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Repairs for Future: Warum wir handwerkliche Intelligenz brauchen

„REPARIEREN IST ENTSCHEIDEND“

In Zeiten der Pandemie, in denen Abstand halten Leben retten kann, sind wir verstärkt auf unsere elektronischen Geräte angewiesen. Einige Menschen können sich den Kauf allerdings nicht mehr leisten. Umso wichtiger ist es, diejenigen, die wir bereits besitzen, zu reparieren, um sie weiter verwenden zu können – im persönlichen Umfeld, mit Unterstützung von Freiwilligen in einem Reparaturcafé oder durch unabhängige Reparaturwerkstätten. All diese Orte haben auch eine soziale Funktion, denn hier kommen gleichgesinnte Menschen zusammen und können sich austauschen und voneinander lernen. Das ist über digitale Formate nur bedingt möglich und ersetzt nicht die Teilnahme an einem vor Ort stattfindenden Reparaturcafé.

Jährlich gibt es in Deutschland etwa 125.000 Reparaturversuche, davon sind 60 bis 80 % erfolgreich. Die Repair-Bewegung findet immer mehr Anhänger. Derzeit gibt es in Deutschland etwa 500 Initiativen. Während des weltweiten Lockdowns wurden die Möglichkeiten zu reparieren allerdings stark eingeschränkt. Reparaturbetriebe wurden zunächst geschlossen, weil sie nicht zu den „systemrelevanten Berufen“ gezählt wurden. Leiden konnten in einigen Ländern bis heute viele ehrenamtliche Reparaturprojekte ihre Tätigkeiten noch nicht wieder aufnehmen, andere sind inzwischen wieder unter Hygieneauflagen aktiv, um Hilfe zur Selbsthilfe zu vermitteln. Beispielsweise haben Reparaturgruppen damit begonnen, Laptops zu reparieren, um diese an Studierende, Familien und Menschen mit geringen Einkommen zu spenden.

Die Kraft der Reparatur

Das Reparieren und die Weiterverwendung von Gegenständen ist ein wichtiges Fundament für ein nachhaltigeres Leben und die Abmilderung des Klimawandels. Es ist entscheidend, dass wiederverwendet wird, was bereits vorhanden ist, aber auch, dass Werkzeuge, Ersatzteile und Informationen zur Reparatur für alle verfügbar sind. Am 17. Oktober 2020 fand zum vierten Mal der internationale Repair Day statt. Die Open Repair Alliance rief alle Reparatur-Initiativen dazu auf, diesen Tag zu nutzen, um die Reparatur als eine entscheidende Aktivität in unserer Gesellschaft zu kommunizieren und zu würdigen. Der englische Slogan für den Repair Day lautete: „REPAIR IS ESSENTIAL“. Die deutschen Veranstalter haben essential mit entscheidend übersetzt. An diesem Tag kamen weltweit Stimmen der Reparaturgemeinschaft zu Wort – darunter Reparatur-Initiativen, unabhängige Reparaturunternehmen und einzelne Reparateur*innen. In weiten Teilen der Welt anders als in der Vergangenheit. Die meisten setzten auf Online-Veranstaltungen.

Mit Reparatur zur Kreislaufwirtschaft

Um Aufmerksamkeit für das Reparieren als handwerkliche Kompetenz und für die Reparaturcafés zu schaffen, fasste der Reparaturaktivist Michel Heftrich 2019 den Plan, unter dem Motto „Mit Reparatur zur Kreislaufwirtschaft“ https://www.reparatur-initiativen.de/post/auf-repara-d-tour-durch-europa 5000 km mit einem dreirädrigen E-Lastenrad (E-Velomobil) durch Europa zu fahren. Die Tour sollte im März 2020 starten. Durch die Corona-Krise verzögerte sich sein Vorhaben, das auf Frühjahr 2021 verschoben wurde. Er möchte in einem Vierteljahr mindestens 50 Reparatur-Initiativen besuchen und mit ihnen gemeinsam reparieren und damit vor allem Aufmerksamkeit für das Reparieren als handwerkliche Kompetenz und für die Reparaturcafés schaffen. Seine voraussichtliche Wegstrecke führt ihn in die Städte Wien-Salzburg–München–Nürnberg–Berlin–Flensburg–Haderslay (Dänemark)–Hamburg–Bremen–Oldenburg–Groningen–Amsterdam–Arnhem–Mönchengladbach–Aachen–Brüssel–Luxemburg–Metz–Saarbrücken–Karlsruhe–Straßburg–Zürich–St. Gallen–Liechtenstein–Bozen–Villach–Graz-Wien. Radelnde Begleitung auf Teilstrecken ist willkommen. Sein Vorhaben ähnelt der traditionellen Walz der Handwerkszünfte. Hier begeben sich Handwerksgesellen auf Wanderschaft und arbeiten unterwegs in Werkstätten mit, um neue Arbeitspraktiken und fremde Orte kennenzulernen.

Sinn entsteht mit der Erfahrung von Sinnlichkeit: Wir begreifen von außen Dinge nur, die wir auch von innen verstehen. So sollten sich Produkte auseinanderbauen und selbst reparieren lassen können. Die Kultur der Reparatur trägt dazu bei, dass sich Menschen wieder mehr zutrauen, selbst aktiv werden und Verantwortung übernehmen. Das ist für viele auch das kleine Glück: sich eine Falte zu formen, in der sie in schnelllebigen und unübersichtlichen Zeiten erfüllt leben können. "Die Kultur der Reparatur basiert auf Kenntnissen, auf Können, auf analytischem Denken, aber auch auf Lebensklugheit, auf Wertschätzung und, vor allem Achtsamkeit. Wie ich mich gegenüber materiellen Dingen aus meiner Umgebung verhalte, sagt etwas über mich als Mensch", bemerkt Wolfgang M. Heckel. Zugleich erbringt er den Nachweis, dass es 10.000 Jahre lang normal war, defekte Gegenstände zu reparieren. Sie wegzuwerfen hat sich erst in den letzten Jahrzehnten etabliert.

Nach dem Gerätekauf ist heute schon wieder vieles veraltet oder defekt.

Langlebigkeit erscheint vor diesem Hintergrund vielen Menschen als ein „anachronistisches” Qualitätskriterium, denn die meisten haben sich daran gewöhnt, nach Ablauf der Garantiezeit alte Produkte zu entsorgen. VAUDE stellte als erste europäische Outdoor-Marke Reparaturanleitungen auf der internationalen Online-Plattform iFixit zur Verfügung: Kunden können einfache Reparaturen an VAUDE Produkten (darunter auch Fahrrad-Zubehör) selbst vornehmen und bei Bedarf auch die dafür notwendigen Ersatzteile und Werkzeuge bestellen. Damit ergänzt das Unternehmen den hauseigenen Reparaturservice und erweitert sein Nachhaltigkeitskonzept um einen weiteren Baustein. Ein defektes Produkt bedeutet hier noch lange nicht, dass damit sein Lebensende besiegelt ist.

Der unternehmenseigene Reparaturservice behebt seit Jahren kleine und größere Schäden, tauscht defekte Teile aus und verlängert damit die Lebensdauer von geliebten Produkten. Praktische Hilfestellungen zum Selbsterledigen sind in „Do-it-yourself“-Reparaturanleitungen zu finden. Werden Ersatzteile dafür benötigt, können diese über den Kooperationspartner iFixit online bestellt oder nach wie vor beim Fachhandel bezogen werden. Das spart Aufwand und Geld, weil der Kunde ein defektes Produkt nicht an den Hersteller einsenden muss.

Nachhaltigkeit beginnt aber auch schon vorher – hier lohnt ein Blick auf den Listungsprozess des Öko-Versenders memo AG, der sich an den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Sozialverträglichkeit und Ökonomie orientiert - ergänzt um den Faktor Qualität. Er umfasst eine ganzheitliche Analyse der Umweltauswirkungen und der Gesundheitsverträglichkeit der Produkte (dazu gehören ebenfalls Fahrräder). Relevant sind Aspekte wie verwendete Materialien, ressourceneffiziente Herstellung, sparsame recyclingfähige Verpackung, möglichst geringe gesundheitliche Belastung des Benutzers während des Gebrauchs, Energieeffizienz sowie die Recyclingfähigkeit bzw. problemlose Rückführung des Produktes in natürliche Kreisläufe und Reparierbarkeit.

Die Beurteilung eines Produktes erfolgt dabei in zwei Schritten: Zunächst dient ein 16-seitiger Kriterienkatalog (die memo Beschaffungskriterien) mit Fragestellungen zu den wichtigsten Aspekten wie verwendete Materialien, Produktzertifizierungen oder Verpackungen als Basisanalyse. „Bei der Vielzahl unterschiedlichster Produkte liegt es jedoch auf der Hand, dass im zweiten Schritt eine sehr individuelle Analyse erforderlich ist. An dieser Stelle ist die langjährige Erfahrung unserer Produktmanager entscheidend. Sie werden im Bedarfsfall vom Nachhaltigkeitsmanagement unterstützt, beispielsweise bei der Recherche neuer Umweltzeichen, Materialarten oder technischer Verfahren“, sagt Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei memo.

Reparieren ist genauso wichtig wie die Materialien, Werkzeuge und Handgriffe.

Für Thomas D von der Band Die Fantastischen Vier ist es zum Beispiel erfüllend, einen Song zu schreiben. Am schönsten ist für ihn der Schaffensprozess selbst: „Man sagt ja auch, dass dieses kreative Ding ein Moment ist, in dem man im Augenblick lebt, eins wird mit dem Universum, wenn man so will. Wenn es einem gelingt, einen Fluss hinzukriegen. Beim Bildermalen, vielleicht auch beim Fotografieren oder beim Schaffen einer Skulptur kann man noch viel besser in einen Fluss kommen, der fast ein meditativer Zustand ist, weil man nicht denkt.“ Auch ein Hobbyschrauber, der in seiner Werkstatt das alte Fahrrad repariert, kann nach seiner Ansicht in so einen meditativen Zustand kommen. All das hat für ihn mit Klärung und Verantwortung zu tun. Wer repariert, bewahrt Erinnerungen, baut sie um und setzt Dinge wieder in Gang in einer reparaturbedürftigen Welt, die durch handwerkliche Intelligenz wieder begreifbar wird.

Weiterführende Informationen:

Repairs for Future

Reparatur-initiativen

Repair Café

Reparatur-Portale

iFixit: Das kostenlose Reparaturhandbuch

Gesellschaft in Reparatur. Was wir können sollten, um sie wieder ganz zu machen

Was man über das Recht auf Reparatur wissen sollte

Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.): Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis. Transcript Verlag, Bielefeld 2016.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2020.

Ilona Koglin und Marek Rohde: Und jetzt retten wir die Welt: Wie du die Veränderung wirst, die du dir wünschst. 2. Auflage. Kosmos Verlag, Stuttgart 2020.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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