Dr. Alexandra Hildebrandt

Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Ungewöhnliche Karrieren: Fritz Egner

Markus Konvalin
Coverausschnitt aus dem Buch „Mein Leben zwischen Rhythm & Blues“ (Verlag LangenMüller)

Musik überwindet Grenzen. Sie kann Menschen bewegen, erfreuen oder trösten. Wer sie hört und sich ihr hingibt, dem geht das Herz auf. Deshalb ist Musik auch ein Modell „menschlichen Managements“, dessen Ziel die Verständigung und Beziehungspflege ist, die sämtliche Sinne mit einbezieht. Ein reines Ohr erfordert allerdings Feingefühl, Offenheit und ein tiefes Empfinden. Wer verstehen will, muss zuhören können. Das gilt auch im Wirtschaftsleben. Der Radio- und Fernsehmoderator Fritz Egner, der 3. August seinen 70. Geburtstag feiert, hat nicht nur BR-Geschichte geschrieben. Sein ungewöhnlicher Karriereweg zeigt, was es bedeutet, zu etwas berufen zu sein. Im folgenden Interview, das im Vorfeld der diesjährigen Burgthanner Dialoge am 19. Oktober 2019 stattfand, erzählt er, wer und was ihn beeindruckt und beeinflusst hat, und was wesentlich für den Gang oder Lauf seines bisherigen Lebens war.

Herr Egner, Sie haben mehr als 300 Interviews im Laufe Ihrer über vier Jahrzehnte währenden Karriere geführt und viele Künstler daheim besucht. Was macht ein gutes Interview aus?

Empathie auf beiden Seiten. Deshalb ist gute Vorbereitung wichtig. Das Gegenüber muss sich verstanden fühlen und spüren, dass man sich mit ihrer Person und seinem Wirken auseinandergesetzt hat.

Wie erklären Sie sich den Erfolg solcher Specials wie „Fritz und Hits“, die zwar kein Massenpublikum ansprechen, aber dennoch Hörer binden, die auf Inhalt Wert legen?

Musik, die nicht so leicht konsumierbar ist, muss man entweder mit echter Begeisterung vermitteln oder mit einer kuriosen, bzw. interessanten Geschichte verpacken.

Warum war Musik für Sie immer der „Notarztkoffer"?

Musik kann bei mir therapeutische Funktion erfüllen, Trauer oder andere Stimmungstiefs auflösen.

Welches Projekt, das Sie gemacht haben, würden Sie als das beste und das schlechteste einstufen?

Das Schlechteste habe ich verdrängt, auf das Beste warte ich noch.

Muss ein Musiker Grenzen überschreiten, Risiken eingehen und bereit sein, auch einmal zu scheitern, um seiner Rolle als Künstler gerecht zu werden?

Er muss sich das leisten können, wenn er eine Größe hat wie z.B. Prince. Er ist geradezu verpflichtet, Grenzen zu überschreiten.

Stimmen Sie der Aussage zu, dass, wer nicht an seine Vision glaubt, sie auch nicht realisieren wird?

Hundert Prozent!

Ist die Geschichte der Popmusik zugleich eine Geschichte der Grenzüberschreitungen und Rebellion?

Sowas gab es schon immer, aber ein besonders deutlicher Kulturbruch war der Beginn der Rock‘ n‘ Roll Ära der 50er-Jahre.

Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Ihre Gestaltungsmöglichkeiten geringer wurden, je sichtbarer und äußerlich „erfolgreicher“ Sie wurden?

Wenn Sie meine TV-Tätigkeit meinen, wäre das fast passiert. Im Radio ist das eher das Gegenteil.

Was macht für Sie einen guten Song aus?

Man möchte dem Interpreten glauben, was er singt. Und wenn er eine Geschichte erzählt, sollte man das Gefühl haben, er habe sie selbst durchlebt.

Könnten Sie ohne Musik leben?

Nein, niemals. Ein Leben ohne Musik wäre Folter, die falsche Musik gezwungenermaßen hören zu müssen, wäre jedoch noch schlimmer.

Ist Musik ein Mittel, unser aus der Ruhe gebrachtes seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen? Oder soll sie provozieren, uns aufrütteln und an unsere Grenzen führen?

Sie soll nach Möglichkeit alles können, nur langweilen darf sie nicht.

Inwieweit können oder sollen die Zuhörer während eines Konzerts eine Rolle spielen, “einbezogen” werden?

Kommt auf die Musik und die Protagonisten an. Sollte allerdings nicht eingefordert werden, sondern spontan entstehen.

Warum war Ihnen Ihre Prominenz niemals wichtig?

Was ich mache, mache ich aus Begeisterung und nicht, weil ich damit nach Anerkennung lechze oder meinen Geltungsdrang befriedige.

Ist Geltungsdrang heute eine Voraussetzung, um im Fernsehen zu bestehen?

War es schon immer und hilft auch sehr, diesen Job zu meistern. Man sollte von sich überzeugt sein, das kann aber auch mal aufdringlich wirken. Ich besitze von allem zu wenig. Dass man mich trotzdem über 25 Jahre im Fernsehen machen ließ, ist mir bis heute schleierhaft.

Weshalb macht Ihnen Radio nach so vielen Jahren immer noch Freude?

Weil ich das Privileg genieße, alles selbst gestalten zu können.

Was ist das Besondere am Medium Radio – auch im Zeitalter der Digitalisierung?

Radio kann auch eine Art Partner und Freund für die Hörer sein, das kann eine Online-Seite nicht.

Radio als Berufung

Fritz Egner ist heute sehr dankbar dafür, dass sein Bekanntheitsgrad nachgelassen hat. Es wundert ihn, dass heutzutage so viele junge Menschen unbedingt berühmt werden wollen, "denn Anonymität ist ein hohes Gut." An erster Stelle stand für ihn immer das Radio: Eine glückliche Fügung spielte ihm 1974 einen Job als Studiotechniker beim US-Sender AFN (American Forces Network) zu: Er durfte amerikanischen Profis bei der Arbeit über die Schulter schauen. Das war für ihn eine „unbezahlbare Lehrzeit“, bei der er wenig verdient hat, aber reich an Erfahrung wurde. Er hoffte zwar, auch einmal auf Sendung zu gehen, durfte aber zunächst nur die Wetter- und Verkehrsmeldungen verlesen. Egner schlief jede Nacht im Sender und hoffte, dass der Moderator, der die Morgensendung machte, irgendwann einmal verschlafen würde.

Am Ostermontag 1977 kam der Kollege tatsächlich nicht – und Egner ging im Studio auf Sendung. Danach rief im Sender die Frau des amerikanischen Kommandeurs in Bayern an und sagte, dass sie den „funny German“ öfter hören wolle. Von nun an durfte er immer mal wieder auf Sendung. Fünf Jahre bleibt er bei AFN – bis ihm Thomas Gottschalk „durch Zufall“ die Tür beim Bayerischen Rundfunk öffnete. Zeitgleich arbeitete Fritz Egner bei Warner Brothers und lernte die „Szene hinter den Künstlern“ kennen. Er wechselte zu Bayern 3, wo auch Thomas Gottschalk moderierte, der schon damals ein Star war.

Fritz Egner arbeitete 40 Jahre bei Bayern 3 und begeisterte seine Hörer als Kenner der Rockszene mit "Hithouse" und seiner Sendung "Fritz und Hits". Der Musikexperte interviewte unter anderem Harry Belafonte, Diana Ross, Prince, Marvin Gaye, Lionel Richie, Freddie Mercury, Mick Jagger und Stevie Wonder. Von Anfang an lässt sich Egner von seinen Interviewpartnern ein Audioautogramm auf Band sprechen.

Durch seine allererste Platte (Little Richards „Tutti Frutti" mit der B-Seite „Long tall Sally") lernte er 1956 die schwarze Musik kennen und kam nicht mehr von ihr los: „Ich hörte die ganze Urkraft dieser Musik. Wir haben eine neue Welt entdeckt, ja sogar einen anderen Planeten“. Wer das Glück hast, von dieser Musik mitgerissen zu werden, „dann ist das wie ein Aufputschmittel ohne Nebenwirkungen.“

James Brown gehört zu seinen Lieblingsmusikern, seit er ihn 1968 im Apollo Theater in New York in New York erstmals live erlebt hat. Es war für ihn ein „Urerlebnis“ und „pures Dynamit in Form von Rhythm and Blues.“ Egner hatte zwar 1966 und 1967 die Beatles und die Stones live im Münchner Circus Krone erlebt, aber das war für ihn nicht annähernd so überzeugend, wie die Show von James Brown. 1985 durfte er in London sogar spontan ein 45-minütiges Backstage-Interview mit ihm führen. Zu seinen Sternstunden gehören aber auch Begegnungen mit Mick Jagger, George Harrison, Paul McCartney oder Rod Stewart.

Der Tod von Aretha Franklin, die 2008 zu Recht zur besten Sängerin aller Zeiten gekürt wurde, war für ihn persönlich ein großer Verlust, auch wenn er schon länger von ihrer Krankheit wusste: "Man kann sich zwar darauf vorbereiten, aber trotzdem hinterlässt eine Sängerin wie diese eine unglaublich große Lücke - unschließbar eigentlich, weil es solche Sängerinnen und Persönlichkeiten in der Popmusik nicht mehr geben wird." 

Auf seinen Reisen stöberte der Moderator in Plattenläden immer nach Neuheiten und Raritäten. So lagen bis vor einigen Jahren über 20.000 CDs und 50.000 Langspielplatten in seinem heimischen Archiv. Aus Platzgründen musste er sich in den letzten Jahren von einigen trennen bzw. hat sie digitalisiert, heute sind es noch 10.000 Platten. Seine digitale Mediathek umfasst etwa 45.000 Files. Die meisten einzelnen Tonträger besitzt er von Prince, James Brown, den Beatles, den Stones und Elvis Presley. Seine Sammelwut kann sich Fritz Egner nicht erklären. Vielleicht ging es ihm immer darum, gute Musik zu bewahren – gegen die Vergänglichkeit und den Lauf der Dinge.

Er war nie bestrebt, zum Fernsehen zu gehen, weil für ihn Radio immer wichtiger war. Er wäre auch nicht "Dingsda"-Moderator geworden, wenn er nicht zum Casting eingeladen worden wäre, das von einer ehemaligen Hospitantin angestoßen wurde. Ihm wurde erklärt, dass "Dingsda" keine klassische Show sei, sondern mehr "Radio mit Bild", wo er nur die Erklär-Filme anmoderieren müsse. Als ihm dann die englische Version "Child's Play" gezeigt wurde, war er sofort begeistert und wagte diesen Schritt, obwohl er vorher keine Erfahrungen als Fernsehmoderator hatte (abgesehen von zwei Rocksendungen aus der Dortmunder Westfalenhalle für das ZDF). Von 1985 bis 1994 moderierte Egner die TV-Sendung. Dabei war es ihm immer wichtig, die Kinder ernst zu nehmen, denn der Erfolg der Sendung war letztlich ihnen zu verdanken. Zu Gast waren namhafte Personen aus Kunst, Kultur und Politik, darunter Falco, Harald Juhnke oder der Kunstsammler und Autor („Das Boot“) Lothar-Günther Buchheim.

1990 moderierte Fritz Egner den ESC in Zagreb und ab 1994 die ZDF-Fernsehsendungen „Entweder oder" und „Glücksspirale". Von 1995 bis 2003 präsentierte er die „Versteckte Kamera". Bei Sat1 übernahm er dann die Sendungen „XXO – Fritz & Co" (1995/96) und „Die witzigsten Werbespots der Welt" (1996 bis 2005). Er machte dort auch einige Sachen, die ihm gar nicht gefallen haben, die allerdings mit „ordentlich Schmerzensgeld“ honoriert wurden. Für Fritz Egner war der letzte Tag, an dem er Fernsehen gemacht hat, eine Befreiung, weil der Quotendruck endlich wegfiel, denn es gab bei jeder Sendung minütliche Auswertungen der Zuschauerzahlen, die dem Moderator auch mitgeteilt wurden. Das zehrt an den Nerven.

Soziales Erwachen

Für Fritz Egner war das Verschwinden von der Bildfläche kein sozialer Tod – im Gegenteil: Es war für ihn sogar ein „soziales Erwachen“. Bislang hatte er sich immer auf seine Arbeit konzentriert und alles so ernst genommen, dass er gar nicht auf die Idee kam, privat etwas aufzubauen. Nach dem Weggang vom Fernsehen kam er endlich mehr zur Ruhe, wurde gelassener, und dann kam der Wunsch auf, auch Kinder zu haben. Er ist Vater einer Tochter und eines Sohnes. „Das ist eine ganz neue Qualität im Leben, die ich da in meiner zweiten Lebenshälfte noch erleben darf.“ 

Radio bietet ihm mehr Spielraum und Abwechslungsreichtum als das Fernsehen. Hier gab es immer ein ähnliches Arbeitsumfeld, das ihn etwas gestört hat. Deshalb lag ihm daran, nicht nur zu moderieren, sondern auch Dokumentationen zu machen. In den vergangenen Jahren haben sich die Sehgewohnheiten sehr verändert, und die Aufmerksamkeitsspanne beim Zuschauer ist viel geringer geworden. Für Formate wie „Dingsda“ braucht es jedoch Zeit und Nachhaltigkeit, denn „Kindergedanken müssen sich schließlich entwickeln, da muss man auch mal eine Pause zulassen.“ Beim Fernsehen ist Erfolg oder Misserfolg teamabhängig, beim Radio ist er für das Resultat allein verantwortlich.

Die unverbrauchte Begeisterung fürs Radio hält ihn bis heute fit. Bei Bayern 1 präsentiert er seit 2016 jeden Freitag mit „Fritz & Hits – die größten Künstler der Musikgeschichte". In der Gestaltung seiner dreistündigen Sendung, in der er Beiträge mit historischen Daten, Geburts- oder Todestagen oder mit Ereignissen der Popgeschichte mit Original-Tönen in Wort und Musik als Erinnerungsstützen verknüpft, ist er vollkommen frei. Jedes Stück hat etwas mit ihm zu tun. Radio kann „die Sehnsucht nach Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit und gut recherchierter Information erfüllen wie kein anderes Medium. Wer diese Qualitäten bieten kann, hat auch in zehn Jahren gute Überlebenschancen.“

Dass das Radio heute noch immer lebt, liegt seiner Meinung nach auch daran, „dass ein Streamingdienst nicht diese persönliche Farbe hat“. Denn dort ist niemand, der auch etwas über Musik erzählt. Der 1989 mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnete Moderator hat seine Erlebnisse und Anekdoten 2013 in seiner Autobiografie „Mein Leben zwischen Rhythm & Blues" zusammengetragen. Darin erzählt er über „seine“ Musik und deren Entstehung sowie zahlreiche Anekdoten. Das Buch ist aber auch ein Plädoyer für das Hören, das nicht nur eine anspruchsvolle Tätigkeit ist, sondern ebenso eine Schlüsselkompetenz, die es mit Hilfe der Musik wieder zu entdecken gilt. Denn wir begreifen und verstehen nur, wenn wir zuvor empathisch zugehört haben.

Weiterführende Literatur:

Fritz Egner: Mein Leben zwischen Rhythm & Blues. LangenMüller 2013.

Wer schreibt hier?

Dr. Alexandra Hildebrandt
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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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