New Work als wohlklingende Vision: Was denkt die Generation Y?
Interview mit Katharina Pavlustyk, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit bei karriere tutor, über die Idee von New Work, Vertrauen als Basis, notwendige Veränderungen und darüber, wie Mitarbeiter sich im Job selbst verwirklichen können.
Frau Pavlustyk, Sie und Vertreter Ihrer Generation Y sprechen häufig davon, dass Arbeit heute glücklich machen soll. Inwiefern trägt die neue Arbeitswelt dazu bei?
Die Arbeitswelt hat sich durch Digitalisierung, Globalisierung und demografischen Wandel in den vergangenen Jahren stark verändert. Aufgrund neuer technologischer Entwicklungen, Automatisierung und einer Vernetzung über Ländergrenzen hinweg werden manche Berufe von der Bildfläche verschwinden, andere werden neu entstehen. Die wichtigsten Fragen sind deshalb: Wie gehen wir als Gesellschaft damit um? Wie reagieren wir auf die Veränderungen und den Trend New Work?
Vor allem Vertreter der Generation Y hinterfragen das Konzept des „9 to 5“-Jobs. Da ist ein Ruf nach Freiheit und Unabhängigkeit, nach mehr Balance als Work Life. Hierarchische Strukturen, wie sie für viele Jahre Normalität waren, passen nicht mehr in unsere schnelllebige Welt, dank der Digitalisierung kommunizieren wir einfacher und schneller, wir entdecken neue Möglichkeiten und berufliche Chancen. Es entstehen dadurch komplett neue Berufe, etwa der Influencer.
All dies ist Ausdruck eines Wandels, der gefühlt immer schneller passiert. Die Zeiten, als ein Beschäftigter morgens einstempelte, seine Arbeit erledigte, nachmittags ausstempelte und sich bis zum nächsten Arbeitstag nicht mehr mit seinem Beruf beschäftigen musste, sind längst vorbei. Wir können – je nach Berufsfeld – überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit arbeiten, sind fast ständig erreichbar per WhatsApp, Skype & Co. Denn die Zukunft der Arbeit ist nicht starr, wie es unsere Eltern und Großeltern gewohnt sind. Sie ist flexibel und agil.
Der Begriff New Work ist heute in aller Munde. Dabei geht es auch um die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns. Arbeit und Leben würden eine Symbiose eingehen, „von der nicht zuletzt die Unternehmen profitieren, weil glückliche Mitarbeiter zwangsläufig innovativer, produktiver und kreativer sind“, hieß es kürzlich in der Süddeutschen Zeitung, in der auch auf die Problematik der New Work-Visionen verwiesen wurde, denn das Versprechen der Selbstverwirklichung geht auch mit dem Zugriff auf die ganze Person einher. Was bedeutet diese „schöne neue Arbeitswelt“ für Sie und Ihre Generation?
Für viele Menschen ist New Work ein Buch mit sieben Siegeln. Dabei kann das Konzept die Arbeitswelt revolutionieren und auf eine neue Ebene heben. Dem Begründer von New Work, dem österreichisch-amerikanische Soziologen Frithjof Bergmann, ging es, als er den Begriff in den 1980er Jahren geprägt hat, darum, dass jeder Mensch jene Arbeit finden und ausführen sollte, die seinen Wünschen und Träumen sowie Begabungen entspricht. Er hatte eine Freiheit im Sinn, innerhalb derer sich jeder persönlich entfalten und seine individuelle Kreativität ausleben kann. Das ist auch das, was ich darunter verstehe: dass jeder der Tätigkeit nachgeht, die ihn erfüllt.
Ortsunabhängiges Arbeiten allein oder das Arbeiten mit den modernsten Geräten ist also nicht zwingend New Work …
Genau. Dazu braucht es mehr. New Work ist die Antwort auf die Frage, was jeder Einzelne von uns wirklich machen möchte, wo er sein Potenzial sieht und entfalten möchte. Wer das macht, was ihm nicht wie Arbeit vorkommt, weil er darin aufgeht, bringt sich eher mit Ideen ein, denkt Ideen weiter, beschäftigt sich mit den Zielen seines Unternehmens – auch nach Feierabend. Darauf basiert persönlicher, beruflicher und unternehmerisches Erfolg. Auf einem Wollen, nicht auf Müssen.
Wie gelingt es Unternehmen, dass sich Mitarbeiter von sich aus engagieren, dass sie weiterdenken und mehr geben, als sie müssten, weil sie einen Sinn hinter ihrer Aufgabe sehen?
Zunächst einmal sollten Manager und Geschäftsführer ihr Team nicht als menschliche Ressource betrachten, sondern als Menschen, als Individuen mit besonderen Talenten. Jeder Mensch verfügt über einzigartige Fähigkeiten, für jeden gibt es – beruflich gesehen – Plätze, an denen er absolut richtig oder absolut falsch ist. Das zu verstehen und anzuerkennen, ist ein wichtiger Schritt. In der modernen Arbeitswelt kommt es auf Wertschätzung an, auf Kommunikation auf Augenhöhe. Und möglicherweise auf eine neue Bewertung der Aufgaben und der Organisationsstruktur. Vielleicht ist Herr Schröder effektiver und glücklicher, wenn er mehr mit Kunden zu tun hat als bisher? Vielleicht ist Frau Schreiber motivierter und dadurch ausgeglichener, wenn sie sich weiterentwickeln darf und mehr Verantwortung bekommt? Eine gute Führungskraft geht auf die Fähigkeiten und die Vorstellungen der Mitarbeiter ein, fördert sie, ohne Druck zu erzeugen, und kommandiert vor allem nicht.
Wunschdenken, mögen Kritiker einwerfen …
Vielleicht. Doch was ist die Alternative? An Strategien und Konzepten festhalten, nur „weil wir das schon immer so gemacht haben“? Studien zeigen es immer wieder: Die Produktivität von Mitarbeitern hängt mit ihrer Zufriedenheit zusammen. Und natürlich leistet ein Teammitglied, das sich in der Firma „angekommen“ fühlt, mehr als jemand, der nur Dienst nach Vorschrift verrichtet, weil ihn die Themen seines Unternehmens nicht tangieren. Damit das Wunschdenken also Realität wird, braucht es ein Umdenken.
Sinnstiftende Arbeit ist kein Eso-Spiri-Zeug. Sie ist für jeden möglich, wenn er einmal schaut, welche Werte ihm wichtig sind, wie er arbeiten möchte, mit wem und warum. Und hier kommen wir bei jedem Einzelnen an, denn nicht nur Führungskräfte sind gefragt. Jeder Mitarbeiter darf seine Potenziale und Wünsche erkennen, sich fragen, wie er arbeiten möchte und welche Rahmenbedingungen er dafür braucht. Jeder darf entdecken, was in ihm steckt. Und all das ist ein Prozess, ist eine Frage von Führungskultur und Mitarbeiter-Mindset.
Weshalb ist es Ihrer Meinung nach eine Sache des Vertrauens, ob das Konzept von New Work aufgeht oder nicht?
Damit ist nicht bloß gemeint, dass Mitarbeiter in die Geschäftsführung vertrauen sollen. Es ist auch das Vertrauen der Vorgesetzten in jeden Beschäftigten, dass jeder angetreten ist, um einen Beitrag zu leisten und nicht nur monatlich Summe X zu kassieren. Es gibt so viele Jobs, die aus dem Homeoffice ausgeübt werden könnten, doch in deutschen Unternehmen herrscht oft noch ein Kontrollzwang. Leider.
Dabei resignieren Mitarbeiter erst recht, wenn sie feststellen, dass sie mit ihren Ideen, mit ihrem Wissen und ihrer Kreativität nicht willkommen sind, dass sie bloß von 9 bis 5 Uhr anwesend zu sein haben. Erst wenn Vorgesetzte ihrer Belegschaft zeigen, dass eigenständiges Denken gern gesehen ist, und das vielleicht auch abends um 9 oder morgens um 5 Uhr, entwickeln sie sich im Sinne von New Work.
Können Sie ein konkretes Beispiel geben?
Ein Beispiel dafür, dass das funktioniert, ist der Online-Weiterbildungsexperte karriere tutor. Das Unternehmen mit rund 130 Mitarbeitern agiert fast komplett remote, jeder Mitarbeiter kann sich mit Ideen und Vorschlägen einbringen, sich intern oder extern weiterbilden, innerhalb der Organisationsstruktur neue Aufgaben oder mehr Verantwortung übernehmen, wenn er (oder sie) seine (oder ihre) Talente in einer anderen Position besser einsetzen kann. Auch herrscht Vertrauensarbeitszeit: Jeder darf selbst entscheiden, wann er mit der Arbeit beginnt, wann und wie lange er Pausen einlegt. Die Arbeitszeiten werden nicht getrackt.
Es war der Geschäftsführung von Anfang an wichtig, dem Team Vertrauen entgegenzubringen und Freiheiten einzuräumen, „weil Entwicklung nicht innerhalb eng gesteckter Grenzen passiert.“ Das sagt Oliver Herbig, der karriere tutor 2015 mit Andrea Fischer gegründet hat. Das Unternehmen hat sich das Ziel gesetzt hat, Menschen beruflich glücklich und erfolgreich zu machen.
Kann ein Unternehmen Menschen wirklich glücklich machen? Ist das nicht etwas, das von innen kommt?
Es kommt darauf an. Ein Unternehmen, das wie karriere tutor Menschen dabei hilft, ihr Potenzial zu erkennen und darauf aufbauend eine Arbeit zu finden, die ihnen Freude bereitet, kann zum beruflichen und persönlichen Glück beitragen, ja. Und es kann die Voraussetzungen schaffen, damit sich Menschen wohlfühlen und entwickeln können. Aber Unternehmen per se sind nicht dafür verantwortlich, Menschen glücklich zu machen. Glück können wir nur aus uns heraus kreieren, wie wir auch alle anderen Gefühle wie Trauer oder Wut selbst erschaffen. Nicht andere machen uns traurig oder glücklich; wir selbst erzeugen das Gefühl im Inneren. Wenn wir verstehen, dass wir selbst die Verantwortung für unser Leben und all unsere Gefühle tragen, wird uns vielleicht bewusst, wie machtvoll wir sind – und dass wir unser Leben zum Positiven verändern können. Indem wir unangenehme Gefühle nicht wegschieben und mehr und mehr positive Gefühle zulassen. Indem wir das annehmen, was ist. Indem wir immer mehr danach Ausschau halten, was uns wichtig ist, wie wir leben und arbeiten möchten.
Wie möchten Sie selbst leben und arbeiten?
Mir ist vor allem Freiheit wichtig. Ich möchte dort leben, wo ich will, und den Ort wieder verlassen, wenn es mir dort nicht mehr gefällt. Das heißt, dass für mich nur ein Job infrage kommt, der mir diese Freiheit und Flexibilität ermöglicht. Bei karriere tutor kann ich jeden Tag entscheiden, von wo ich arbeite – von zu Hause, aus einem Café, vom Wohnzimmer eines Freundes, den ich besuche.
Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur in Ihrem Unternehmen?
Sie ist geprägt durch einen offenen Dialog und Gemeinschaft – auch virtuell und ortsunabhängig. Die Mitarbeiter bei karriere tutor können ihre Arbeitsumgebung jeden Tag selbst wählen, die individuellen Bedürfnisse finden Berücksichtigung. An einigen Standorten schließen sich Kollegen, die gern im Team arbeiten, zu Büros zusammen. Nachhaltigkeit ist die tragende Säule der Unternehmensentwicklung.
Weshalb führt für Sie kein Weg vorbei an der Frage, wie sich Mitarbeiter selbst verwirklichen können?
Wir verbringen viel Lebenszeit mit Arbeit, und wenn diese nicht wenigstens zu 50 Prozent Spaß macht, führt dies auf Dauer zu Frustration und Resignation. Wenn uns die Arbeit nicht glücklich macht, bringen wir keine Leistung, sind wir weder produktiv noch effektiv. New Work bedeutet, dass jeder beruflich glücklich sein kann, dass jeder abseits der Arbeit gut für sich sorgt (mit gesunder Ernährung, Bewegung, ausreichend Pausen und Schlaf), um am nächsten Tag gestärkt seine Aufgaben anzupacken.
Ist es Wunschdenken, dass New Work flächendeckend Anwendung findet?
Wahrscheinlich schon, denn dafür sind teilweise große Veränderungen nötig – persönlich, unternehmerisch und organisatorisch. Doch es ist für uns einfacher als je zuvor, das zu machen, was wir machen wollen, was uns wirklich liegt, zu den Rahmenbedingungen, die zu unserem Leben passen.
Immer mehr Unternehmen experimentieren heute mit einem räumlich flexiblen Arbeitskonzept. Das bestätigt auch die Umfrage des Digitalverbands Bitkom: 2014 waren es gerade einmal 22 Prozent der in Deutschland ansässigen Unternehmen, die das Arbeiten im Homeoffice möglich machten. 2018 wagten bereits 39 Prozent der Unternehmen den Schritt zu mehr Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsortes. Weshalb ist für viele Menschen heute Homeoffice ein Motivationsfaktor?
Ich glaube, dass sich immer mehr Menschen mit ihren Werten und Wünschen beschäftigen, mit dem, was ihnen wirklich wichtig ist im Leben. Wir wollen immer weniger Kompromisse eingehen, sondern unser Leben – und die Arbeit spielt da eine große Rolle – nach unseren Vorstellungen gestalten. Natürlich ist es schön, in seiner Arbeit aufzugehen und dabei die Zeit zu vergessen. Aber wir wollen auch genug Zeit für die Familie haben, für Freunde, für Sport oder Hobbys, bei denen wir im Flow sind. Wer täglich zwei Stunden mehr hat, weil er nicht ins Büro und wieder nach Hause pendeln muss, ist möglicherweise entspannter. Wer Pausen machen kann, wann er will, hat mehr Raum für Kreativität. Ich glaube, dass die Leistungsgesellschaft ausgedient hat. Dass immer mehr Menschen aus gewohnten Mustern ausbrechen. Und das zeigt sich auch in der Arbeitswelt.
Zur Person:
Katharina Pavlustyk, Jahrgang 1984, ist Sprach- und Literaturwissenschaftlerin, hat als Redakteurin bei einer Tageszeitung und in der PR-Branche gearbeitet. Sie ist Autorin und schreibt über Themen wie Glück („Auf Umwegen zum Glück“, 2018), Selbstliebe („Sei dir selbst ein guter Freund“, 2017) und berufliche Erfüllung („Liebe deine Arbeit“, 2016). Bei der karriere tutor GmbH ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Weiterführende Informationen:
Was New Work wirklich bedeutet: Lars Kroll über die Zukunft des Arbeitens
New Work: Freiheit macht verantwortlich
Stefan Kühl und Peter Laudenbach: Ich will mich einbringen. In: Süddeutsche Zeitung (11.6.2019), S. 9.