Starke Entscheidungen brauchen die Sprache des Herzens
Führungskräfte sollten ihrem Herzen vertrauen, denn die perfekte Entscheidung ist eine Kombination aus Herz und Hirn. Der Verstand sortiert vor, das Gefühl liefert den letzten Anstoß.
Das Herz ist das Innerste des Menschen, das Zentrum der Gefühle, wo Leben und Liebe ihren Anfang nehmen. In Sprichwörtern und Redensarten steht es insbesondere für positive Emotionen. Es ist mehr als nur eine Pumpe, die den Körper mit Blut versorgt. Symbolisch steht es auch für das Ich. Im Yoga wird es als Ort der Liebe, des Verstehens und Vergebens angesehen. Es gibt nur wenige deutsche Begriffe, die Konkretes und Symbolisches gleichzeitig zum Ausdruck bringen. Schon in der Bibel heißt es in 1. Samuel 16, 7: „Denn nicht sieht der Herr auf das, worauf ein Mensch sieht. Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.“ Literarische Unsterblichkeit erlangte der berühmte Satz von Antoine de Saint-Exupéry, Autor des „Kleinen Prinzen“: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Menschen, die sich ihren Gefühlen gegenüber verschließen, leben häufig mit verschlossenem Herzen und sind unerreichbar. Nichts und niemand kann von außen an sie herantreten. Sie sehen die Welt nur mit ihren Augen, aber nicht mit dem Herzen.
Beides hängt miteinander zusammen. Diesen Zusammenhang fand der portugiesische Neurowissenschaftler Antonio Damasio 1982 heraus: Ein Patient von ihm hatte eine Hirnoperation hinter sich, bei dem ihm ein kleiner Tumor aus dem Kopf entfernt worden war. Der Krebs war zwar weg, aber der Patient wurde ein entscheidungsunfähiger Zögerer. Sogar die kleinsten Entscheidungen waren ihm unmöglich geworden. Grund war ein „Entscheidungszentrum“ im Gehirn, das bei der Operation vermutlich beschädigt wurde. Er war emotional völlig erkaltet, konnte keine Traurigkeit empfinden, war niemals fröhlich, ungeduldig oder frustriert. Damasio suchte nach ähnlichen Fällen und fand weitere Menschen, die ihre Emotionen verloren hatten – und damit auch ihre Fähigkeit, sich zu entscheiden. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Wissenschaftler davon überzeugt, dass Entscheidungen ausschließlich rational getroffen würden. Doch ohne Emotionen ist der Verstand völlig hilflos. Damasio schrieb daraufhin das Buch „Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn“, das weltweit ein Bestseller wurde und die Sicht von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft auf menschliche Entscheidungen revolutionierte:
Umgekehrt gilt: Wer Entscheidungen vermeidet, der entscheidet sich damit für ein emotionsarmes Leben. Gute Führungskräfte müssen die Gabe haben, ihr Herz sprechen zu lassen. Sie müssen aber auch in der Lage sein, schwierige Entscheidungen zu treffen. „Wo nur Zahlen präsentiert werden und vermessen wird, gibt es lediglich eine Komplexitätsreduktion – ein vereinfachendes Hilfsmittel, um sich der Realität anzunähern, aber nicht, um sie abzubilden“, sagt der Unternehmer und Personalexperte Werner Neumüller. Er verweist allerdings auch darauf, dass zuweilen unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen. „Dies betrifft insbesondere Kündigungen von Mitarbeitern, die einem zwar ans Herz gewachsen sind, deren Leistungen aber nicht den Erwartungen entsprechen und deren Weiterbeschäftigung somit eine Belastung für das Unternehmen wäre.“ Jack Welch, ehemaliger CEO von General Electric, sagte einmal, gute Entscheidungen treffe man aus dem Bauch. Die Maxime des ehemaligen Skiläufers und Unternehmers Willy Bogner war: „Vertraue deinem Gefühl“. Führungskräfte, die ihrem Herzen vertrauen, nehmen ihre Arbeit um das entscheidende Maß persönlicher, handeln intuitiv und sind niemals mittelmäßig.
Das trifft allerdings auch auf Menschen zu, die in einer Aufgabe vollkommen aufgehen: Für die Fotografin Nicole Simon sind Gefühle für ihre Arbeit unabdingbar. Die Intensität ist auch ein direkter Gradmesser für die Qualität ihrer Bilder. „Neben dem Gefühl ist auch die Nähe zu meinen Modellen wichtig, denn wo sie fehlt, gibt es auch keine echte Kommunikation und keine authentischen Bilder.“ Das Thema war bereits Goethe nicht fremd: Oft gab er sich zugeknöpft und unnahbar, doch war es ihm auf Dauer viel zu anstrengend, weil er spürte, dass die „Blüte des Vertrauens der Offenheit, der hingebenden Liebe täglich mehr" hinwelkte. Bis zu seinem Lebensende konnte er nur neugierig, begeisterungsfähig und lernbereit sein, weil er seinen Gefühlen vertraute – im Zusammenspiel von Bauch und Kopf. Denn die perfekte Entscheidung ist eine Kombination aus Herz und Hirn. Der Verstand denkt und sortiert vor, das Gefühl liefert den letzten Anstoß.
Antonio Damasio: Descartes‘ Irrtum. Fühlen, denken und das menschliche Gehirn. List Verlag. München 2004.
Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
Hermann Scherer: Fokus!: Provokative Ideen für Menschen, die was erreichen wollen. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2016.
Nicole Simon: Fotografieren mit Herz und Verstand: „Wer denken will, muss fühlen“. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.