Freundlich, aber bestimmt: Weichgespültes Feedback bringt niemand weiter (Getty Images)

Trotz Corona, Krieg und Krisen: Warum Du im Jahresgespräch nicht nur auf Kuschelkurs gehen solltest

Je härter die Zeiten, desto weicher das Feedback? Das muss nicht sein. Positive-Leadership-Experte Christian Thiele erklärt, wie Du Jahresgespräche sowohl verständnisvoll als auch fair führen kannst.

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Die Jahresgespräche stehen an. Ich habe Mitarbeiter•innen, deren Performance unter ihren gewöhnlichen Leistungen lagen. Ich vermute, dass sie durch Corona, Krieg etc. erschöpft sind. Darüber haben wir zum Teil schon gesprochen und ich habe Verständnis. Wie kann ich in dieser Situation dennoch faires Feedback geben?
Susanne A., XING Nutzerin
Christian Thiele ist Coach, Trainer, Speaker für Positive Leadership - © positiv-fuehren.com
Christian Thiele ist Coach, Trainer, Speaker für Positive Leadership - © positiv-fuehren.com

Liebe Susanne,

die Jahresgespräche sind für viele wie Schienenersatzverkehr. Muss irgendwie sein, aber eigentlich hat man's am liebsten schnell hinter sich. Das ist eigentlich schade, finde ich.

Machen Jahresgespräche überhaupt Sinn?

Einerseits: Ja, unbedingt. Denn sie bieten eine gute Gelegenheit für Führungskraft und Team-Mitglied, mal in Ruhe über das zu sprechen, was war, was gerade ist, was möglicherweise ansteht. Gerade in Zeiten, wo sich viele im Job weniger sehen und sich nur noch von einem Video-Call in den nächsten klicken, gewinnen die Zahlen, Daten, Fakten die Oberhand und bleibt der persönliche Austausch oft auf der Strecke. Das Jahresgespräch ist eine gute Möglichkeit, mal jenseits vom Tagesgespräch miteinander auf Tuchfühlung zu gehen, unter anderem zu Fragen wie:

  • Was läuft gerade gut?

  • Worauf können wir stolz sein?

  • Was wünsche ich mir von Dir in Zukunft?

  • Was brauchst Du dafür?

Andererseits wäre es falsch, wenn der Austausch zu diesen Themen nur einmal im Jahr stattfindet. Führung ist vor allem Beziehungs- und Kommunikationsarbeit, gerade in Zeiten von Ungewissheit und Umbrüchen. Regelmäßige oder zumindest gelegentliche Check-Ins sollten die Jahres- oder Halbjahresgespräche ergänzen und flankieren.

Wie kann ich ein Jahresgespräch gut vorbereiten?

Als Führungskraft ist die gute Vorbereitung auf ein Jahresgespräch unerlässlich. Ein paar hilfreiche Impulse dazu könnten sein:

  • Wie stehe ich eigentlich zu meinem Gegenüber? Welche Stärken, Fähigkeiten, Talente imponieren mir?

  • Wie zufrieden bin ich mit der Leistung im letzten Quartal/Halbjahr/Jahr? Welche Beiträge, (Zwischen-)Erfolge könnte ich noch mehr herausstellen?

  • Womit bin ich aktuell (noch) nicht zufrieden? Wie realistisch sind diese Erwartungen unter den aktuellen Umständen?

  • Welche Entwicklungsmöglichkeiten sehe ich für das Team-Mitglied? Welchen Beitrag kann die Person selbst dazu leisten, welchen die KollegInnen, welchen ich, welchen die Firma?

(ausführlicher dazu das aktuelle Buch von meinem Kollegen Marcus Schweighart und mir👇🏼)

Marcus Schweighart/Christian Thiele: "Mitarbeitergespräche positiv führen" (BusinessVillage, 2022)
Marcus Schweighart/Christian Thiele: "Mitarbeitergespräche positiv führen" (BusinessVillage, 2022)

Aber auch als Team-Mitglied kann und soll ich mich auf das Jahresgespräch vorbereiten. Auch hier wieder ein paar möglicherweise anregende Fragen:

  • Auf welche (Teil-)Erfolge bin ich stolz?

  • Was macht mir aktuell Freude?

  • Worauf freue ich mich?

  • Wer hat mich in letzter Zeit besonders unterstützt?

  • Wofür bin ich meiner Führungskraft dankbar? Und was wünsche ich mir mehr/anders/weniger von ihr?

(Auch für die Vorbereitung aus Mitarbeiterperspektive liefern wir einige weitere Impulse im Buch.)

Darf ich, kann ich, soll ich Kritisches im Jahresgespräch konstruktiv ansprechen – und wenn ja, wie?

Einerseits: Un! Be! Dingt! Positives Führen heißt ja nicht, alles nur schönreden, immer nur die rosarote Brille aufsetzen, Konflikte unter den Teppich kehren. Das wäre unrealistisch, unauthentisch und auch gar nicht förderlich.

Andererseits ist das Jahresgespräch kein guter Ort für (negative) Überraschungen. Der Maier hat das ganze Jahr nichts groß Negatives gehört von seiner Vorgesetzten Schmidt, aber im Jahresgespräch bekommt er plötzlich die mega-Abreibung verpasst: Das halte ich für unfair und unproduktiv. Kritik sollte möglichst klar, zeitnah und konkret geäußert werden, notfalls auch mehrfach. Ein mögliches Schema dafür ist die so genannte 6-Schritte-Technik (Sie ahnen es schon: In unserem Buch schreiben wir mehr dazu...):

  • eigene Beobachtungen schildern - möglichst vorwurfsfrei

  • die innere Wirkung vermitteln ("mich irritiert/ärgert/nervt das"), auch möglichst vorwurfsfrei und möglichst nicht in Psycho- oder Seminardeutsch

  • Erwartungen formulieren ("deshalb hätte ich gerne, dass Du künftig...")

  • dem Gegenüber zuhören ("Wie siehst Du das?")

  • nächste (Teil-)Schritte vereinbaren

Gemäß Deiner Frage ist Dir offenbar bewusst, dass die Vielfalt der Krisen (Corona, Krieg, Inflation etc.) für viele Mitarbeitende eine große Herausforderung ist. Das finde ich gut, Empathie ist für Führungskräfte gerade in turbulenten Zeiten (mit einem immer enger werdenden Arbeitsmarkt) eine hilfreiche Tugend, die sich auch trainieren und verbessern lassen kann. Zu einem fairen Feedback im Jahresgespräch gehört Einfühlungsvermögen und Verständnis genauso dazu wie eine klare Rückmeldung zu den eigenen Erwartungen.

Ich hoffe, das hilft weiter!?

Liebe Grüße

Christian Thiele

Wie sind Deine Erfahrungen mit Jahresgesprächen? Teile deine Erfahrungen in den Kommentaren

Wer schreibt hier?

Christian Thiele ist Coach, Trainer, Speaker, Dozent für Positive Leadership und Positive Psychologie in der Arbeit. Wie können Führungskräfte, Teams und Organisationen Stärken besser erkennen und anerkennen statt immer nur über Macken zu meckern, Erfolge besser sehen statt immer nur von Fehlern gefrustet zu sein? Darum geht es Christian in seiner Arbeit, in seinen Büchern, in seinem Podcast "Positiv Führen".

Weiterführende Links zum Thema:

📒 Marcus Schweighart und Christian Thiele: "Mitarbeitergespräche positiv führen" (BusinessVillage, 2022)

🎙Podcast "Positiv Führen": Marcus Schweighart und Christian Thiele im Gespräch zu positiveren Mitarbeitergesprächen

🖥 Blogpost "8 1/2 Tipps für positivere Mitarbeitergespräche"

Christian Thiele schreibt über Positive Leadership, Positive Psychologie, Führung, Wirtschaft & Management

Christian Thiele, 48, ist Vortragsredner, Coach, Teamentwickler und Trainer für Positive Leadership. Sein Podcast „Positiv Führen“ ist auf 🎧 positiv-fuehren.com/podcast zu hören, sein Buch "Positiv Führen" ist bei Wiley erschienen. (Ski-)Bergsteiger, (meist) zuversichtlicher Patchworkvater. 

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