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Ortlosigkeit als wahre Behausung: Sisis Weltflucht

Über Wohn- und Seelenleben

Wohnen ist die Weise, in der wir uns in der Welt befinden und der Versuch zu leben, ohne sich zu verlieren. Im althochdeutschen „wonên“ klingen neben „Liebe“ auch „zufrieden sein“ und „bleiben“ mit. Menschen gestalten ihre Umgebung und werden umgekehrt von ihr geprägt. „Zeige mir dein Haus. Und ich sage dir, wer du bist“, weiß der Volksmund. Wohnwelten sind Ausdruck unseres Denkens und Empfindens, aber auch Abbild des Seelenlebens und Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dies bei Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837-1898), der besonders „wandelnde Sehnsuchtsorte“ am Herzen lagen.

In seinem Bildband „Sisis Wohnwelten“ fragt Alfons Schweiggert, der zuvor vielbeachtete Bücher über König Ludwig II. veröffentlichte: Wo fühlte sie sich wirklich zu Hause? Was waren für sie Albtraumschlösser und Kerkerburgen? Wohin floh sie, wenn sie das Leben an einem Ort nicht mehr ertrug? Gezeigt wird die Vielfalt ihrer Behausungen, in denen sie sich vor allem die Nähe zu toten Idolen wünschte und Platz für „Wolkenkraxeleien“ brauchte: Märchenschlösser, angemietete Luxushotels, pompöse Schlossanlagen, stattliche Villen, Landhäuser, Jagd- und Berghütten sowie kleine Pensionen und Gasthäuser und die Salons in ihrem Hofsalonwagen.

Rastlos reiste sie durch die ganze Welt - und durch ihr Leben. Ihre Spuren führen von Madeira bis Korfu, von Paris bis Amsterdam, vom Tegernsee bis Bad Ischl. Das Salzkammergut war für sie einer der wenigen Orte, wo sie sich wohlfühlte und Momente der Ruhe empfand. Auch mit Schloss Possenhofen, von ihr seit Kindertagen „Possi“ genannt, verbindet sie viele schöne Erinnerungen an ihre ersten Lebensjahre. „Sie liebt dieses Paradies von Blumen, Bäumen, einer wildromantischen Parklandschaft, die blauen Fluten des Starnberger Sees und den Blick auf die faszinierende Bergkette.“ Von der modernen Architektur, bei der die Häuser mit der Natur verschmelzen, wäre sie vermutlich begeistert gewesen. Denn „draußen“ konnte sie ihren Kummer ablegen, den ihr vor allem das spanische Hofzeremoniell in Wien, die Auseinandersetzungen mit der Schwiegermutter bereitete oder Gerüchte, dass Franz Joseph ihr wieder einmal untreu gewesen sei.

Auch fühlte sie sich als Gebärmaschine. Als mit dem dritten Kind der ersehnte männliche Thronfolger Rudolph geboren wurde, war das "katzeln" (wie sie es nannte) vorbei. Die Entfremdung von ihrem Mann nahm danach weiter zu. Sie notierte: "Für mich keine Liebe, für mich keinen Wein, das eine macht besoffen, das andere speien." Das Reisen wurde zu ihrer ihre Obsession. Deshalb gehörten zu ihren Sehnsuchtsorten vor allem Schiffe und Kajüten. Sie wollte immer unterwegs sein, vor allem auf dem Meer, wo sie auch bestattet werden wollte.

In ihren Widersprüchen und Ängsten erscheint sie wie ein homo melancholicus, der zugleich Prototyp des modernen Menschen ist: Erstrebt wird Unendlichkeit in Raum und Zeit, ohne sie jemals erreichen zu können. Schon Blaise Pascal (1623-1662), der den Begriff der Langeweile wohl als erster in seiner philosophischen Bedeutung herausstellte, erkannte in der Angst vor dieser „Zeitkrankheit“ das Elend jenes Menschen ohne Gott, der dauernd, wenn auch immer nur kurzfristig mit Erfolg, nach Zerstreuung suchen müsse.

Das Bewusstsein der existentiellen Verlassenheit wurde nach dem Selbstmord ihres Sohnes, des Kronprinzen Rudolph, noch verstärkt. Elisabeth war seelisch gebrochen, verkaufte ihren Schmuck und trug nur noch schwarze Kleidung. Als Mater Dolorosa (Schmerzensmutter) kam die Introvertierte der Welt immer mehr abhanden. Sie alterte stark und verbarg ihr Gesicht hinter Fächern und Regenschirmen, ließ sich nicht mehr fotografieren und ließ Aufnahmen stark retuschieren. Sie sagte, dass der Körper weiterlebt, „aber die Seele ist längst gestorben." In den „Wohnwelten“ von Alfons Schweiggert ist sie noch zu finden, wenn man sie richtig zu lesen weiß.

Literatur:

Alfons Schweiggert – Sisis Wohnwelten: Traumschlösser, Seelenorte und Fluchtburgen der Kaiserin von Österreich. Allitera-Verlag 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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