Shared Leadership: Die Zukunft der Arbeit ist teilbar
Erfolgreiche Schiffsexpeditionen verdanken ihren Erfolg einem verschworenen Team, das gleichgerichtet das gemeinsame Ziel und manchmal Unmögliche ansteuert. In der Wirtschaft gehören Begriffe aus der Expeditionssprache wie „an einem Strang ziehen“, „alle in einem Boot sitzen“, „das Wasser steht bis zum Hals“ längst zum gängigen Wortschatz. Denn auch ein Unternehmen ist eine Schiffsexpedition, die mit neuen Chancenräumen, Entdeckungen, Herausforderungen und Bereicherungen verbunden ist und bei der jeder ein Gefühl für seinen Einsatz haben muss. Viele weitsichtige Unternehmen wie der Druckluft- und Pneumatikspezialist Mader aus Leinfelden-Echterdingen halten ihr Team am wirksamsten mit einer unternehmerischen Vision auf Kurs, wie sie sich auch in dem bekannten Zitat von Antoine de Saint-Exupéry findet: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben, und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.“
Change heißt Wandel und „Leadership“. Als "Erfinder" des Begriffs gilt der Harvard-Professor John P. Kotter, der 1982 und detaillierter 1990 in einem Buch "A Force For Change: How Leadership Differs From Management" den Unterschied zwischen Managern und Leadern erklärte: Als Manager bezeichnete er Verwalter - Leader waren für ihn Visionäre und das Management die perfekte Organisation von Abläufen, Planung und Kontrolle. Leadership bedeute dagegen, das Team mit Visionen zu inspirieren und zu motivieren, was zu verstärkter Kreativität, Innovation, Sinnerfüllung führt. Dabei geht es allerdings nicht nur um eine ambitionierte Zielvorstellung, die das Team anspornt, sondern auch um Sinnfragen, die sich nicht nur auf die Unternehmensexpedition, sondern auch auf die Gestaltung der Lebenszeit sowie Aus- und Einrichtung des eigenen Lebensschiffes beziehen.
Teams für Inhalte und die gemeinsame Route begeistern
Geld, Status oder Macht sind heute für die meisten kein Motivationsgrund mehr, sich auf eine solche Reise einzulassen – vielmehr geht es darum, das Team für die Inhalte und die gemeinsame Route zu begeistern. Außensteuerung ist ohne Innensteuerung allerdings nicht möglich. Sie ist wie ein Band, das in Krisenzeiten auch das gesamte Team zusammenhält. Die besten Leader wissen, dass Aussengeleitetsein und das Geltungsbedürfnis Einzelner das Unternehmensschiff ins Wanken bringen kann. So sah Reinhard Mohn (1921 bis 2009) im "auffällig häufig menschlichen Versagen aufgrund stark übertriebener Eitelkeit“ einen massiven Führungsfehler.
In einer Welt, die immer vernetzter und komplexer wird, ist es unabdingbar, dass Manager lernen müssen, mehr im Schwarm und weniger als machtorientierte Einzelkämpfer zu handeln. Chefs mit einem zeitgemäßen Führungsverständnis sehen in ihren Mitarbeitern keine Befehlsempfänger, sondern machen sie zu Mit-Denkern und Mit-Unternehmern. Diese Entwicklung wird verstärkt durch die Ansprüche und das Leben der Generation Y, das sich in ihren Werten und Vorstellungen erheblich von dem ihrer Vorgänger (Generation X) unterscheidet. Denn ihre Vertreter fragen nicht nur nach dem WAS (soll ich tun?), sondern vor allem nach dem WARUM, das für sie mit sinnerfülltem Tun verbunden ist und maßgeblichen Einfluss auf die Wahl ihres Arbeitgebers hat.
Der Managementexperte und Autor Ronald Hanisch hat in seinem Buch „Das Ende des Projektmanagements. Wie die Digital Natives die Führung übernehmen und Unternehmen verändern“ (2013) die Geschichte dahinter nachgezeichnet: Der Kanadier Douglas Coupland prägte 1992 mit seinem gleichnamigen Buch den Begriff „Generation X“. Sie wuchs mit der neuen Angst vor Aids auf, wurde geschockt vom Störfall Tschernobyl und dem Absturz der Challenger, erlebte 1987 einen Börsencrash, zwei Jahre später den Fall der Mauer, „sah den Einzug der ersten Computer in die Unternehmen und in die Privatwohnungen, die Globalisierung der Wirtschaft, um das Jahr 2000 dann den Crash der New Economy.“ Diese Generation ist zum großen Teil mit Hierarchien und kontrollierten Abläufen aufgewachsen – immer eins nach dem anderen.
Im Zeitalter der Digital Natives, denen „feeling wichtiger ist als standing“ (Hanisch), geschieht das meiste vernetzt und simultan. Sie machen inzwischen 30 Prozent aller Arbeitnehmenden in Deutschland aus und sind in einem technogenen Meer (dem Internet) aufgewachsen. Der Begriff „Cyberspace“ verweist auf den Steuermann. Im Netz surfen heißt, sich im Strom zu orientieren, zuweilen auch zu verlieren, aber auch intelligent auszuwählen. Ronald Hanisch bestätigt, dass große und schwer bewegliche Schiffe und Tanker (Institutionen mit traditioneller hierarchischer und konservativer Ausrichtung) an Bedeutung verlieren werden. Dafür werden „informelle soziale Zusammenhänge wichtiger.“ Beispiele dafür finden sich vor allem im Mittelstand.
Wichtige Entscheidungen werden gemeinsam getroffen
Die erfolgreichsten und innovativsten Unternehmen sind aufgrund ihrer schlanken Struktur und Ausrichtung in der Lage, sich auf kürzere Markt- und Produktzyklen, die Halbwertzeit von Wissen sowie veränderte Mitarbeiter und Kunden einzustellen. Das erfordert schnelles und unbürokratisches Handeln. Dabei ist es notwendig, spezifisch menschliche Potentiale wie Innovationskraft, Engagement, Flexibilität, Kooperation, Fairness, soziale Kompetenz, Integrität, Kreativität sowie Verlässlichkeit der wechselseitigen Handlungs- und Verhaltenserwartungen immer wieder neu zu erschließen.
Das heißt konkret: die „Vielen“ über das informieren, was die „Wenigen“ beschlossen haben, Mitarbeitern individuell und hierarchieunabhängig Zeit, Raum und Handlungsmöglichkeiten zu geben, die erforderlichen Veränderungen auf den eigenen Arbeitsplatz anzuwenden sowie den Change- und Transformationsprozess in enger Zusammenarbeit mit den besonders Aufgeschlossenen und Interessierten weiterzuentwickeln. „Wir sehen uns stellvertretend für viele mittelständische Unternehmen, in denen Persönlichkeit und Engagement mehr zählen als Schulnoten, perfekte Lebensläufe oder gar Herkunft. Der Preis ist eine Anerkennung für unsere Arbeit und Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagte Werner Landhäußer, geschäftsführender Gesellschafter der Mader GmbH & Co. KG, nach der Entgegennahme des IHK-Bildungspreises 2014. Bereits seit Ende 2013 befasst sich das Unternehmen intensiv mit Shared Leadership. Wichtige Entscheidungen und komplexe Sachverhalte werden nicht mehr allein von der Unternehmensführung entschieden, sondern innerhalb des Unternehmens, anhand von Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter. Dies erfolgt entweder gemeinsam oder in Teams.
Dazu gehört unter anderem das Unternehmensprojekt MIT (Mitarbeiter Initiativ Teams), das die Eigenverantwortung und Initiative aller Mitarbeiter stärken und ihnen Raum für neue Ideen mit nachhaltiger Wirkung geben soll. Selbstverwirklichung und das gleichzeitige Erreichen der Unternehmensziele schließen sich in diesem Prozess nicht aus. Er ist eine Folge der Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaft. Durch die Liberalisierung von Bildungsprozessen entstehen mehr „Chancen zur Selbstverwirklichung, ja sogar zur Selbsterfindung“, bestätigt auch Ronald Hanisch. MIT wird von Mader-Mitarbeitern und Führungskräften als eine Ergänzung der Philosophie des Kontinuierlichen (KVP) verstanden - allerdings mit einer stärkeren Fokussierung auf die Mitarbeiterverantwortung. Es ist kein starres Konzept mit festdefinierten inhaltlichen Dogmen, sondern kann an die jeweiligen Strukturen, Erfahrungen und Einstellungen angepasst werden, um Prozesse zu verbessern und zu professionalisieren und die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu fördern.
Dabei geht es auch darum, nicht nur interne, sondern auch mögliche Probleme der Kunden zu lösen, bevor sie spüren, dass es diese Probleme überhaupt gibt. Denn nachhaltige Innovationen gehen immer auch über das hinaus, was sie erwarten. Das ist in einer Zeit der Gleichmacherei, in der Produkte und Dienstleistungen immer ähnlicher werden, besonders wichtig, um als Unternehmen überleben zu können. Führung ist mit der „Umwandlung von Wissen in Kundennutzen“ (Hermann Scherer) verbunden, aber auch mit der Fähigkeit, sich eine bessere Welt vorzustellen und in Konsequenzen zu denken. In einem solchen Prozess erzeugt Shared Leadership mehr Energie, die sich im gemeinsamen Tun potenziert. Energien, die dagegen im Kampf um Hierarchien und Macht verbraucht werden, sind unwiederbringlich verloren.
Weiterführende Informationen:
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.