier und Onlineversender memo sukzessive ausgebaut – von der Softshell-Jacke über das Zelt bis hin zur lebenslang haltbaren Thermoskanne. Zugute kommt dem Unternehmen dabei der Trend, dass Aktivitäten im Freien auch bei jüngeren Menschen wieder sehr beliebt sind. „Nachdem das klassische Wandern viele Jahre eher ein Stiefmütterchendasein als ‚Senioren-Sport‘ gefristet hat, erlebte es in den letzten Jahren zu Recht ein Revival als sanfte Sportart mit meditativen Nebenwirkungen“, sagt Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation. Besonders beliebt sind auch Rucksäcke, deren Hauptstoff (Polyester) aus 45 % Recyclingmaterial bestehen (das Futter sogar zu 100 %), ebenso Softshell-Jacken aus PET-Recycling, Jacken aus 100% recyceltem Polyester. Es gibt aber auch Unternehmen, bei denen nicht erkennbar ist, ob das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit aus der Branche selbst kommt, oder ob nur auf einen Boom oder Konsumenten- und Mediendruck reagiert wird.
Wer sich detailliert über konsequente und transparente Nachhaltigkeitsstrategien von Unternehmen informieren möchte, dem seien die Nachhaltigkeitsberichte von Öko-Unternehmen wie memo oder VAUDE empfohlen. Eine völlig umweltneutrale Funktionsbekleidung wird allerdings noch eine Wunschvorstellung bleiben. Am nachhaltigsten ist es deshalb, nur das zu erwerben, was auch benötigt wird und es so lange zu verwenden, bis es nicht mehr genutzt werden kann.
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CSR und Sportmanagement. Jenseits von Sieg und Niederlage: Sport als gesellschaftliche Aufgabe verstehen und umsetzen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2019.
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