Schülern eine Stimme geben: Wie sich die Generation Z gegen Mobbing an Schulen engagiert
Im vergangenen Jahr lösten mehrere Mobbing-Fälle unter Berliner Schülern eine bundesweite Debatte aus. So mahnten Polizeigewerkschafter und der Zentralrat der Juden ein strikteres Vorgehen gegen Antisemitismus an Schulen an. Das Bundesfamilienministerium startete 2018 mit dem neuen Schuljahr ein Projekt gegen religiöses und antisemitisches Mobbing an deutschen Schulen. Sozialarbeiter sind seitdem als Anti-Mobbing-Profis in den Schulen präsent, um sich mit Konflikten auseinanderzusetzen und mit Schülern zu arbeiten. Das Projekt ist Teil des Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus. Die Bundesregierung stellte dafür 20 Millionen Euro bereit. Jeder „Respekt-Coach“ erhält 20.000 Euro, um geeignete Projekte umzusetzen. Hier setzt die App „exclamo“ (lateinisch „Aufschrei“) an. Damit soll es betroffenen Mobbingopfern erleichtert werden, die hohe Schwelle der Scham zu überwinden und Probleme in der Schule klar aussprechen zu können.
Kai Lanz, Jahrgang 2001, ist Abiturient des Canisius Kollegs in Berlin. Im Rahmen des Schulwettbewerbs business@school der Boston Consulting Group hat er mit seinen Mitschülern das Konzept für die App entwickelt. An ihrer Schule wurde bereits viel in Richtung Mobbingprävention und -bewältigung gemacht – dennoch blieb Mobbing im Schulalltag ein Problem. „Das hat uns gezeigt, dass die Lösungsansätze, die es bisher gibt, nicht wirklich funktionieren. Da das Handy und Apps für Schüler alltäglich sind und sie nativ damit umgehen, haben wir uns für einen Lösungsansatz mittels App entschieden.“ Sie ist für alle Schüler, die von Mobbing betroffen sind und sich Hilfe holen wollen. Über die App sind Telefonseelsorgen sofort erreichbar. Eine weitere Funktion ist eine Nachricht an einen ausgewählten Lehrer der Schule.
„In der App finden sich außerdem Tipps, um den Tätern etwas entgegen zu setzen, zum Beispiel konkrete Sätze, die man auf Angriffe erwidern kann. So soll dem Opfer direkt geholfen werden, bis eine Lösung gegen das Mobbing gefunden ist. Damit sollen Mobbingfälle effizient gelöst und dem Betroffenen geholfen werden.“ Das Problem ist nach Lanz‘ Ansicht, dass es beim Thema Mobbing kaum professionelle Hilfe gibt, die wirklich funktioniert. „Entweder ist die Hemmschwelle zwar niedrig, aber es wird nicht richtig geholfen, oder die Hemmschwelle für die Betroffenen ist riesig und deshalb die Nutzung gering. Letztlich verbinden wir die niedrige Hemmschwelle, sich zu melden, wie es etwa in Foren oder bei Sorgentelefonen der Fall ist, mit der Effektivität eines Lehrergesprächs und benutzen dabei das Handy.“
Nun arbeitet er mit seinen Mitgründern Julius de Gruyter und Jan Wilhelm Vollzeit an ihrem gegründeten Unternehmen und möchte Schülern eine Stimme geben, denn jeder sechste Fünfzehnjährige wird regelmäßig Opfer von Mobbing, doch nur jeder Dritte holt sich Hilfe. Ehemalige Betroffene haben ein sechsmal höheres Risiko, später psychisch zu erkranken, 43% der Schüler fühlen sich sehr oft oder oft gestresst und krank, auf einen Schulpsychologen in Deutschland kommen ca. 9.000 Schüler (Quelle: Exclamo).
Ende 2018/2019 wurde mit einer Testphase an ausgewählten Schulen begonnen, unter anderem dem Canisius Kolleg Berlin. Die jungen Gründer sind gerade auf der Suche nach einer Finanzierungsmöglichkeit. „Wichtig sind auf jeden Fall Gespräche mit Investoren, denen das Thema genauso am Herzen liegt wie uns“, sagt Lanz. Der Ansatz funktioniert folgendermaßen: „exclamo-Schulen erhalten einen Administrator-Account und ein definiertes Kontingent an Lehrer- und Schüler-Accounts. Die Schüler haben dann die Möglichkeit, über die Website oder Android-/iOS-App direkt bestimmten Lehrern oder externen Mobbing-Experten unter psychotherapeutischer Aufsicht von ihren Mobbingfällen zu berichten. Lehrer und Schüler erhalten Zugang zu exklusiven Anti-Mobbing-Materialien, die sie im Umgang mit Mobbing im Alltag unterstützen.“
Der Sänger der schwedischen Band A-ha hat eine Autobiographie geschrieben, die an jenen Stellen besonders stark ist, in denen er versucht, sich selbst näher zu kommen. Als er ganz unten ankommt, in den ersten Lebensjahren, ist es besonders schmerzhaft, weil auch er psychologisches Mobbing erlebte: Immer, wenn er etwas sagte, lachten ihn einige Mitschüler aus und spielten mit ihm: Wegen seines Zeichentalents zwangen ihn seine Peiniger manchmal, dass er etwas für sie malte. Und er tat es, weil er akzeptiert werden wollte. Aber als sie erhielten, was sie wollten, begann der Spott von vorn. Dieses prägende Erlebnis empfand Morten Harket als eine Art Weckruf: Er erkannte, dass es in der Welt anders zuging als bei ihm zu Hause – „und dass der Respekt, den meine Eltern anderen gegenüber zeigten, nicht selbstverständlich war“. Diese Erfahrungen gaben ihm innere Festigkeit und Selbstvertrauen – er bildete Widerstandsressourcen aus und erkannte, dass Begriffe wie Resilienz und Nachhaltigkeit für den Einzelnen und die Gesellschaft überlebenswichtig sind.
Weiterführende Informationen:
exclamo. Die App für Schulen gegen Mobbing
Berliner Schüler arbeiten an App gegen Mobbing
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.
Morten Harket: My Take On Me. Edel Germany GmbH, Hamburg 2016.