Nachhaltigkeitspolitik: Ist der Schutz der Biodiversität unterrepräsentiert?
Ende 2020 endet die UN-Dekade Biologische Vielfalt. Die Vereinten Nationen setzten sich zum Ziel, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten aufzuhalten, dafür die verantwortlichen Akteure zu vernetzen, wirksame Strategien zu entwickeln und diese nachhaltig umzusetzen. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Abschlusskonferenz in den Mai 2021 verschoben. Erkennen lässt sich allerdings schon jetzt, dass das Vorhaben nicht erfolgreich war, denn die 20 Ziele der Dekade wurden nicht erreicht. Dokumentiert ist dies im aktuellen 5. Global Biodiversity Outlook der UN-Biodiversitätskonvention.
Gründe für das Scheitern:
• Fehlende ganzheitliche Perspektive (in den relevanten Politikfeldern wird häufig isoliert nebeneinanderher gearbeitet)
• Fehlende Verankerung des Schutzes der Biodiversität in der deutschen und europäischen Politik
• Hohe Kosten unseres Lebensstils
• Fehlende Integration der an der Natur angerichteten Schäden in Preise, Steuern, Subventionen und Zölle
• Inkhärente Politiken auf allen Ebenen (dass mit dem Rückgang der Artenvielfalt auch Ernährungssicherheit und Klimaschutz abnehmen, ist vielen nicht bewusst).
Zwar versprachen am Vorabend des UN-Gipfels zur biologischen Vielfalt im September die Regierungsvertreter aus 64 Ländern, den Verlust der Biodiversität bis 2030 umzukehren, doch die danach beschlossene europäische Agrarreform kippt dieses Vorhaben.
Ohne gravierende Änderungen in der Agrarwirtschaft wird es auch keinen funktionierenden Klimaschutz geben.
Das betont auch der Indikatorenbericht 2019 der Bundesregierung zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Als wesentliche Ursache für den Artenrückgang wird hier ebenfalls – neben verstärkten Bautätigkeiten und Flächenversiegelung - die intensive landwirtschaftliche Nutzung genannt. Wenn durch Klimawandel und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln die Insekten sterben, kann die Pflanzenwelt nicht am Leben gehalten werden. Durch Bestäubung oder Samentransport tragen Insekten zur Vermehrung der Flora bei und sind ein wichtiger Teil der Nahrungskette. Insekten sichern auch die Welternährung (etwa ein Drittel aller Nahrungsmittel geht auf die Bestäubung durch Insekten zurück).
Im Vergleich zum Klimaschutz ist der Schutz der Artenvielfalt nicht nur auf politischer, sondern auch auf unternehmerischer Ebene noch immer unterrepräsentiert.
Dabei sind beide eng miteinander verflochten und verändern entscheidend unsere Lebensgrundlagen. Umso mehr fällt es deshalb auf, wenn sich Unternehmen für dieses Thema engagieren. Was selten ist, ragt heraus und verdient entsprechende Verweise. Für die Führungskräfte und Mitarbeiter von Häcker Küchen in Rödinghausen hat sich beispielsweise die Frage nie gestellt, ob Biodiversität etwas mit ihrem Kerngeschäft zu tun hat, denn die Verbindung ist offensichtlich: Der Standort liegt mitten in der Natur, wo Unternehmensvertreter regelmäßig junge Bäume und Sträucher pflanzen. Auch entstand ein neues Biotop für Menschen, Tiere und Insekten. Die Eichen, Buchen und verschiedenen Wildobstsorten stammen aus einer Kunden-Baumpatenschaftsaktion des Unternehmens. Dabei gibt es kein Limit, denn die Aktion ist auf Jahre ausgelegt.
Im Herbst 2019 hatte sich das Unternehmen dem DGM-Klimapakt für die Möbelindustrie angeschlossen. Auch in diesem Jahr hat wurde hier eine detaillierte CO2-Bilanz aufgestellt, in der die eigenen Emissionen erfasst werden. Sie werden heute schon im Unternehmen positiven Einsparungen gegengerechnet, das verbleibende Delta wird durch den Erwerb von Klimaschutzzertifikaten ausgeglichen. Diese fördern weltweit Klimaschutzprojekte. Klimaschutz wird hier allerdings von Artenschutz nicht getrennt: „Die Lebensgrundlagen der Menschheit sind bedroht, wenn durch den Artenverlust die Natur verarmt. Verloren gegangene Biodiversität lässt sich nicht wiederherstellen“, schreibt Lars Breder, der hier im Marketing arbeitet.
Er betont allerdings auch, dass es beim Erhalt der biologischen Vielfalt nicht nur um den Schutz von Lebensräumen geht, sondern ebenso den von wild lebenden Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen, die gerechte Verteilung der Vorteile aus ihrer Nutzung und verbesserte Entwicklungschancen für die ärmeren, biodiversitätsreichen Länder. In vielen anderen Unternehmen findet eine solch tiefgreifende Beschäftigung mit dem Thema Artenschutz und Biodiversität als wesentliches Managementthema allerdings kaum statt. Dazu genügt oft schon ein Blick in deren Nachhaltigkeitsberichte.
Es gibt aber auch weitere Beispiele im Unternehmenskontext, die hoffnungsvoll stimmen: So haben sich in der Initiative „Biodiversity in Good Company" Unternehmen zahlreicher Branchen zusammengeschlossen, um sich gemeinsam für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der weltweiten Biodiversität zu engagieren. Ziel ist es, den dramatischen Verlust an Ökosystemen, Arten und genetischer Vielfalt aufzuhalten. Dafür macht sich auch die Natural Capital Coalition (NCC), vormals TEEB for Business Coalition, mit den darin zusammengeschlossenen Organisationen stark: Es werden hier verschiedene Methoden, Systeme und Ideen zusammengeführt und in ein konsistentes Rahmenwerk für die Bewertung von Naturkapital in Unternehmensbilanzen überführt.
Weiterführende Informationen:
Der Rahmen unserer Gesellschaft: Stabile Ökosysteme
Lars Breder: Retten statt reden. Was Unternehmen tun, die aus Tradition verantwortungsvoll sind. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.