Dr. Alexandra Hildebrandt

Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Unternehmen im Umbruch: Warum technischer und kultureller Wandel zusammengehören

Mader GmbH & Co. KG

Wer digitale Prozesse richtig managen will, braucht ein tiefergehendes Verständnis der eigenen Unternehmenskultur.

Unternehmen, welche die Chancen der Digitalisierung erfolgreich nutzen, haben oft einen schweren Weg hinter sich, denn die Verabschiedung von alten Denkmustern ist nicht selbstverständlich und bedeutet einen radikalen Einschnitt in der Unternehmenskultur: weg von standardisierten Geschäften angebotsorientierter Formate, hin zum Dienstleister und Partner und Problemlöser der Kunden. Seit 1935 ist die Mader GmbH & Co. KG mit Sitz in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart rund um das Thema Druckluft ein wichtiger Industriepartner. In den letzten Jahren hat die Führungsspitze hier rechtzeitig eine Umgebung geschaffen, in der Werte, gelebte Normen und Orientierungen auf das Hervorbringen von Innovationen ausgelegt sind - und die Unternehmenskultur maßgeblich das Denken und Handeln bestimmt. Sie ist ein „Wertefundament“ und eine wesentliche Säule im Hinblick auf den unternehmerischen Erfolg. Mit dem eigenen WerteCodex wird das Bekenntnis zu einer werteorientierten Unternehmensführung unterstrichen.

Für das Unternehmen stellten schon frühere Krisen, die lange vor dem digitalen Wandel stattfanden, einen Wendepunkt dar. Schon vor Jahren mussten Leistungen und Produkte neu gedacht werden. Alle Beteiligten haben durch herausfordernde Situationen andere Blickwinkel eingenommen und sich progressiven Ideen geöffnet. Die neue Strategie beinhaltete schon damals grundlegende Veränderungen in der Unternehmenspositionierung, im Leistungs- und Produktportfolio, der Organisationsstruktur und im Außenauftritt. Die Trennung zwischen den Geschäftsbereichen Drucklufttechnik und Pneumatik wurde aufgelöst. Alle Vertriebsmitarbeiter waren nun für den Verkauf aller Produkte und Leistungen verantwortlich. Im Produktmanagement wurde die Spezialisierung auf Produktbereiche beibehalten.

Eine Unternehmenskultur, die Beschäftigungsfähigkeit fördert und fordert, war die Grundlage für den weiteren Weg des Unternehmens.

Dass die Unternehmenskultur ständig gepflegt und dafür Sorge getragen werden muss, dass sie mit der Kultur der Leistung, Professionalität und Effektivität der Organisation übereinstimmt und zu deren Funktionieren beiträgt, ist für Mitarbeitende und Führungskräfte des Unternehmens selbstverständlich. Das ist auch im Zeitalter der Digitalisierung eine der wichtigsten Managementaufgaben der Zukunft. An diesem Unternehmensbeispiel wird besonders deutlich, dass die digitale Transformation im Kern „eine soziale Transformation" ist - nämlich "des individuellen Mitarbeiters und der organisatorischen Strukturen" (Reinhard K. Sprenger).

Mit dem Ziel, eine resiliente, digitale und chancengleiche Unternehmenskultur zu entwickeln, startete das Center for Responsible Research and Innovation CeRRI des Fraunhofer IAO unter Beteiligung von ausgewählten baden-württembergischen Unternehmen 2020 das Projekt „Corporate Culture Lab“. Eines der teilnehmenden Unternehmen war auch Mader. Mit Abschluss des vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg geförderten Projekts und der Ergebnispräsentation im November 2021 stellt sich die Frage: Was hat die Teilnahme dem süddeutschen Unternehmen gebracht? Welche Schlüsse zieht es für sich aus dem Projekt und den pandemiebedingten Herausforderungen, die das Corporate Culture Lab von Beginn an begleiteten und wie werden die Ergebnisse genutzt? „Sich mit anderen Unternehmen zu den Herausforderungen der Digitalisierung und Strategien zum Umgang damit austauschen, neue Herangehensweisen und Tools kennenlernen und Feedback von außen für den eigenen Weg erhalten“, fasst Stefanie Kästle, Geschäftsführerin bei Mader, über die Beweggründe für die Teilnahme am Corporate Culture Lab zusammen.

Ersteres sei leider bereits zu Beginn des Projekts durch die Covid-19-Pandemie sehr eingeschränkt worden, sagt die Geschäftsführerin. Die pandemischen Rahmenbedingungen sowie die damit einhergehende Kurzarbeitssituation im Unternehmen seien generell limitierende Faktoren im Projektverlauf gewesen, gibt Kästle bedauernd zu. Teilgenommen haben für Mader Julia Sulzberger, Leitung Personalwesen und Ulrike Böhm, verantwortlich für das Changemanagement. „Gestartet sind wir im Mai 2020 mit einem Tages-Workshop, der komplett digital abgehalten wurde“, sagt Julia Sulzberger. „Zu diesem Zeitpunkt standen wir noch am Anfang der Pandemie und der Arbeit aus dem Homeoffice. Digitale Workshopformate waren für uns noch sehr ungewohnt“, so die Personalleiterin. In diesem ersten Projekt-Workshop stellten die Wissenschaftler:innen des Fraunhofer IAO drei Zukunftsszenarien für die Arbeitswelt in 2035 vor. Auf dieser Grundlage erarbeiteten die Teilnehmenden Personas und schließlich eine zu den Personas passende Unternehmenskultur. „Zu sehen, dass solche Workshops auch im digitalen Raum funktionieren können, hat uns für die interne Change-Arbeit ungemein geholfen. Zu diesem Zeitpunkt war die Unsicherheit noch sehr groß, wie wir mit den Change-Themen weitermachen wollten. Ein Teil der Belegschaft, insbesondere Führungskräfte, waren ab März 2020 im Homeoffice und bis dato war physische Präsenz ein notwendiges Kriterium, um kreative Prozesse anzustoßen“, sagt Ulrike Böhm.

Durch das Corporate Culture Lab ermutigt, konzipiert die Changemanagerin auch selbst virtuelle Workshops im Unternehmen.

„Es hat funktioniert. Wir konnten so an den Veränderungsthemen dranbleiben, wenn wir auch durch Kurzarbeit und Pandemie langsamer vorangekommen sind, als ursprünglich erhofft.“ Einen Change-Prozess hatte die Unternehmensleitung unabhängig von vom Corporate Culture Lab bereits Mitte 2019 intern angestoßen. Mit der „Agenda 2025 – Mader NEXT LEVEL“ soll das Unternehmen auf „ein neues Level“ gehoben und in die Lage versetzt werden, die Unternehmensvision 2025 zu realisieren. „Dafür ist die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur elementar“, sagt Stefanie Kästle. Als entscheidende Handlungsfelder definiert Mader für sich: Die Neugestaltung der Zusammenarbeit, Stärkung von Kundenfokus und Innovation. „Allein mit dem Erlernen neuer Methoden und Tools passiert noch gar nichts“, so Ulrike Böhm. „Erst wenn eine Veränderung über den Kopf hinausgeht und emotional ankommt, wenn sie Teil der gemeinsamen Kultur wird, ist sie nachhaltig.“

Die vier zentralen Entwicklungsbereiche für eine Unternehmenskultur 4.0 leiten die Wissenschaftler:innen des Fraunhofer-Instituts aus dem ersten Workshop mit den teilnehmenden Unternehmen des Corporate Culture Lab ab: Wissen und Entwicklung, Nachhaltigkeit und Soziales, Kollaboration und Chancengleichheit. In Fokusgruppengesprächen mit den Vertreter:innen der einzelnen Unternehmen, ermittelt das Team rund um Projektleiterin Vivien Iffländer im Herbst 2020 die unternehmensspezifischen Herausforderungen, auf deren Grundlage im zweiten Workshop weitergearbeitet werden soll. Als wesentliche Themenfelder bei Mader kristallisierten sich „Kollaboration und Zusammenhalt“ sowie „Werte Nachhaltigkeit und Soziales“ heraus. „Es war wenig überraschend, dass in der damals besonders unsicheren Phase mit Homeoffice, Kurzarbeit und Pandemie, ‚emotionale‘ Themenbereiche wie Wir-Gefühl, Kooperation und Wertschätzung und eine gemeinsame Vision und Werte von besonderer Relevanz waren und heute auch noch sind“, stellt Julia Sulzberger fest. Geholfen habe es sehr, dies wissenschaftlich fundiert und von externer Seite begleitet zu erarbeiten.

„Das eine ist, ein Bauchgefühl zu haben, wie wichtig etwas möglicherweise ist, das andere ist, dies von Wissenschaftlerinnen zurückgemeldet zu bekommen“, bestätigt Ulrike Böhm.

Auch der zweite Workshop im Februar 2021, bei dem die ersten Tools präsentiert und getestet wurden, fand rein virtuell statt. „Besonders inspirierend war für uns die Umsetzung des gesamten Workshops auf einem digitalen Board. Das und die Projektvisualisierung in Form eines Bergs haben wir direkt übernommen und in unsere Arbeit integriert“, sagt Ulrike Böhm. Ebenso kamen und kommen einzelne Workshopelemente in unternehmensinternen Veranstaltungen zum Einsatz, wie die „Postkarten-Methode: „In unserer Unternehmens-Retrospektive 2020/21 haben alle Mitarbeitenden ‚Postkarten aus der Zukunft‘ formuliert. Die Methode hat dabei geholfen, bewusst die Perspektive zu verändern und sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen“, sagt Ulrike Böhm. Eine Revolution in Richtung der „Unternehmenskultur 4.0“ gab es nicht, räumt Stefanie Kästle ein: „Für solche grundlegenden Kultur-Themen ist auch Timing entscheidend. 2020 und auch 2021 waren geprägt von großen Unsicherheiten. Und das nicht nur im geschäftlichen Umfeld. Auch privat hatte jede und jeder mit Ängsten und Herausforderungen zu kämpfen. Es hätte nicht gepasst hier ein großes ‚Kulturprogramm‘ aufzusetzen.“ 2022 plant das Unternehmen sein Change-Programm „Agenda 2025“ anzupassen und dabei vor allem auf die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Corporate Culture Lab, der Pandemiezeit und der Ergebnisse aus den umgesetzten Change-Projekten zurückzugreifen. „Wir sind auf dem Weg. Manchmal stoßen wir auf Hindernisse, manchmal machen wir Rückschritte. Dann halten wir an, bewerten neu und wählen eine andere Route. Das Wichtigste ist: Es geht voran“, so die Geschäftsführerin.

Für die Informationen zum Projekt „Corporate Culture Lab“ bedanke ich mich bei Stefanie Böhm, die auch das folgende Interview mit Vivien Iffländer geführt hat

Interview mit Vivien Iffländer, Senior Expert Organizational Culture am Center for Responsible Research and Innovation CeRRI des Fraunhofer IAO und Projektleiterin des Corporate Culture Lab.

Die Organisationssoziologin forscht im Team Unternehmenskultur und Transformation zu zukunftsfähigen Arbeits- und Unternehmenskulturen und begleitet Unternehmen bei arbeitskulturellen Veränderungsprozessen. Aktuelle Schwerpunkte sind die Rolle der Unternehmenskultur in digitalen Transformationsprozessen und die Implementierung diversitygerechter Arbeits- und Unternehmenskulturen

Welche Bedeutung hat Unternehmenskultur in Krisenzeiten?

In der Unternehmenskultur entscheidet sich, wie mit Krisen umgegangen wird. Man kann sie sich als den Code, mit dem ein Unternehmen programmiert ist, vorstellen. Dieser Code bestimmt, wie Systemeingaben, also externe Einflüsse wie eine Krise, verarbeitet werden. Lösen diese einen Systemabsturz oder ein Update aus? Damit das Betriebssystem nicht zurückgesetzt, sondern aktualisiert und eine Krise als Chance genutzt wird, braucht es also einen erweiter- und veränderbaren Unternehmenscode, die Unternehmenskultur 4.0.

Lässt sich Unternehmenskultur überhaupt proaktiv verändern? Was sind mögliche Stellhebel?

Edgar Schein lieferte bereits 1985 eine wissenschaftliche Definition für Unternehmenskultur, nach der sie sich in drei Ebenen unterteilen lässt: Die Ebene der sichtbaren Artefakte (z.B. Dresscode, IT-Ausstattung, Arbeitsplätze etc.), die mittlere Ebene der Werte und Normen (z.B. Unternehmensziele, Strategien, Regeln etc.) und die tiefliegenden Grundannahmen (z.B. Überzeugungen, Meinungen, Stereotype etc.) als Fundament der Unternehmenskultur. Um die Unternehmenskultur nun zu verändern, ist es wichtig zu verstehen, dass die drei Ebenen in Wechselwirkung zueinander stehen und eine ganzheitliche Betrachtung der Unternehmenskultur notwendig ist, im besten Falle werden also alle drei Ebenen mit aufeinander aufbauenden Maßnahmen adressiert. So können akzeptierte und nachhaltig wirkende Veränderungsprozesse gelingen.

Nach welchen Kriterien habt Ihr die teilnehmenden Unternehmen für das Corporate Culture Lab ausgewählt?

Um nah am Alltag und der gelebten Unternehmenskultur von Unternehmen zu sein und ein anwendungsorientiertes Tool zur Implementierung einer Unternehmenskultur 4.0 entwickeln zu können, wurde ein ko-kreatives Vorgehen gewählt. Dazu wurden 7 Unternehmen unterschiedlicher Größe, Branche und mit unterschiedlichem Digitalisierungsgrad ausgewählt. Ziel war es durch die Verschiedenartigkeit der teilnehmenden Unternehmen zum einen gegenseitiges Lernen zu ermöglichen und zum anderen im Ergebnis ein Tool zu entwickeln, das auch bei unterschiedlichsten Unternehmensgegebenheiten seine Wirkung entfalten kann.

Welche Empfehlungen gibst Du Unternehmen mit auf den Weg, die noch unsicher sind, ob und wie sie eine Unternehmenskultur 4.0 entwickeln können?

Jedes Unternehmen hat eine Unternehmenskultur. In welche Richtung sich diese bewegt, kann man entweder dem Zufall überlassen oder bewusst steuern. Da die Unternehmenskultur ein entscheidender Faktor für den Unternehmenserfolg ist, wäre es fast schon fahrlässig sie dem Zufall zu überlassen. Besser ist es daher sich mit ihr, zum Beispiel mit Hilfe der kostenlosen Corporate Culture Map, zu beschäftigten, ein Ist- und ein Soll-Bild zu entwickeln und anschließend Maßnahmen du definieren, um den Weg zur Unternehmenskultur 4.0 Schritt für Schritt zu gehen.

Weiterführende Informationen:

Wer schreibt hier?

Dr. Alexandra Hildebrandt
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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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