Rucksack des Lebens: Warum immer mehr Menschen nein zu totem Gewicht sagen
Suchbewegungen eines Überlebenskünstlers
„Ich neige sehr dazu, aus dem Rucksack zu leben und Fransen an den Hosen zu haben“, schreibt Hermann Hesse in seinem Buch „Wanderung“, das 1920, mitten in der wirtschaftlichen Depression, in Berlin erschien. Die Erzählung beruht auf Wanderungen, die er zwischen 1916 und 1918 von Bern aus übernommen hat. Rucksackwanderungen, die damals zum Lebensstil gehörten, dienten Hesse allerdings nicht der beschaulichen Erholung, sondern gehörten vielmehr zu seiner Überlebenskunst, die von Nietzsche geprägt war: „Sei du selbst“. Hesse war davon überzeugt, dass Menschen wie er durch die „Überwindung der Seßhaftigkeit“ und die Verachtung von Grenzen zu „Wegweisern der Zukunft“ werden. Das ist er geblieben, denn sein Werk hat bis heute alle Krisen überlebt und findet noch immer neue Leser.
Sein „Zeug“ packte Hermann Hesse in einen verschlissenen grünen Jägerrucksack. Noch die Flüchtlinge und Emigranten des vergangenen Jahrhunderts brachten hier ihre Habseligkeiten unter. Er bestand aus robustem Leinen oder Segeltuch und wurde von Hand gewebt. Später im Tessin transportierte er in diesem Rucksack auch seine Malutensilien.
Minimalismus und Nachhaltigkeit
Im Sommer ist der Wunsch besonders ausgeprägt, die Hände frei zu haben. Vor allem in der Mode zeigt sich, dass die heutigen Herausforderungen nicht mehr mit Gold und Glitzer übertüncht werden können. Um die gegenwärtigen Probleme zu schultern, brauchen wir das Solide und den praktischen Zugriff auf die Dinge des Lebens. Dabei müssen Kopf und Hände frei sein. Selbst Luxusdesigner setzen heute auf den Rucksack oder moderne Turnbeutel-Rucksäcke, von denen viele aussehen, als stammen sie aus den Neunzigern. Darunter sind auch zahlreiche Luxusprodukte, die einfach wie ein Päckchen geschnürt und auf den Rücken geworfen werden können.
Dass bei jungen Menschen, die „lange verpönten Turnbeutel aus Stoff“ wieder sehr gefragt sind, bemerkt auch die Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber, Leiterin Unternehmenskommunikation bei memo: „Beliebt sind besonders Biobaumwollbeutel, vielseitige Zuziehbeutel aus besonders hochwertiger Bio-Baumwolle, die mit zwei kräftigen Kordeln zu schnüren sind und als kleiner Rucksack, Schuh- oder Turnbeutel verwendet werden.“ Dass solide Zeiten angebrochen sind, zeigt sich auch in der Sehnsucht nach der Leichtigkeit des Seins und leichtem Gepäck. „Sag nein zu totem Gewicht“ lautet heute die Devise. Allerdings formulierten schon die Berliner Wandervögel vor dem Ersten Weltkrieg: „Packt euren Rucksack leicht! Zieht euch leicht und schön an“. Doch wohin zieht es Menschen, die die Schwere des Lebens einfach ablegen wollen? Der Trend geht weg vom Massentourismus hin zu „kleinen Orten und Unterkünften zwischen Bergen und Wasser“, sagt Claudia Silber, die zudem bestätigt, dass die alte Sommerfrische derzeit eine Renaissance erlebt und der klassische „Urlaub“ an Gewicht verliert.
Viele Menschen möchten heute so mobil, flexibel und beweglich wie möglich sein. Deshalb ist leichtes Gepäck für sie der Inbegriff ihres globalen (und digitalen) Nomadenlebens und von Freiheit. Das Gefühl, autark zu sein, nimmt ihnen die Sorge, sich in der komplexen Außenwelt zu verlieren. Vor allem die Generation Y sieht kritisch auf das Sicherheitsdenken der „Älteren“, die oft zu viel einpacken und die Verzichtsangst des “Was wäre wenn…” nicht ablegen können. Sie folgen der Logik: Je mehr mitgenommen wird, desto besser sind sie gegen alle Eventualitäten geschützt. Vieles mutet fast philosophisch an, wenn sie über das Reisegepäck sprechen, etwa über das 80/20-Prinzip: „Nimm 20% der Ausrüstung mit, die 80% der Situationen unterwegs abdecken.“ Alles andere liegt buchstäblich auf dem Weg und kann unterwegs erworben werden. Deshalb raten sie: „Kauf dir einen kleinen Rucksack.“
Das Limit für eine mehrtägige Wanderung beträgt etwa zehn Kilo. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf Christof Herrmann, der den Blog „Einfach bewusst — minimalistisch, nachhaltig & vegan leben“ betreibt: Von seinem Wohnort Nürnberg aus machte er sich mit acht Kilogramm Gepäck auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung wird seit einigen Jahren auch begleitet vom Song “Leichtes Gepäck“ von Silbermond:
„Eines Tages fällt dir auf,
dass du 99% nicht brauchst.
Du nimmst all den Ballast
und schmeisst ihn weg,
Denn es reist sich besser,
mit leichtem Gepäck.“
Diese Entwicklung zeigt sich auch bei Rucksäcken. So wiegen die von Ultralight-Wanderen nur ein paar Hundert Gramm. 2008 brachte die schwedische Outdoormarke Fjällraven einen Rucksack auf den Markt, mit dem jedes schwedische Kind aufgewachsen ist. Es gab eine Bewegung namens „Mulleskole“, die eine Art Naturschule war: „Jede Woche gingen alle Kinder in die Wälder, um Feuer zu machen, Beeren zu sammeln. Und wirklich jedes Kind hatte so einen Rucksack von Fjällraven. Dann verschwand er und tauchte erst vor ein paar Jahren wieder auf“, sagt Sebastian Westin, Firmengründer der Marke Sandqvist, die in den vergangenen Jahren vom Rucksackboom profitiert hat. Die etwas altmodisch anmutenden Rucksäcke aus festem Baumwollstoff mit Lederriemen gehören zu ihren bestverkauften Produkten. Zu den Käufern gehört vor allem die Generation der heute 40-Jährigen, die damit nostalgische Kindheitserinnerungen verbindet: Der Kånken-Rucksack des schwedischen Outdoor-Ausstatters Fjällräven wurde in den 70er-Jahren als Schulrucksack entwickelt. Heute tragen ihn die groß gewordenen 40-Jährigen, „um zum Beispiel ihren Laptop zu transportieren - und vielleicht auch als Ausdruck einer erweiterten Jugend."
Als das Unternehmen gegründet wurde verglichen Mitarbeiter und Inhaber die Marke mit dem alten Volvo aus den 80-er Jahren, der ein echter Volkswagen war, außerdem haltbar, einfach zu reparieren und ohne Extravaganzen. So sollten auch die Rucksäcke sein. „Wir merken aber, dass die Leute begreifen, dass es total sinnvoll ist, die Hände frei (!) zu haben“, bestätigt auch Sebastian Westin.
Verantwortung tragen
Rucksäcke werden heute auch aus Bio-Baumwolle, Bio-Leder, gebrauchter LKW-Plane oder anderen Upcycling-Materialien hergestellt. Ein Vorreiter ist beispielsweise das mittelständische Familienunternehmen VAUDE, das konsequent auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit setzt: Das Green Shape Logo kennzeichnet Produkte aus nachhaltigen Materialien und ressourcenschonender Herstellung. Als Mitglied der unabhängigen Non-Profit-Organisation Fair Wear Foundation verpflichtet sich VAUDE, deren strengen Verhaltenskodex (Code of Labour Practices) einzuhalten. Der Hauptstoff ihrer Rucksäcke besteht vielfach zu 45 % aus Recyclingmaterial, das Futter sogar zu 100 %. Sie sind für Veganer geeignet und enthalten keine tierischen Bestandteile. Auch vegane Solar-Rucksäcke aus wetterfestem Material, die aus wiederverwertetem PET hergestellt hergestellt sind, liegen im Trend. Nylon, AZO-Farben, Nickel, Cadmium oder Weichmacher kommen nicht zum Einsatz (Quelle: memolife). An solchen einfachen Beispielen zeigt sich, dass es viele Möglichkeiten gibt, uns bewusst und ohne große Einschränkungen für Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu entscheiden.
Weitere Informationen:
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.