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Ökologie der Zeit: Lob der Pause

Die Unruhe ist ein ständiges Sehnen und Drängen, ein permanenter Aufbruch, ein zielloses Treiben und Getriebensein, ein Wandel ohne Ziel, der keine Verbindung herstellen und keinen Übergang schaffen kann. Es ist nicht dieser Augenblick, das Hier und Jetzt, was heute zählt, sondern immer nur der nächste.

Kaum jemand setzt sich noch genüsslich ins Café. Stattdessen wird ein Coffee-to-go bestellt und schnell getrunken. Innere Unruhe ist heute so etwas wie ein permanenter Alarmzustand, aus dem es keine Befreiung, sondern nur Erlösung gibt. Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel kennt die Fallen der modernen Beschleunigungsgesellschaft aus eigener Erfahrung: 2007 schrieb sie das Buch „Das Glück der Unerreichbarkeit“, in dem sie den täglichen Termindruck und das Trommelfeuer der Dauerkommunikation beklagte und ihren Lesern dringend empfahl, immer wieder Ruhephasen einzulegen und abzuschalten.

Das klang zunächst einleuchtend – drei Jahre später allerdings bewies ausgerechnet sie selbst, dass es mit solchen Tipps allein nicht getan ist. 2010 veröffentlichte Meckel das Buch „Brief an mein Leben – Erfahrungen mit einem Burnout“. Darin berichtet sie, wie ihr genau das passierte, wovor sie in ihrem ersten Buch gewarnt hatte: Während sie eine Vielzahl von E-Mails beantwortete, den Koffer für eine Konferenz packte und an tausend Dinge zugleich dachte, versagte ihr Körper.

Dabei hat Muße nichts mit Faulenzen zu tun. Für Aristoteles war sie der Angelpunkt, um den sich alles dreht. Tugend und politische Weisheit sind ohne Muße nicht möglich. Wer sich ihr hingibt, zieht sich von der alltäglichen Welt beobachtend zurück, um dann mit erneuter Kraft wirksam und produktiv zu sein. Dazu muss ein Schritt zurückgegangen werden, um die Unruhe zunächst einmal zu verstehen.

Doch was bedeutet das für Pausen in Unternehmen? Auch hier braucht es eine Einbettung in Zeitverläufe, die Mitarbeitenden Orientierung gibt. Alle sind angewiesen auf die Unterscheidung der Zeiträume, die für die eigene konzentrierte Arbeit benötigt wird, und jener Zeiträume, die nur für Pausen reserviert ist. Dabei spielt auch die Umgebung eine wichtige Rolle, die zugleich das Selbstbild und die Firmenphilosophie des Unternehmens ausdrückt. Viele Aufenthalts- und Pausenräume ähneln heute Spielplätzen für Erwachsene, Kaffees oder Kaffeehäusern.

Einige Ansätze geben allerdings Anlass zur Skepsis, denn diese Räume muten zuweilen wie Vergnügungsparks an, in denen es überall Neues zu entdecken gibt. Auch das ist anstrengend und macht den Kopf nicht frei. „Wehe, du willst zwischen Für und Wider deinen Stuhl setzen“, sagte der Philosoph Friedrich Nietzsche, der sich zum Philosophieren nicht an den Schreibtisch setzte, sondern spazieren ging.

Darauf verweist auch Arianna Huffington in ihrem Buch „Die Neuerfindung des Erfolges“. Einer ihrer Lieblingssprüche ist: „Es löst sich im Gehen“. Dies bezieht sich auf die Antwort, die der griechische Philosoph Diogenes im 4. Jahrhundert v. Chr. auf die Frage gegeben hat, ob Bewegung real sei. Um die Antwort zu finden, stand er auf und ging los. In ihrem Buch beschreibt Huffington auch die Bedeutung von Pausen für die Mitarbeitenden: Die Redaktion hatte zwei Ruheräume für Nickerchen, die mit der Zeit voll belegt waren. Dabei wurden sie mit Skepsis und Zögern begrüßt, als sie vor zehn Jahren eingerichtet wurden.

Firmen mit einer nachhaltigen Führungs- und Unternehmenskultur berücksichtigen die Eigen-Zeiten der Kreativen genauso wie Aus-Zeiten für alle Mitarbeiter: So stehen in der Züricher Google-Zentrale bunte Kojen, die auch zum Schlafen genutzt werden können. Der Berliner Spieleerfinder Wooga bietet seinen Mitarbeitern sogenannte „Couchicles“ zum Entspannen. Die memo AG, ein ökologischer Versandhandel, bietet ihren Mitarbeitenden zum Wohlbefinden nicht nur einen Naturgarten rund um das Firmengebäude und bei schönem Wetter eine bestuhlte Terrasse zum Entspannen, sondern auch einen Wintergarten mit Sitzgruppen, Sofaecke und einem „ausgefallenen Hängesessel“ (Quelle: memo-Nachhaltigkeitsbericht 2013/14). Eine große Rasenfläche steht für sportliche Aktivitäten zur Verfügung. Dies inspiriert und schafft Möglichkeiten zur Entspannung.

Der Rest zeigt sich in der verantwortungsvollen Wirtschaftsweise solcher Unternehmen, die die Sorge um die Gesellschaft und den Menschen gleichermaßen einschließen. Auch die Kreativwirtschaft könnte ohne Ruhephasen niemals nachhaltige Ergebnisse bringen, die erst durch „Entzug“ entstehen. Wer sich nur von einem überfüllten Terminkalender treiben lässt und sich selbst keine Zeit reserviert, um neue Ideen zu entwickeln und Dinge wirklich „durchzudenken“, der verliert Weg und Inhalt.

Henry Ford soll einmal einen leitenden Angestellten verteidigt haben, der seine Beine gern auf den Schreibtisch legte, und der deshalb der Faulheit bezichtigt wurde. Seine Antwort: „Lasst diesen Mann in Ruhe, der durch intensives Nachdenken eine grandiose Idee entwickelt hat, die mir Millionen ersparte und von der wir alle etwas haben. Vielleicht hat er wieder eine solche Idee.“

Nachhaltigkeit und Gesellschaft: Schlaf muss eine leistungsfreie Zone bleiben.

Ralf Konersmann: Die Unruhe der Welt. S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015.

Miriam Meckel: Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle. München 2009.

Miriam Meckel: Brief an mein Leben. Erfahrungen mit einem Burnout. Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg 2010.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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