Nachhaltiges Recruiting in der Gesundheits- und Krankenpflege
**Interview mit dem HR-Experten und Unternehmer Werner Neumüller,**Geschäftsführer der Neumüller-Gruppe in Nürnberg, deren Kerngeschäft die Rekrutierungsunterstützung über die Personaldienstleistung vor allem im akademischen Umfeld ist.
Herr Neumüller, schon heute gibt es zu wenig Pflegekräfte. Das Problem wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, weil immer mehr Menschen gepflegt werden müssen. Was muss getan werden, um einen Kollaps zu verhindern?
Der Pflegeberuf muss attraktiver werden. Dazu gehört nicht nur eine faire Bezahlung, denn nicht selten werden Pflegekräfte krank durch Arbeitsverdichtung, schlecht planbare Dienste, Überlastung und Dauerstress. Krankheitsbedingte Ausfälle kommen dann gehäuft vor. Keine gute Voraussetzung, um professionelle Leistungen zu erbringen.
Im Dezember 2019 warb ein Krankenhaus in Bremen nicht um Ärzte, sondern verstärkt um Gesundheits- und Krankenpfleger: „10.000 Euro – gönn dir deinen Bonus.“ Wer mindestens anderthalb Jahre dabeibleibt, erhält die Prämie. Was halten Sie von diesem Ansatz?
Nach meiner Meinung und Erfahrung muss und kann der Fachkräftemangel nicht nur mit monetären Ansätzen gelöst werden. Den Fach- und Pflegkräften muss vor allem mehr Wertschätzung, Anerkennung und Zuverlässigkeit entgegengebracht werden. Nahezu alle Interessierten sind sich der Vergütung in ihrem Wunschberuf in und nach der Ausbildung bewusst und entscheiden sich genau dafür.
Wenn dann aber aus Gründen des Personalmangels oder aus Kostendruck viele Planungen bezüglich der Arbeitsschichten und freien Wochenenden nicht eingehalten werden, ein tatsächlicher Freizeitausgleich für geleistete Überstunden nicht erfolgen kann oder nicht ausreichend Zeit zur eigentlichen Arbeit, der Pflege von Patienten und Menschen bleibt, dann entsteht große Unzufriedenheit. Sehr schwer zu ertragen ist das alles für Elternteile oder Ehepartner. Wie soll so das gemeinsame Leben organsiert und realisiert werden, wenn vieles nicht verlässlich ist? Für viele Menschen aus dem Pflegebereich dauerhaft unerträglich und mündet letztlich in berufliche Veränderungsbestrebungen.
Sie sind Gründer und Geschäftsführer der Neumüller-Gruppe in Nürnberg, deren Kerngeschäft die Rekrutierungsunterstützung über die Personaldienstleistung vor allem im akademischen Umfeld ist. Ihr Fokus lag bislang auf qualifiziertem Personal wie Ingenieuren/innen. Weshalb haben Sie Ihr Geschäft um den Bereich Medizin erweitert?
Diesen Bereich betrachten wir als Anschlussmarkt. Wir möchten dazu beitragen, dass Ärzte und qualifizierte Pflegekräfte in der ambulanten und stationären Versorgung möglichst flächendeckend gut behandelt und fair bezahlt werden. Dazu gehört auch eine entsprechende Würdigung ihrer Arbeit. Früher oder später werden wir ihre Hilfe nämlich alle brauchen. Es geht uns vor allem um gute Behandlung und faire Bezahlung. Wir fragen beispielsweise, was ihnen wichtig ist und versuchen dann, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu berücksichtigen und umzusetzen. Dazu gehören etwa familienfreundliche Schichten für Alleinerziehende, höhere Bezahlungen für Jüngere oder persönliche Wertschätzung.
Was sind nachhaltige Vorteile Ihres Ansatzes?
Kliniken und Pflegeheime können dadurch das eigene Personal entlasten oder dort, wo akuter Mangel herrscht, etwa wegen Krankheiten, Ersatz flexibel einsetzen - auch für Schichten am Wochenende. Zudem ist es nicht notwendig, zusätzliche Planstellen einzurichten.
In Ihren Fachpublikationen betonen Sie immer wieder, dass der demografische Wandel zu wenig als Gesamtphänomen gesehen wird. Was meinen Sie damit konkret?
Es wird viel über Fachkräftemangel, Renten, Altersarmut oder Pflegenotstand diskutiert, doch die meisten Themen werden isoliert betrachtet: Rentenexperten sprechen mit Rentenexperten, Gesundheitspolitiker mit Gesundheitspolitikern, HR-Experten mit Personalern. Deshalb sind viele Lösungsvorschläge auch inselartig.
Wer oder was ist Treiber all dieser Einzeldiskussionen?
Die sehr rasch voranschreitende demografische Veränderung, die erfordert, dass sämtliche Themen vernetzt angegangen werden müssen. Denn nur wer die Rahmenentwicklung kennt, kann auch fachlich wie strategisch sinnvoll agieren.
Sie betonen, dass Sie in dieser Branche ebenso wie bisher „anständig und mit Ethik und Moral“ agieren möchten. Was meinen Sie damit?
Die Ethik (griechisch „das sittliche Verständnis“) beschäftigt sich mit dem menschlichen Handeln und der dahinterstehenden Moral. Sie gibt uns Leitplanken für unser tägliches Tun. Moralische Werte sind für uns beispielsweise Anständigkeit, Ehrlichkeit, Integrität und Fairness spielen für uns eine wichtige Rolle. Wir gehören deshalb auch zu den Gründungsmitgliedern von Ethics in Business – der Werte-Allianz des Mittelstands (seit 2012).
Vielen Dank für das Gespräch.
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Weiterführende Informationen:
Werner Neumüller: Rekrutierungsunterstützung über Personaldienstleistung und Arbeitnehmerüberlassung. Am Beispiel der Neumüller Unternehmensgruppe. In: CSR und Digitalisierung, Springer Verlag 2017.
Werner Neumüller: Sport und Gesundheitsmanagement – eine Notwendigkeit in Zeiten des demografischen Wandels. Am Beispiel der Neumüller Unternehmensgruppe. In: CSR und Sportmanagement. Jenseits von Sieg und Niederlage: Sport als gesellschaftliche Aufgabe verstehen und umsetzen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. 2. Auflage, SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2019.
Werner Neumüller: Gutes Klima: Warum Unternehmen einen Kompetenzmix aller Generationen brauchen. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2020.