Dr. Bernd Slaghuis

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Überflieger: Bewerber, Du machst mir Angst!

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Überflieger: Bewerber, Du machst mir Angst!

Arbeitgeber suchen die eierlegende Wollmilchsau, doch sitzt sie dann im Vorstellungsgespräch vor ihnen, bekommen es viele Personaler und zukünftige Chefs mit der Angst zu tun. Kandidaten mit Einser-Examen, Promovierte mit summa cum laude Auszeichnung, Berufserfahrene mit beeindruckendem Lebenslauf, Hochbegabte. Es klingt absurd, doch ist es Realität: Viele dieser Bewerber haben es heute schwer bei der Jobsuche. Sie kassieren Absagen, obwohl sie doch so viel in ihre Ausbildung investiert haben und lange Zeit dachten, die Arbeitgeber lecken sich die Finger nach ihnen. Worauf Sie bei Ihrem nächsten Jobwechsel achten sollten, wenn auch Sie den Verdacht haben, zu einem der folgenden fünf Bewerbertypen zu gehören ...

1. Hochbegabte mit Einser-Abschlüssen

Ich kenne Personaler, denen ist ein mittelmäßiger Kandidat lieber als ein 1,0-Abiturient. Auch wenn es aus meiner Sicht verstaubte Schubladendenke ist, wird den abgestempelten Strebern vor allem mangelnde soziale Kompetenz unterstellt: Wer nur gebüffelt hat, der kann schließlich keine Freunde und keine ausgeprägten Soft-Skills haben – so die Denke. Ja, als Rampensau im Vertrieb sind diese Bewerber sehr wahrscheinlich tatsächlich ungeeignet, doch viele der Überflieger haben andere Qualitäten, die doch oft erst auf den zweiten Blick sichtbar werden: Sie sind häufig reflektiert, können Neues schnell erfassen, erkennen leichter Zusammenhänge und interessieren sich als Generalisten für viele Themen.

Vielleicht ist es genau das, was manchem Personaler heute Angst macht, wenn er oder sie bemerkt, dass der "Prüfling" schneller denkt, ungewöhnlich reflektierte Antworten gibt und intellektuell auf der Überholspur ist. Und ja, sicherlich gibt es viele Personaler, denen heute ihr Status und ihre verliehene Macht noch wichtig sind. Wer sich da im Angesicht eines Überfliegers klein und selbst minderwertig fühlt, der läuft Gefahr, unprofessionell das eigene Gefühl mit der Qualifikation des Kandidaten zu verbinden. In Deckung gehen und vorsichtshalber die Tür zumachen bedeuten am Ende die Absage. Dabei hätte der Kandidat vielleicht perfekt auf die Stelle, zum Chef und ins Team gepasst.

Wenn Sie zu diesen Hochbegabten oder mit Bestnoten Ausgezeichneten zählen, dann stehen Sie als Bewerber dazu und machen sich nicht selbst klein. Führen Sie sich jedoch gleichzeitig vor Augen, wie Ihre Bestnoten und möglicherweise auch Ihre Denk- und Ausdrucksweise auf andere wirken können. Vielleicht gelingt es Ihnen auch schon im Anschreiben, die Schublade „Einser-Absolvent = sozial inkompetent“ erst gar nicht in den Köpfen entstehen zu lassen, indem Sie Klarheit schaffen, dass Sie trotz Einser-Abschluss doch der ganz normale Typ von nebenan sind ;-)

2. Spezialisten mit Besserwisser-Allüren

Manchmal lese ich in Bewerbungen, dass Kandidaten „ganz sicher das Unternehmen zum Erfolg führen werden“. Besonders bei Bewerbungen von Berufseinsteigern zeugt dies eher von Überheblichkeit und Verlust des Realitätssinnes. Einige Bewerber glauben auch, dass sie ihr Gegenüber im Vorstellungsgespräch belehren müssen. Schnell wird aus „Ich weiß etwas, das Du nicht weißt“ ein „Ihr habt doch alle keine Ahnung!“ Eine gefährliche Falle für Bewerber, die mit ihrem Spezialwissen glänzen und so den potenziellen neuen Arbeitgeber beeindrucken möchten.

Würden Sie als Unternehmen einen notorischen Besserwisser einstellen? Ich nicht! Versuchen Sie als kluger Bewerber, Ihr Wissen zu zeigen, ohne jedoch belehrend oder besserwisserisch zu wirken. Verlassen Sie die Haltung, die Gegenseite von Ihrem Wissen und vielleicht sogar von Ihrem Informationsvorsprung künstlich beeindrucken oder überzeugen zu wollen. Beziehen Sie zu Fragen sachlich Stellung und sagen Sie, was Sie wissen und was Ihnen wichtig ist.

3. Frisch gebackene Doktoren

Sie sind zu alt für Trainee- und zu weit für Berufseinsteiger-Stellen. Sie sind teurer als Hochschulabsolventen mit Bachelor- oder Master-Abschluss, dennoch ist es für die meisten frisch Promovierten der erste Job außerhalb der Uni. Als Wissenschaftler gelten sie als praxisfremde Theoretiker und ewige Studenten.

Das Problem ist tatsächlich, dass die passenden Stellen für Promovierte als sehr hoch qualifiierte und lange ausgebildete Jobanfänger rar sind. Typisch sind Positionen wie Assistent/in der Geschäftsführung, der Einstieg in die Beratung oder Wirtschaftsprüfung sowie Spezialisten-Positionen, die fachlich eng an der Promotion anknüpfen.

Mein Tipp: Suchen Sie gezielt nach Stellen, bei denen Ihr Titel einen Mehrwert – entweder fachlich oder auch persönlich – ausmacht. Positionen, die keine 5 Jahre Berufserfahrung erfordern, aber auch nicht mit einem jungen Bachelor-Absolventen mit weniger Lebenserfahrung besetzt würden. Stellen Sie als Bewerber klar Ihre praktischen Erfahrungen in den Vordergrund, denn auch Forschungsaufenthalte, Vorträge, Lehrtätigkeit, Projekte und Aufgaben am Lehrstuhl sind Berufserfahrung. Seien Sie stolz auf Ihre Promotion, doch nicht jeder muss gleich verstehen, was Sie erforscht haben. Gewinnen Sie als Bewerber etwas Abstand zu den letzen wahrscheinlich sehr intensiven Monaten der Beschäftigung mit Ihrer Dissertation und betrachten Sie alle Ihre vorhandenen Kompetenzen, Talente und Erfahrungen in Gänze.

4. Ambitionierte Weltveränderer

Ich kann verstehen, dass gerade junge Bewerber nach dem Studium dafür brennen, endlich Dinge zu bewegen und das Erlernte in der Praxis anzuwenden. Sie möchten entscheiden, mitgestalten, etwas bewegen, Neues schaffen. Und natürlich das alles sofort am ersten Tag.

Als Bewerber sollten Sie Ihren Weltverbesserer in sich jedoch noch etwas zügeln. Es gibt Arbeitgeber, die möchten nicht, dass ihr Unternehmen von heute auf morgen umgekrempelt wird. Denen Veränderungen und zu viel Wirbel in der Mannschaft suspekt sind. Das macht ihnen Angst. Ob Sie in ein solches Unternehmen als ambitionierter Weltveränderer überhaupt hinein passen, das steht auf einem anderen Blatt. Doch das Bewusstsein halte ich für wichtig, wie eine zu große Dosis Ambition und Brennen für diesen Job auf Entscheider beim potenziellen Arbeitgeber wirken können.

Meine Perspektive: Haben Sie sich als Bewerber mit einer Branche und dem Unternehmen beschäftigt und sehen Sie Potenziale oder haben Ideen für Veränderungen, dann dürfen und sollten Sie darüber sprechen. Doch es macht einen Unterschied, ob Sie heiß auf den Job sind, um endlich alles umzukrempeln, was in Ihren Augen bisher schief lief, oder ob Sie sich und Ihre fachliche Expertise professionell einbringen möchten, um gemeinsam im Team Veränderungen zu gestalten.

5. Lebensfreudige Downshifter

Downshifter sind Angestellte, die sich entscheiden, bewusst einen Schritt auf der Karriereleiter zurück zu gehen. Führungskräfte, die ihre Führungsspanne reduzieren oder Führung sogar ganz abgeben möchten. Ehemalige Workoholics, die bewusst weniger Zeit im Beruf verbringen möchten – und hierfür auch ein niedrigeres Gehalt in Kauf nehmen.

Jeder Downshifter ist per Definition als Bewerber für eine neue Stelle überqualifiziert. Der Personaler fragt sich, warum sich eine ehemalige Führungskraft nun auf eine Stelle im Team bewirbt oder warum es einem Bewerber wichtig ist, geregeltere Arbeitszeiten zu haben. Schnell macht sich die Vermutung von Schwäche oder sogar gesundheitlichen Problemen breit.

Mein Tipp: Machen Sie sich als Downshifter Ihre Überqualifizierung bewusst und schaffen Sie schon im Anschreiben als Bewerber Klarheit, warum Sie sich für diesen Karriereschritt bewusst entschieden haben und warum er für Sie gut ist. Nur so werden Sie als Bewerber greifbar und nur dann hat der Personaler eine Chance, Ihre echte Wechselmotivation zu verstehen.

Spielen Sie kein Spiel, sondern seien Sie echt! - Sehr gut.

Viele von diesen fünf Bewerbertypen sitzen mir regelmäßig im Karriere-Coaching verzweifelt gegenüber und wundern sich, dass sie schon so viele Monate ohne Erfolg den neuen Job suchen. Wenn sie zu mir kommen, haben sie gefühlt bereits alles ausprobiert und sind mit ihrem Latein am Ende. Oft sind sie schon so weit, dass sie ihre Kompetenzen und Erfahrungen vollständig infrage stellen: Das Falsche studiert? - War die Promotion als Biologe doch keine gute Idee? - Sollte ich meine guten Noten im Lebenslauf lieber nicht erwähnen? Und so manövrieren sie sich in Denkfehler hinein, die sie in ihrer Rolle als Bewerber noch weiter schwächen.

Aus purer Verzweiflung beginnen viele von ihnen, sich auf Stellen mit niedrigeren Voraussetzungen zu bewerben und schrauben auch ihre Gehaltsvorstellung runter. Der Beginn eines Teufelskreises, denn so wird die vermeintlich mangelhafte Passung von Bewerber und Stelle aus dem Blickwinkel des potenziellen neuen Arbeitgebers nur noch größer.

Haben auch Sie den Verdacht, dass Sie zu dieser Gruppe Bewerber zählen, dann reflektieren Sie zunächst Ihre Erfahrungen aus den letzten Bewerbungsgesprächen unter diesem Gesichtspunkt. Vielleicht ergibt das Verhalten mancher Recruiter durch diese Brille für Sie einen neuen Sinn. Überlegen Sie, was Sie mit diesem neuen Bewusstsein in Zukunft anders machen können, probieren Sie es aus und schauen Sie, ob es Sie weiterführt. 

Bewerten Sie Ihre Top-Qualifikation nicht länger selbst als unliebsamen Erfolg! Finden Sie wieder zu (altem) Selbst-Bewusstsein und besinnen Sie sich auf Ihre fachlichen und persönlichen Stärken. Denn nur so werden gerade Sie als hoch qualifizierter Bewerber ein stimmiges und authentisches Gesamtbild im Bewerbungsprozess abgeben und einen Arbeitgeber finden, der genau dies zu schätzen weiß.

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Dr. Bernd Slaghuis ist einer von mehr als 70 XING Branchen-Insidern, die ab sofort regelmäßig ihre persönlichen Einsichten mit den mehr als 10 Millionen XING Mitgliedern teilen.

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Karriere- und Business-Coach, Dr. Bernd Slaghuis

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Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 1.800 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.
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