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Sich ehrlich machen

Das Aussprechen der Wahrheit bringt bekanntlich nicht viele Freunde – aber dafür die richtigen. Der Mitgründer und frühere Geschäftsführer des Reiseveranstalters Berge & Meer, Reiner Meutsch, berichtete einmal, dass er einen neuen Mitarbeiter in der Führungsebene in der Gesellschafterversammlung beantragt hatte: „Ich machte einen Vorschlag – und zwar die Person X. Dann sagte ein Gesellschafter, dem müssen sie dann auch eine Tantieme bezahlen. Ich hatte diesem fleißigen Mann aber schon immer eine bezahlt und hatte nun eine unangenehme Situation. Mein Bauchgefühl sagte mir, das sagst du einfach ehrlich, egal, wie es ausgeht – und ich sagte: ‚Ihm habe ich schon immer eine Tantieme bezahlt.‘ Dann kam natürlich die Frage: ‚Wie viel‘. Ich dachte, jetzt habe ich ein Riesenproblem, denn ich hatte diesem sehr guten Mitarbeiter eine angemessene Tantieme bezahlt. Aber egal, mein Bauch sagte: ‚Sag die Wahrheit.‘ Und das tat ich auch. Ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, aber der andere Gesellschafter lobte mich sogar und sagte, das haben sie sehr gut gemacht. Mein Bauchgefühl hatte wie immer Recht.‘

Schon das englische Wort für Wahrheit (truth) geht auf den Begriff der Treue und Vertrauen (trust) zurück. Das Erkennen von Wahrheit braucht offene Debatten und die Schaffung von Transparenz, ebenso das Abwägen, welche Konsequenzen Handlungen und Entscheidungen mit sich bringen. Der Unternehmer und Autor Werner Neumüller, der sein unternehmerisches Handeln auch als soziale Aufgabe versteht, lernte in seiner Kinder-, Schul- und Ausbildungszeit, wie wichtig es für ihn ist, „konsequent ehrlich“ zu sein: „So habe ich mir Wertschätzung und Förderung erarbeitet. Uns so habe ich als Angestellter und später Unternehmer meinen gemacht.“ Er rät auch anderen Unternehmen, Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Fairness und Engagement bei Führungskräften stärker zu fördern. Auch wenn sie fachlich nicht unbedingt auf dem neuesten Stand sind, so können sie durchaus fördern und entwickeln: durch gute Kommunikation, eine gelungene Werteerziehung, durch Empathie oder eine vorbildliche Selbstregulation. Dies zu schulen, sollte schon in der Ausbildung beginnen und sich in der Auswahl und Förderung im Unternehmen fortsetzen. Bislang wurde ethische Führung vor allem dem Bereich Organisationsmanagement zugeordnet und dabei als unternehmensinterne Erscheinung betrachtet. Das ist heute aber nicht mehr zeitgemäß. Es geht um innere und äußere Führung, weil im Zeitalter der Digitalisierung und Transparenz Informationen schnell nach außen dringen.

„Wer sich ehrlich macht, informiert sich auch „über die Folgen seines Tuns und denkt über Handlungsoptionen und Alternativen nach“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Armin Falk. Zum Markenkern der Neumüller Unternehmensgruppe gehören deshalb: „Ehrlich, fleißig, nachhaltig“. Diese Werte stehen auch für die Balance zwischen wirtschaftlichem Erfolg, Zufriedenheit der Mitarbeitenden und Langfristigkeit, die auch den Schutz und Erhalt von Natur und Umwelt einbezieht. Emotionen sind seiner Meinung nach zentral für das Moralverhalten. Auch bestätigen empirische Befunde aus der experimentellen und verhaltensorientierten Wirtschaftsforschung sowie aus Nachbardisziplinen, dass unser Verhalten nicht nur rational gesteuert ist, sondern auch sehr stark über Emotionen. Emotionen sind ebenso im Sport der ausschlaggebende Faktor: Sie sind mit Selbstvertrauen, positiver Einstellung, Kampfgeist, Herausforderung, Energie und Durchhaltevermögen verbunden. Zu den kraftraubenden Emotionen gehören Gefühle von Selbstzweifel, Erschöpfung, geringer Energie, Schwäche, Hilflosigkeit, Angst, Unbeherrschtheit und Wut.

Veränderung ist auch ein großes Wort für einen Prozess, der stetig und oft unmerklich stattfindet. Bei vielen Menschen führt die eigene Veränderungsenergie auch zum Wunsch, selbst Initiative zu ergreifen. Einige, wie die Klimaaktivistin Greta Thunberg, müssen dann mit dem Vorwurf leben, zu jung, zu unbeherrscht, zu emotionsgeleitet, radikal und hysterisch zu sein. Ihnen wird sogar Vernunft und Kompetenz abgesprochen. Sie solle doch rational handeln, nach sorgfältiger Abwägung von Vor- und Nachteilen, so die Kritiker. Auch Achim Falk empfiehlt: „Besser drüber schlafen. Runterkommen. Überlegen. Und dann handeln.“ Er empfiehlt Abkühlphasen, die zu rationaleren Entscheidungen und Ergebnissen führen. Es gibt allerdings dringliche Themen wie den Klimawandel, die keine Zeit haben, sondern jetzt und sofort gemeistert werden müssen. Die dafür notwendige Veränderungsenergie wird nur durch Emotionen hervorgerufen. „Lasst euch nie einreden, dass es nicht die Aufgabe des Business sei, die großen Fragen der Menschheit anzugehen. Denn das und nichts anderes ist seine Aufgabe“, sagte Anita Roddick (1942-2007), die Gründerin des Kosmetikhandelsunternehmens The Body Shop. Ärger war für sie ein nie versiegender Quell für Energie und Kreativität.

  • Ist es wirklich so schwer, ein guter Mensch zu sein?

  • Sind wir heute zu wenig an der Wahrheit interessiert?

  • Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.

  • Armin Falk: Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein. … und wie wir das ändern können. Siedler Verlag, München 2022.

  • Werner Neumüller: Ehrlich weiter: Auf der Suche nach den Menschen. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. S45-158.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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