„Radfahren schafft neue Horizonte!“ Interview mit Olaf Schulze
Sie ist landschaftlich und kulturell faszinierend: Bis zum Rennsteig nach Süden via Arnstadt (Bach) und Ilmenau (Goethe) sind es keine 60 km, bis zum Brocken im Norden in Sachsen/Anhalt via Lutherweg und Goetheweg gute 100 km, nach Westen bis Eisenach (Bach, Goethe, Luther) und nach Osten über Weimar (Schiller, Goethe, Herder, Wieland) bis Jena (Goethe, Schiller) oder Rudolstadt (Schiller) sind es auch nur diese 60 km. Ich bezeichne in einem Buchbeitrag auch die weißen Flecken, wo Goethe, Schiller und Luther schon waren, und ich mit dem Rad noch hinwollte. Bis zum 22. April 2023 war ich noch nie mit dem Rad in Jena, aber das habe ich geändert.
Über den „Zwangsweg“ Weimar, wo man aufpassen muss, nicht schon so fasziniert zu sein, dass man gleich dortbleibt, ging es über die Hügelkette nach Jena. Als Industrie- und Universitätsstandort top, manchmal kommt es kulturell etwas unter die Räder, aber eine tolle Stadt, schön im Saaletal gelegen, und es gibt viel Schiller-ndes und natürlich auch eine Goethe-Galerie. Ich bin dann das Saaletal entlang nach Dorndorf und wieder hoch nach Dornburg zu den Dornburger Schlössern gefahren. Traumhaft, Kleinod, tolle Aussicht, und auch Goethe hat dies genossen und in Briefen geschildert. Und nicht umsonst gibt in Jena die berühmte Schiller-Universität (FSU). Bei aller Begeisterung, es war Saisonanfang, und ich war restlos fertig, als die Radtour zu Ende ging, aber Jena war jetzt endlich auch erreicht, und auf dem Rückweg ging es über Apolda mit seiner Goethe-Brücke und einer wirklich hübschen Innenstadt den Ilmradweg über Oßmannstedt entlang. Dort befindet sich das Wieland-Gut, wo Christoph Martin Wieland lebte, und Weimar zurück. Wieland, der u.a. als Schriftsteller und Shakespeare-Übersetzer einerseits und Zeitgenosse Goethes in Weimar andererseits Berühmtheit erlangte, ist am 5. September 1733 geboren – am 5. September dieses Jahres war ich ereignis-zufällig in Wien.
Wenn schon nicht mit dem Rad so fuhr ich in der Abenddämmerung mit der U- Bahn in den 10. Bezirk und lief aus diesem Anlass über die Wieland-Gasse zum Wieland-Platz und besuchte den Wieland-Park - eigentlich ein Spielplatz im Wohngebiet, und mit vielen fröhlichen und offenbar glücklichen Menschen, die in der Dunkelheit den Abend draußen verbrachten. Zurück zum Hotel im Zentrum ging es per Pedes, und ich hatte wieder das Glück, gleich hinter dem Schillerplatz zu übernachten und habe natürlich an der Hofburg auf dem Weg zu meinem Termin am nächsten Morgen unseren Goethe besucht.
Ja, es war so unglaublich, die Vorwegweser, die Wegweiser, das Ortseingangsschild – überall Goethestadt, und ja, sie ist es. Das Theater wunderschön, ein kleiner Park, historische Gebäude und ein Schiller-Gedenkstein. Ich fuhr ab Erfurt wie entfesselt, es gab sicher Westwind im Rücken, zur Unstrut und dann bis Bad Lauchstädt, dann weiter bis Halle-Süd auf dem Goethe-Radweg. Ich besuchte das Wohnhaus meiner Eltern, wo wir ab 1978 wohnten, dann ging es zur August-Hermann-Francke-Schule, der Anlass für die Visite, und über die Martin-Luther-Universität, wo ich studierte, zu meinem Cousin. Kurz durch die Maske (die Kleidung hatte ich im Rucksack), und dann gab es ein tolles Klassentreffen, das wir alle fünf Jahre mit hoher Verbundenheit untereinander durchführen. Am Abend holte mich einer meiner Söhne ab, vorher das Rad, und weit nach Mitternacht fuhr der Sohn den Vater nach Hause. Als ich am nächsten Morgen das Rad aus dem Auto holte, gab es wieder einen genialen Zufall: Der Rad-Tacho zeigte 123 km an, und 1982 haben wir die Klasse 12/3 verlassen.
Im Oktober 2022 ist mein Bruder plötzlich und unerwartet während einer Autofahrt genau an dem Goethe-Radweg durch Herzinfarkt verstorben - auch ein Bild mit dem Goethe-Piktogramm, dass sich in mein Gehirn fräste und mich nicht mehr verlässt. Man sieht, wie persönlich plötzlich die „Zukunft Mikromobilität“ auch in dieser Dimension werden kann.
Das ist so unglaublich fesselnd, immer an der Stelle: Die letzte Runde ist legendär … - da bekomme ich kein Wort mehr heraus und im Kopf fahre ich die letzte Runde von Täve und Bernhard Eckstein am 13. August 1960 mit. Im Osten unseres Landes kennt den Täve jeder, jedenfalls in meinem Alter und 33 Jahre jünger und die Älteren sowieso, eine Persönlichkeit, ein Sportler, ein Held, ein wahrer Mensch. Als ich im Mai dieses Jahres, wieder in Halle, bei einer Jugendweihe war, ist Täve leider Tage vorher von einem Vordach gefallen und hat sich die Rippen geprellt – sein Befinden war viel wichtiger, und jeder hatte diese Nachricht irgendwo gehört oder gelesen, anstatt den sonstigen TOP- Nachrichten. Vor zwei Wochen hatte ich dann mit einem Schulfreund gesprochen, es ging schnell flott durch verschiedene Themen, und zufällig wieder zu dem Täve-Text. Sprachlich fuhren wir den Sachsenring, ich stockte wie immer bei: Die letzte Runde ist legendär … und danach ging mein Freund mit seiner Frau durch den Taunus auf Radtour. Ich bin sicher, dass sie jetzt auch den Täve kennt.
Es ist kein normales Buch, das steht für mich fest, und nicht etwa, weil ich einen Aufsatz beitragen konnte, sondern weil es das Radfahren erlebbar macht. An einem Schrank in meinem Arbeitszimmer hängt ein Foto von mir auf dem Weg hoch mit dem Mountainbike zum Mendel Pass in Süd-Tirol, und daneben ein Täve-Bild mit Autogramm. Zum Mendelpass fuhr ich 1995 vom Kalterer See mit einem MTB, dass ich in der METRO in Halle kaufte, aber das wäre schon die nächste Geschichte ...
Die Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied, daran glaube ich. In Düsseldorf im Büro sind wir vier von sieben Kolleg:innen, die nahezu oder täglich mit dem Rad auf Arbeit kommen, die weiteste Entfernung sind 25 km. Und man glaubt es kaum, in diesem Sommer hatten wir zur gleichen Zeit 4 x Pech, 1 E-Bike – Motor im Eimer, 1 Tretlager kaputt, 1 Reifen platt und ich bin noch besser, habe mir das Ventil herausgerissen und den falschen Schlauch gekauft, bekam das Ventil nicht durch die Felge. Da leidet man untereinander mit, wenn das Fahrrad kaputt geht, und man nicht mehr vergnügt die 2 oder 10 oder 25 km zum Arbeitsplatz radeln kann. Auch das ist Zukunft Mikromobilität - nicht irgendein Buch, sondern eine Schicksalsgemeinschaft, und an Mobilität glauben wir alle! Auf geht’s! Und das Job-Bike gibt es bei METRO dazu, denn wer will, der kann!
Seit vielen Monaten hatte ich meinem Sohn, der in Göttingen studiert, angekündigt, dass ich ihn mit dem Rad besuchen komme. Wenn er hart studiert, muss ich auch Härte gegen mich selbst beweisen: Dass das schon überschlägig eine lange Tour wird, war klar: Am 17. Juni 2023 der Kaltstart, 5.00 Uhr via Thomas Müntzer Stadt Mühlhausen, Theodor Storm Stadt Heiligenstadt ging es quer durch Thüringen und Südniedersachsen mit zwei Freunden zu ihm nach Göttingen - ich meine, es waren 138 km. Die beiden Freunde waren wesentlich fitter als ich, aber auf dem Rückweg hinter Heiligenstadt begann der Erste, die Füße in einem Bach zu kühlen: Also fuhr ich verabredungsgemäß allein weiter, die Beiden holten mich dann irgendwann wieder ein. In Dingelstädt brauchte der eine oder andere in einem Discounter Proteine usw.
Da ich langsamer fuhr, verabredeten wir, dass ich nach Mühlhausen toure, und die Beiden mich dann dort einholen. In Mühlhausen keine Spur, noch vier km hinter mir – wir mussten nach Erfurt, also nächste Station Bad Langensalza Bahnhof. Die beiden kamen einfach nicht näher – am langen Ende geht es nicht mehr um Geschwindigkeit, sondern nur noch um Strecke! Als ich am Bahnhof Bad Langensalza nach km 239 auf den Zug nach Erfurt wartete und meine Freunde anrief, waren die auch in der Stadt, aber statt Bahnhof haben sie ARAL verstanden - Thüringer nuscheln irgendwie. Meine Policy war, nicht im Dunkeln offroad zu fahren, denn ich habe in diesem Leben schon drei Wochen Krankenhauserfahrung, weil im Dunkeln irgendein Ast quer zum Radweg stand… Aber jedenfalls verabredeten wir, dass meine beiden Helden mit dem Rad nach Erfurt fahren und ich mit dem Zug: Ich brauchte dann noch 12 km vom Bahnhof Erfurt nach Hause und schlug bei 251 km ein. Wie es sich gehört, war ich geduscht, das Bier stand unangerührt auf den Tisch, keine Freunde dabei = kein Bier. Eine gefühlte Ewigkeit später, kurz vor Mitternacht, kamen meine Freunde, echte Helden, nach 265 km bei mir zu Hause an, total fertig, aber gegen alle Widrigkeiten, Dunkelheit, Unwegsamkeit und deutliche Kühle, hatten sie es geschafft, unglaublich.
Radfahren schafft neue Horizonte! Ich war davor im Jahr 2018 mit 256 km von Erfurt nach Brandenburg einmalig mehr als 250 km an einem Tag unterwegs – und mit Kontinuität, Zähigkeit und ein wenig Goethe, Schiller, Luther ist das zu schaffen. Meine Frau schimpfte übrigens mit mir, dass ich meine Freunde allein gelassen hatte: Hmm, wir Drei waren zwar abgestimmt, aber sie hatte Recht, ich hätte den „gemeinsamen“ Rückweg einfordern müssen. Nächstes Jahr gibt es eine neue Zukunft Mikromobilität, diese erfordert und erzeugt besonderes Sozialverhalten, denn man kann mit dem Rad zügig an Grenzen kommen und vor allem über die Horizonte hinausfahren!
Deutsche Einheit und Kultur der Nachhaltigkeit. Interview mit Olaf Schulze
Nachhaltig in Bewegung: Was macht ein Mobilitätsbeauftragter?
Olaf Schulze: Eine Radtour in Thüringen ist immer auch eine Tour zu den „Drei Gleichen“: über Stock und Stein mit und zu Goethe, Schiller, Luther … In: Zukunft Mikromobilität. Wie wir nachhaltig in die Gänge kommen. Ein Rad-Geber. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber. Büchner Verlag, Marburg 2022.
Olaf Schulze: Elektromobilität. Ein Ratgeber für Entscheider, Errichter, Betreiber und Nutzer – Facetten zu Ladeinfrastruktur, Subventionsregeln, Kosten und Handling. Springer Nature, Wiesbaden 2022.