Nachhaltigkeitsraum - Lars Breder/Häcker

Raum für Nachhaltigkeit: Warum wir auch emotionale Zugänge brauchen

Nachhaltigkeit braucht Leidenschaft zum Konkreten

Wer Nachhaltigkeit im wörtlichen Sinn be-greifen will, muss zuerst den Raum entrümpeln, in dem dieses kulturell tief verwurzelte Wort neben vielen inhaltsleeren Begriffen steht, die seinen eigentlichen Kern verdecken. Binnen weniger Jahre wurde aus einem „gewachsenen“ Begriff, für den es keine Alternative gibt, ein abgeschlagenes Allerweltswort. Der fast 300 Jahre alten Leitterminus des deutschen Forstwesens bezeichnet der die Verpflichtung bezeichnet, Reserven für künftige Generationen „nachzuhalten“, also nicht mehr Holz zu fällen als nachwächst. „Nachhalt“ ist das, „woran man sich hält, wenn alles andere nicht mehr hält.“ Der tröstliche Satz von Joachim Heinrich Campe, erschienen im 1807 herausgegebenen Wörterbuch der deutschen Sprache, hat etwas zeitlos Gültiges und markiert immer auch den Aufbruch eines neuen Bewusstseins.

Die persönliche Vermittlung von Nachhaltigkeit, die vor allem eine Lebenseinstellung und Haltung ist, braucht die Leidenschaft zum Konkreten und ist deshalb mehr als das in politischen Kontexten und wirtschaftsethischen Diskussionen so genannte Drei-Säulen-Modell. Da die meisten den Begriff weitgehend aus ihrer eigenen Perspektive definieren, wird häufig die Grundlage von allem vernachlässigt: die Kultur. Es ist kein Zufall, dass die „cultura animi (Pflege des Geistes) in Analogie zur cultura agri (Landwirtschaft) schon von den antiken Philosophen beschrieben wurde. Hier zeigt sich der offenkundige Zusammenhang zwischen Kultur, Nachhaltigkeit und Natur: Alles, was in ihr wächst, gedeiht durch ihr zugrunde liegende Strukturen, die sich selbst verstärken. Auch in Unternehmen und Organisationen können selbstverstärkende Kreisläufe zu Veränderungen führen und nachhaltiges Wachstum bewirken.

Der Begriff Nachhaltigkeit ist also nicht verbraucht, denn er enthält alles, worauf es im Leben ankommt: Substanz und Sinn. Allerdings können Handlungsanweisungen und Bücher über Nachhaltigkeitsmanagement niemandem die Verantwortung für sein konkretes Handeln abnehmen. Man lernt sie auch nicht auf Business Schools oder von Beratern, die häufig standardisierte Konzepte vermitteln. Gisela Rehm, die beim Familienunternehmen Häcker Küchen das Marketing leitet, verweist darauf, dass das Thema auch emotionale Zugänglichkeit braucht. Das Unternehmen, für das sie tätig ist, hat gerade seinen ersten Nachhaltigkeitsbericht vorgestellt, denn im Zuge der Gewährleistung der Legitimation der eigenen Geschäftstätigkeit sind Firmen heute angehalten, in die Bedingungen zum Fortbestand ihrer „license to operate“ zu investieren. Dabei wächst die Informations- und Rechenschaftspflicht sowohl über die ökonomischen als auch die ökologischen wie sozialen Aus- und Wechselwirkungen ihres Handelns.

Chancen und Herausforderungen für Unternehmen

Der Verantwortungsbereich der Unternehmen erweitert sich demnach über das Betreiben des eigenen Kerngeschäfts hinaus und erstreckt sich auf das gesamte Unternehmensumfeld. Hierbei gilt es, die nachhaltigkeitsrelevanten Anforderungen und Ansprüche externer Anspruchsgruppen (Kunden, Lieferanten oder dem Gesetzgeber) zu berücksichtigen und in Einklang mit den Interessen des Unternehmens zu bringen. Ein Nachhaltigkeitsbericht ist deshalb das Ergebnis eines langen Prozesses, der bei Häcker Küchen mit den Fragen begann: Was bedeutet Nachhaltigkeit konkret für uns? Welche Chancen und Herausforderungen sind damit verbunden? Es folgten eine Bestandsaufnahme und nächste konkrete Maßnahmen im Rahmen des eigenen Nachhaltigkeitsprozesses. Die Umsetzung kann mit der Arbeit eines Bildhauers verglichen werden: Zunächst wird der Holzklotz sehr grob und dann mit fortschreitender Planung immer feiner und detaillierter bearbeitet.

Das Unternehmen besteht seit 1898 und beschäftigt am Standort Rödinghausen 1738 Mitarbeiter. Der Jahresumsatz 2018 betrug 602 Millionen Euro. Die Küchen gehen weltweit in 60 Länder und werden größtenteils mit der eigenen Lkw-Flotte ausgeliefert. Es wurden zahlreiche Baumpatenschaften vergeben und inzwischen 400 Bäume in Rödinghausen gepflanzt. Zudem wurden die Treibhausgasemissionen des Unternehmens erfasst und durch den Erwerb von Klimaschutzzertifikaten für 2019 ausgeglichen. Damit wird ein Waldaufforstungsprojekt in Uruguay von Verified Carbon Standard sowie unter der Hoheit der Vereinten Nationen ein Wasserkraftprojekt in Mali und ein Windkraftprojekt in Indien unterstützt. All dies ist im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens nachzulesen.

Allerdings ist sich Gisela Rehm auch bewusst, dass ein Basiswerk aus Zahlen und Fakten allein nicht ausreicht, um Menschen wirklich zu erreichen. Es braucht auch eine emotionale Zugänglichkeit zum Thema, denn um ganzheitliche Lösungen für die gegenwärtigen Herausforderungen zu finden, muss sich auch die Kommunikation über Nachhaltigkeit ändern. Zahlen und Fakten werden zwar auch durch die wachsende Nachhaltigkeitsberichterstattung zur Kenntnis genommen, aber wirklich bewegen tun sie nichts. „Träume, was du willst, um die Zahlen kümmere dich später“, sagt der Wissenschaftler Michael Braungart. Denn wer sich nur an Zahlen orientiert, setzt seinem Denken enge Grenzen – auf der Strecke bleiben Urteilsvermögen, Emotionen und Leidenschaft. Es bedarf emotionalisierender Zugänge, die alle Sinne ansprechen.

Weil Nachhaltigkeit nicht eindimensional ist und nur in der Durchdringung mit unterschiedlichsten Medien wirken kann, entstand in Rödinghausen ein „Nachhaltigkeitsraum“, denn das Begreifen von Nachhaltigkeit setzt ein greifbares Erleben voraus und die Rückbesinnung auf die Resonanzqualitäten der Dinge. Der Raum wurde bei der diesjährigen Hausmesse des Unternehmens im September vorgestellt. Zudem bestätigt dies Maßnahme einmal mehr, dass in der „Purpose Economy“ oder Sinnökonomie nachhaltige Ideen und Kreativität zu den wichtigsten Wirtschaftsgütern des 21. Jahrhunderts gehören. Sie fordert uns auf, Lösungen durch innovatives Denken und Handeln zu finden. Die Welt kann dadurch nicht gerettet werden – allerdings kann sich unser Verhältnis zu ihr ändern.

Weiterführende Informationen:

Gisela Rehm und Alexandra Hildebrandt: Nachhaltigkeit braucht Markenkraft. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. SpringerGabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2020.

Kathrin Weege: Alles dreht sich um die Familie. In: WESTFALEN-BLATT Nr. 217 (18.9.2019).

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

Artikelsammlung ansehen