Nichts für Feiglinge: Würde des Alter(n)s
Ein sich rasch näherndes Ende oder viele Dinge nicht mehr tun zu können, macht mich einfach fertig und auch traurig. Ich war früher eine geschickte Turnerin, die beispielsweise Spagat, Radschlagen und Flickflack konnte. Eines Tages sollte ich Ballett tanzende Kinder während der Vorstellung fotografieren. Dazu setzte ich mich, um niemanden zu stören, im Schneidersitz vor die erste Reihe der Sitzplätze auf den Boden. Als ich genug Material in der Kamera hatte, wollte ich rasch aufstehen. Aber ich konnte es plötzlich nicht mehr so schnell. Ich konnte mich erst erheben, als mir ein herbeieilender Mann hoch half. Ich bin sicher, dass niemand diese Szene beachtet hatte, aber ich schämte mich fürchterlich.
Meine Mutter lachte, denn obwohl sie um Jahrzehnte älter war als ich, saß sie immer im Schneidersitz auf dem Teppich, wenn es bestimmte Tätigkeiten erforderten – auch noch mit 93 Jahren! Wir liebten es als junge Menschen auch, mit dem Rad alle bekannten Seen zu umrunden und hatten unsere Drahtesel auch in Großstädten immer dabei. Und wir kraxelten auf jeden Berg, der ohne Anseilen zu erklimmen war. Der Abschied von solchen Dingen tat einfach weh. Ich mochte später keine Geburtstage mehr, denn sie ermahnten mich ständig daran, wie schnell die Zeit verging.
Für mich hat das Altern etwas Unerträgliches. Dabei geht es nicht nur um Falten, Übergewicht und Zähne, die plötzlich nur mit viel Geld elegant zu retten sind. Es störte mich beispielsweise auch, plötzlich nicht mehr ohne Brille lesen zu können. Oder zu sehen, dass meine schönen dichten Haare immer dünner wurden.
Nein, nicht mehr! Meine Erfahrungen brachten mich immerhin so weit, dass ich schon lange nicht mehr von meinem Aussehen abhängig bin. Ich schöpfe mein Selbstvertrauen aus meinem vielfältigen Können und Wissen. Früher machten mich halt andere Sachen glücklich.
Als ich Anfang 20 war, bewarb mich bei einer Messe in Linz um einen zweiwöchigen Job als Hostess. Einziger verlangter Einstellungsgrund in der Tageszeitung war, dass man gut aussehen musste. Als ich dann dort vor einem Büro wartete, wollte ich eigentlich sofort wieder gehen. Ich hatte noch nie so viele attraktive junge Frauen gesehen. Es müssen etwa 30 gewesen sein. Der Verantwortliche ging an uns allen vorbei in sein Büro und forderte mich als erste auf, mit ihm zu kommen. Er ließ mich Platz nehmen und er verkündete dann, dass i c h den Job habe. Ich frage grinsend: "Ohne mir eine einzige Frage zu stellen?" Er sagte freundlich: "Weil sie die Hübscheste unter all den Schönen sind." Danach begann ich, mein Aussehen wichtig zu nehmen und erfreute mich oft an solchen Situationen.
Ja, lange Zeit. Ich nahm sogar, als sehr junger Mensch, bei einem Foto-Modell-Wettbewerb mit, nur um zu sehen, ob ich unter die ersten Zwanzig kam. Ich wurde Erste. Aber ich beendete diese zunächst lustigen Ausflüge in die Modewelt nach Wien, als mir der alte Produktionsleiter in seinem Büro meine Bluse zerriss, sodass die vielen Perlmuttknöpfchen unter seinen Schreibtisch sprangen. Meine Karteikarte wurde danach sofort entfernt, denn andere Mädchen waren nicht "so zimperlich" wie ich. Diese Geschichte mit den herunterfallenden Perlen ließ ich auch meine Protagonistin in meinem Buch erleben.
Ich war Auszubildende und wurde von einem Angestellten, der bestimmt doppelt so alt wie ich (14) war, im Firmenkeller lachend auf einen Haufen Verpackungsmaterial geschubst und unmissverständlich ekelhaft bedrängt. Ich konnte fliehen und beschwerte mich heulend bei unserem Chef. Der sagte achselzuckend: "Man liebt den Verrat, doch nicht den Verräter!" Leider habe ich solche Vorfälle noch häufig erlebt. Aber ich war danach ziemlich selbstbestimmt, und ich habe mich immer erfolgreich gewehrt, ohne jemandem davon zu erzählen. Nur dieses eine Mal hatte ich als Vierzehnjährige versuchte Hilfe zu bekommen. Und dieser schwachsinnige Firmenchef hatte erreicht, dass ich mir immer wie ein Verräter vorgekommen wäre, wenn ich solch einen Vorfall gemeldet hätte. Auch vor meinen Eltern hätte ich mich geschämt. Und mein Vater fand sowieso, dass es nicht gut war, mit Röcken rumzulaufen, die nicht weit unters Knie reichten.
Einen Tag, nachdem meine Ausbildung beendet war, verließ ich ohne Erklärung und ohne Einhaltung der Kündigungsfrist die Firma. Der alte Chef drohte mir mit einer Anzeige, und ich sagte nur kalt, dass er lieber vorsichtig sein soll! Und er war vorsichtig. Danach war eine kaufmännische Büro-Schreibkraft und - obwohl ich mich mit keinerlei großartigen Leistungen hervortat - wurde ich ständig als Aushilfe von der obersten Direktions-Etage der Vereinigten Österreichischen Eisen und Stahlwerke angefordert. Mir war völlig klar, dass ich dies nur der Tatsache verdankte, dass ich ziemlich gut aussah. Bei der ersten Aufdringlichkeit eines Direktors sagte ich, für alle gut hörbar: "Nein, bitte nicht!" Und schon begleitete man mich freundlich zum Lift ins Untergeschoß. Mein Vorgesetzter dort mochte mich, aber er wusste sofort, warum ich wieder zu seinen Leuten gehörte - und er freute sich.
Es gab da noch mehr solche Beispiele, die sich dann auf natürlichem Wege erledigten. Ich war inzwischen sehr glücklich verheiratet und mir genügte es, dass ich meinem Mann noch immer gut gefiel. Meine Liebe zum Kreativen kann ich wegen ihm übrigens seit vier Jahrzehnten ausleben. Sofern ich ihm nicht die Strapazen, die Ausstellungen mit sich bringen, aufhalse. Wenn ich allerdings für ein Geschenk oder für einen Verkauf ein schönes Passepartout brauche, holt er freiwillig seine, dafür nötigen Großgeräte aus der Garage und schneidet den schönsten Schrägschnitt. So gesehen hat er mir auch schon immer den Rücken freigehalten, auch als meine Kinder noch klein waren.
Ich mochte das Älterwerden, wie gesagt, schon als Kind nicht. Ich war zufrieden, eines zu sein, und während sich meine gleichaltrigen Freundinnen den BH mit Watte ausstopften, graute mir vor dem ganzen Erwachsenwerden und allen kommenden Begleiterscheinungen. Ich kämpfte erstmals mit dem Schmerz, den der Gedanke an das Älterwerden in mir auslöste, da war ich erst neun Jahre alt. Es war kurz nach Mitternacht. Meine Eltern waren ausgegangen. Und ich weiß noch genau, dass ich meine geliebte, schreiende Babyschwester aus ihrem Stubenkorb genommen und sie zu mir in mein Bett gelegt und uns beide warm zugedeckt hatte. Sie beruhigte sich augenblicklich und schlief ein. Plötzlich musste ich bitterlich weinen, denn ich wollte nicht, dass wir älter werden. Ich dachte an unsere Zukunft, wenn ich 19 Jahre alt sein, und dieses süße kleine Wesen zehn Jahre alt sein würde. Und dass es möglicherweise bald so etwas wie mein Bruder werden würde, der mich n i e gut behandelt hatte. Leider wurde meine Schwester auch wirklich so … rücksichtslos und unehrlich wie mein Bruder. Aber es dauerte 30 Jahre bis ich aufhörte, sie trotz allem über alles gerne zu haben.
Sie erlaubte nie, dass ich ihr ihre Haare färbte ("Ich habe das Recht weiße Haare zu haben!"), und sie benutze für ihren ganzen Körper nur einen großen Tiegel Allzweckcreme. In ihrem Toilettentäschchen gab es nur einen zartfarbenen Lippenstift und einen Augenbrauenstift. Meine Freundin, eine Hautärztin, gab ihr völlig Recht: "Wenn es w i r k l i c h wirksame Hautcremes gegen Alterungsschäden gäbe, dann würde es keine eitlen, reichen, alten Frauen geben, die wegen ihrer Falten jammern!" Obwohl meine Mutter 100 Jahre und 10 Monate alt wurde, war sie immer gepflegt. Und bis zum Schluss freute sie sich am ehesten darüber, wenn ich ihr immer einen Flakon "Tresor" brachte. Ich liebe diesen Duft noch immer.
An den Genen konnte das nicht liegen. Meine Mutter wurde in der Weihnachts-Nacht von ihrer Mutter verlassen, da war sie etwa drei Jahre alt. Und ihre Mutter wollte sie erst 30 Jahre später erstmals sehen, als meine Geschwister und ich schon auf der Welt waren. Meine Großmutter starb früh. Der Vater meiner Mutter war ein Gewohnheitstrinker. Er musste deshalb sogar einige Male wegen Körperverletzung ins Gefängnis. Einmal warf er den Dackel einer Geliebten aus dem Fenster, weil sie seine Tochter misshandelt hatte. Aber er war nie gewalttätig gegen meine Mutter, sie war sein einziges Kind. Und wenn er Geld hatte, verwöhnte er sie mit Dingen, die es in Österreich 1926 noch nicht gab: ein Kinderfahrrad, kleine Rollschuhe, eine Sprechende Puppe mit Schlafaugen und so weiter. Und dann holte er sie von s e i n e r Mutter (die eine wohlhabende, zänkische Frau war, die ihrem Sohn nie verzieh, dass er ihr ein Enkelkind aufgedrängt hatte) wieder einmal zu sich. Meine Mutter wurde danach ständig Zeugin von seinen tätlichen Übergriffen.
Meine Mutter konnte sich noch lebhaft daran erinnern, dass sie für ihren Vater Schnaps in einem Laden holen sollte, als sie noch nicht einmal in die Schule ging. Die Besitzerin sagte, dass ihr Vater nichts bekäme, solange er so viele Schulden bei ihr hätte. Meine Mutter, etwa fünf Jahre alt, trottete heim und berichtete. Ihr Vater nahm sie beim Handgelenk und zog sie gewaltsam mit. In dem besagten Laden nahm er etliche Kasten Bier und schleuderte sie durch das Glas-Schaufenster nach draußen. Das war ein Schock für so ein kleines Kind.
Die Polizei nahm ihn sofort mit, um das Kind kümmerte sich niemand. Und meine Mutter wanderte ganz alleine (etwa 7 km) zu ihrer Großmutter. Diese war eine gottesfürchtige, bösartige Frau, die ihrem unschuldigen Enkelkind während allerlei Züchtigungen schreiend vorhielt, was ihr Vater für ein Taugenichts war, und wie sehr sie es hasste, wieder für ein Kind sorgen zu müssen. All diese Berichte verarbeitete ich in meinem Buch "In Würde jung". Ich ließ meine Mutter den Entwurf lesen, und sie sagte nur: "Leider stimmt das alles! Aber untersteh dich, das drucken zu lassen, solange ich lebe!" Dass meine Mutter trotz dieser schlimmen Erlebnisse, die sie ertragen musste, immer ein liebevoller, humorvoller, gütiger, bescheidener und positiv denkender Mensch blieb, ist mir immer noch ein Rätsel. Sie war meinem Vater unendlich dankbar, dass er sie so gut behandelte. Und wir erhielten von ihr nur unendliche Liebe.
Das kann und will ich nicht genau erklären. Soviel nur dazu: Ich hatte es gern, wenn ich etwas geschenkt bekam, oder - in ihren Geschwisteraugen - übermäßig "verdiente", aber es bedeutete mir nichts, z.B. ein Geldgeschenk, das ich bekommen habe, auszugeben. Ich verschenkte immer großzügig. Und meine Geschwister ... na ja, die waren da anders. Es konnte nicht die Erziehung gewesen sein. Wir hatten alle drei einen strengen Vater und eine liebevolle Mutter.
Beeinflusst hat mich mein geliebter Mann, der mich immer einfach machen ließ. Der mich buchstäblich in die erste Bank schubste, als mir ein Bankdirektor anbot, meine "sehenswerten Gemälde" in seinen Räumen auszustellen und ich mit meinem Wäschekorb voll "unwürdiger" Bildern gerade wieder abhauen wollte. Ein Mann, der ganz wenige eigene Bedürfnisse hat und doch erlaubte, dass ich zu meinen Kindern so großzügig sein durfte, wie er es zu seiner leiblichen Tochter war. Ein Mann, der mich dazu erzog, großzügig Geschenke, Trinkgelder und Spenden zu verteilen. Ein Mann, der alles verzeiht und alles Materielle leicht loslassen kann. Was ich noch immer nicht kann.
Alles tun zu können, wozu wir Lust haben, denn, was immer wir ausgeben, das zahlen alles unsere Erben!
Eigentlich nicht. Denn ich war immer achtsam und lebte immer bewusst. Und, obwohl es noch nicht modern war, nachhaltig zu leben, war ich schon immer eine Allesverwenderin!
Natürlich meine Malerei. Und seit ich Menschen fand, die mich auf die Idee brachten und mir halfen Instagram zu verstehen und zu nutzen, habe ich eine tägliche Frühstücksfreude. Nicht nur, dass ich mich über die meisten Follower-Klicks (nur einige wenige lösche ich s o f o r t!) freue - es macht ungeheuren Spaß andere gut Gemalte zu sehen und sich inspirieren zu lassen.