Schöne neue Wirtschaftswelt: ehrbar und enkeltauglich
Verantwortung tragen ist nicht nur ein Bekenntnis, sondern auch eine Haltung und ein Lebensgefühl: „Ich tue es! Auch dann, wenn die Chancen, es zu schaffen, nicht rosig stehen“ (Wolf Lotter). Es geht dabei immer auch um Selbstverantwortung statt passiver Verdrossenheit und darum, das eigene Handeln nicht als Last, sondern als Lust zu empfinden. Nur so kann das Gemeinwohl nachhaltig stabilisiert, erhalten und ausgebaut werden. Die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit bietet hierfür einen wichtigen Mehrwert. Sie ist ein strategisches Konzept für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt, das ganzheitlich ansetzt, indem es sich auf die gesamte Wertschöpfungskette bezieht.
Vor diesem Hintergrund sind heute Menschen gefragt, die ihr Handeln nicht ausschließlich in den Dienst des Geldes stellen, sondern durch soziales, ökologisch und natürlich unternehmerisch verantwortungsbewusstes Handeln Nachhaltigkeit in Produktqualität, Ökologie und Wachstum schaffen. Leider werden Begriffe wie Nachhaltigkeit und CSR heute oft phrasenhaft verwendet. Im Interview erläutert die Kommunikations- und Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber, warum es Sinn macht, auch einen alten Begriff einzubeziehen, weil er mit konkreten Bildern und Handlungen verbunden und schon in den kaufmännischen und unternehmerischen Erfahrungen unserer jahrhundertealten europäischen Wirtschaftskultur zu finden ist. Hier ist ein Prinzip für gesellschaftlich verantwortliches Wirtschaften erkennbar, das Wirtschaftsführer seit dem frühen Mittelalter zu nachhaltigem Handeln bewegt hat und noch immer tut: Das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns. Anstand, Augenmaß, Verlässlichkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit sollten auch zum Unternehmensethos und Selbstverständnis einer nachhaltig ausgerichteten Unternehmensleitung gehören.
Interview mit Claudia Silber, Leiterin Unternehmenskommunikation bei der memo AG
Frau Silber, weshalb wird der Begriff „Ehrbarer Kaufmann“ weniger phrasenhaft verwendet als Nachhaltigkeit oder CSR?
Der Begriff Nachhaltigkeit ist laut Duden auch eine über längere Zeit anhaltende Wirkung. Dadurch wird der Begriff zunehmend inflationär eingesetzt und schmälert die eigentliche Bedeutung, nicht mehr zu verbrauchen als nachwächst oder sich regeneriert. Zusätzlich sind Nachhaltigkeit und CSR abstrakte Begriffe, die kein Bild im Kopf erzeugen – das ist beim Ehrbaren Kaufmann anders. Hier entsteht sofort die Vorstellung von einem Menschen, der seine Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt in seinem Unternehmen ernst und wahrnimmt und den nachfolgenden Generationen ebenfalls ein gutes Leben ermöglichen will.
Welche Bedeutung hat das Thema Ehrbarer Kaufmann für Sie persönlich? Welche Assoziationen verbinden Sie mit dem Attribut „ehrbar“?
Mit dem Thema Ehrbarer Kaufmann verbinde ich Verantwortung in erster Linie gegenüber Mitarbeitern, aber auch gegenüber Umwelt und Klima. Ein Ehrbarer Kaufmann handelt und wirtschaftet mit Augenmaß. Er stellt langfristigen Erfolg vor kurzfristige Gewinnmaximierung. Und er will das von ihm oder von den vorhergehenden Generationen aufgebaute für die nachfolgende(n) Generationen bewahren.
Im Jahr 1956 wurden die IHKs vom Gesetzgeber beauftragt, für „Anstand und Sitte des Ehrbaren Kaufmanns“ zu wirken. Was bedeutet das im heutigen Unternehmenskontext?
Nicht besonders „modern“ beschrieben, nach wie vor aber topaktuell: In Zeiten, in denen sich Unternehmen in Steueroasen flüchten oder KundInnen bewusst täuschen, sollten die IHKs meiner Ansicht nach die Instanz sein, die die Ehrbaren Kaufleute unter ihren Mitgliedern unterstützt. Es handelt sich dabei ja in der Regel um den Mittelstand, der das Prinzip zum Teil seit Generationen verfolgt.
"Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können”, lässt Thomas Mann den Gründer des Familienunternehmens Buddenbrook, Jean, in seinem Roman “Buddenbrooks. Verfall einer Familie” sagen. Was können Unternehmer und Führungskräfte von diesem Roman lernen?
Die „Buddenbrooks“ sind einer meiner liebsten Romane. Ich finde, dass Thomas Mann darin sehr gut aufzeigt, wie nahe Aufstieg und Fall beieinander liegen, wie schmal die Grate sind, auf denen Unternehmer jeden Tag wandeln und wie wichtig Vertrauen, Zuverlässigkeit und Ehrbarkeit sind. Das galt damals und heute gleichermaßen.
Weshalb scheitern Unternehmen meistens an einer fehlenden Wertekultur, an mangelnder Lernbereitschaft und an einer eindeutigen Identität (Einheit von Gedanke, Wort und Tat)?
Das ist oft bei Unternehmen, die in kurzer Zeit sehr schnell wachsen und dabei großen (finanziellen) Erfolg haben, zu beobachten. Vielleicht liegt es an der Schnelligkeit, die keine Zeit mehr für strategische Überlegungen lässt. Vielleicht ist es bei einigen aber auch die Gier nach mehr, die ethische Grundsätze in den Hintergrund drängt.
Wie können Anstand, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Verantwortung als Grundsätze wirtschaftlichen Handelns der Marktwirtschaft wieder zu einer besseren Reputation verholfen werden? Und welche Rolle spielt hier das Bauchgefühl?
Diese Grundsätze des wirtschaftlichen Handelns haben nach wie vor eine gute Reputation – vor allem im Mittelstand. Es waren und sind einige wenige Großunternehmen und Konzerne, die sie in Verruf gebracht haben. Ein Ehrbarer Kaufmann hat in der Regel auch eine gute Intuition und entscheidet nach Kopf, Herz und Bauch.
Weshalb wählen Sie im Nachhaltigkeitskontext gern den Begriff „enkeltauglich“? Und was tun Sie selbst für die Enkeltauglichkeit?
Ich mag den Begriff „enkeltauglich“ deshalb so gerne, weil er – wie bereits erwähnt und im Gegensatz zu „nachhaltig“ – kein abstrakter Begriff ist. Er beschreibt Maßnahmen, die dafür sorgen, dass auch nachfolgende Generationen noch eine lebens- und liebenswerte Welt vorfinden. Jeder einzelne Mensch, aber auch jedes Unternehmen kann sich „enkeltauglich“ verhalten – von ganz kleinen Maßnahmen im privaten Alltag bis hin zu den ganz großen Veränderungen.
Zur Person:
Claudia Silber ist seit 2009 als Pressesprecherin bei der memo AG/Greußenheim tätig. Seit 2013 leitet sie den Bereich Unternehmenskommunikation des Unternehmens. In dieser Funktion ist sie nicht nur für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des ganzheitlich nachhaltig tätigen Versandhandels zuständig, sondern ist auch Ansprechpartnerin für die zahlreichen Kooperationspartner der memo AG. Nach dem Studium der Germanistik und Journalistik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg war sie einige Jahre in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Textilunternehmen tätig. Ein internes CSR-Projekt weckte ihr Interesse am Thema Nachhaltigkeit, dem sie sich seither beruflich widmet. Zu ihren Aufgaben gehört u. a. auch die Mitarbeit am memo Nachhaltigkeitsbericht, der alle zwei Jahre erscheint.
Weiterführende Informationen:
Der europäische Geist: Warum der Ehrbare Kaufmann hochaktuell ist
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2020.