Pixabay

Nachhaltige Konzentration: Wege aus der Ablenkungsgesellschaft

Das Glück war für Modedesigner Karl Lagerfeld eine Frage des Willens. Er bezeichnete sich einmal als das Ergebnis dessen, was er gewollt und beschlossen hat zu sein: „Ich bin mein Anfang und mein Ende, und was ich erreichen möchte, bestimme ich selbst." Zeitprobleme kannte er nicht, weil er kaum ausging. Unverständlich waren ihm auch die Klagen einiger Designer über ihre Arbeit: "Wenn man denkt, es ist zu viel, dann sollte man die Finger von solchen Verträgen lassen." Das ist keine Arroganz und Überheblichkeit, sondern eine einfache Wahrheit, die uns alle betrifft: Fokussierung. Dies zu „können" bedeutet nicht nur, die höchsten Prioritäten zu setzen, sondern auch zu entscheiden, welche Aufgaben von der eigenen To-do-Liste gestrichen werden können, um sich auf die richtigen Maßnahmen zu konzentrieren. Dabei geht es nicht nur um die Effektivität im eigenen Leben, sondern auch um die Bedeutung der Fokussierung in der Gesellschaft: „Überlegen Sie mal, welchen immensen volkswirtschaftlichen Schaden mangelnder Fokus anrichtet!", schreibt der Managementexperte Hermann Scherer in seinem Buch „Fokus!", in dem er zugleich darstellt, was dieses Thema mit Nachhaltigkeit zu tun hat: „Wir legen unseren Fokus auf kurzfristige Erfolge statt auf langfristige Ergebnisse und wundern uns, dass wir kurzfristig scheinbar erreichen, was wir wollen, aber langfristig nicht dahin kommen, wofür wir wirklich angetreten sind."

Er legt den Fokus auf den Fokus, damit wir unser Leben nicht aus den Augen verlieren. Frank Gotthardt, der 1987 die Compugroup Medical gründete, einen auf Software für Arztpraxen spezialisierten Hidden Champion, bringt es auf den Punkt: "Konzentrier‘ dich auf das, was du am besten kannst." Wer sich jedoch überschätzt aufgrund seines Erfolges und den Fokus aus den Augen verliert, kann sich schnell verzetteln. Fast immer geht das schief. Weltklasse gelingt nur durch nachhaltige Konzentration. "Die Gefahr einer zu großen Spezialisierung ist möglicherweise kleiner als das Risiko, seine Talente und Energien zu verzetteln. Der Spezialist schlägt häufig den Generalisten." (Hermann Simon)

Sich zu fokussieren gelingt, wenn wir schädliches Multitasking, das Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Aufgaben (das zu mehr Fehlern führt, die im Nachgang wieder korrigiert werden müssen) vernachlässigen und lernen, uns auf das eigene Potenzial und die damit verbundenen Möglichkeiten zu konzentrieren und Störfaktoren ausblenden. Schon Goethe und Steve Jobs waren klug genug, sich nicht durch den Zufluss der Realität innerlich überschwemmen zu lassen. Innerer Zusammenhalt war bei Goethe mit dem „unentbehrlichen, scharfen, selbstischen Prinzip" verbunden, das einem Menschen etwas Kompaktes und Undurchdringliches gibt. Auch der unnahbare Karl Lagerfeld sagte von sich: „Ich bin total Egoiste."

Wer etwas hervorbringen möchte, muss sich vorher „abschließen", wird aber dennoch das Big Picture nie aus den Augen verlieren. Goethe, Steve Jobs und Lagerfeld haben viel gemeinsam mit den „Glückskindern", denn sie setzen für das, „was zu erledigen ist, keine zur Tätigkeit passenden Termine, sondern sie bestimmen schlicht, was für sie Priorität hat", so Scherer. Sie leben in ihren magischen Momenten radikal aus ihrem Inneren heraus, handeln nach ihrer eigenen Überzeugung und sind frei von äußeren sozialen Zwängen. Sie nehmen nur so viel Welt in sich auf, wie sie auch verarbeiten können. Was sich nicht produktiv verwerten lässt, wird einfach vernachlässigt, um die eigene Aufgabe so gut wie möglich zu erfüllen und im Leben nur ein begrenztes Zeitkontingent zur Verfügung hat.

Wie Goethe verbannte auch Steve Jobs alles andere aus seinem Blickfeld, bis er die richtige Ent-Scheidung im Sinne einer Scheidekunst getroffen hat. Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, bemerkte dazu vor einigen Jahren in einem Interview mit dem Psychologen und Coach Louis Lewitan: „Du kannst eine Akte nur einmal in die Hand nehmen. Wenn Du einen Extrahaufen anlegst für alles, was du nicht direkt entscheiden willst, dann wirst du nie fertig." (DIE ZEIT DOCTOR 9/2016) Ohne „gesunden" Egoismus (als Selbstbehauptung) kann Fokussierung allerdings nicht gelingen, denn der Schwerpunkt der eigenen Tätigkeit braucht das Unabgelenkte und den Mittelpunkt des eigenen Schaffens. Das meint auch Hermann Scherer, wenn er schreibt: „Konzentrieren und fokussieren Sie sich also auf eine Sache, ein Ziel. Setzen Sie Scheuklappen auf, um Optionen und Ablenkungen nicht nur zu ignorieren, sondern gar nicht zu sehen." Er selbst wollte Redner werden, fertig. Alles andere hatte ihn nicht interessiert. Er erkannte, dass er mit besonderen Talenten und Fähigkeiten ausgestattet war und spürte den inneren Drang, etwas daraus zu machen. Dabei kommt es darauf an, in einigen wenigen Sachen gut, besser und großartig zu sein und nicht in vielen Gebieten diverse Ziele anzustreben. Wer größer werden will, muss kleiner werden:

Das bedeutet: weniger machen, sich weniger ablenken zu lassen und sich stets die Frage stellen: „Bringt mich das, was ich jetzt gerade tue, wirklich meinen Zielen näher?" Schon in seinem Buch „Jenseits vom Mittelmaß" verwies er darauf, dass sich Erfolgsmenschen und Erfolgsunternehmen auf ihre wirklichen Stärken konzentrieren und die wichtigen Projekte oder Vorhaben angehen.

  • Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.

  • Hermann Scherer: Fokus! Provokative Ideen für Menschen, die was erreichen wollen. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2016.

  • Hermann Scherer: Jenseits vom Mittelmaß. Unternehmenserfolg im Verdrängungswettbewerb. Offenbach 2013.

  • Hermann Scherer: Schatzfinder. Warum manche das Leben ihrer Träume suchen – und andere es längst leben. Campus Verlag GmbH Frankfurt/New York 2013.

  • Hermann Scherer: Glückskinder. Warum manche lebenslang Chancen suchen – und andere sie täglich nutzen. Campus Verlag Frankfurt/New York 2012.

  • Hermann Simon: Hidden Champions. Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert. Campus Verlag GmbH Frankfurt/New York2021.

  • Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

Artikelsammlung ansehen