Unvermittelbar! – Wenn Bewerbern die letzte Hoffnung genommen wird

Warum Sie als Jobwechsler oder Bewerber niemandem Glauben schenken sollten, der Sie als „unvermittelbar“ für den Arbeitsmarkt bezeichnet. So lassen Sie sich nicht vorschnell aufs Abstellgleis manövrieren.
Wenn sich Angestellte entscheiden, mich für ein Karriere-Coaching zu kontaktieren, dann haben sie sich oftmals bereits lange Zeit mit ihrer beruflichen Situation beschäftigt. Sie haben ihre Gedanken mit der Familie sowie Freunden und Kollegen geteilt, Bücher zu Jobwahl und Bewerbung gewälzt, Tests zu Stärken und Persönlichkeit bearbeitet und manchmal auch zuvor andere Coaches oder Berufsberater aufgesucht.
Je mehr Meinungen sie in den letzten Monaten erfahren haben, umso gefühlt fremdgesteuerter, verunsicherter und weniger über sich selbst bewusst – im wahrsten Sinne des Wortes – sitzen sie mir gegenüber. Dass viele unterschiedliche Meinungen kein Garant für mehr Klarheit im Leben sind, das ist wenig verblüffend. "Viele Köche verderben den Brei." Doch es ist für mich immer wieder erschreckend, mit welchen Aussagen Klienten mitunter zu mir kommen, insbesondere wenn sie schon länger arbeitslos auf der Suche nach beruflicher Zukunft sind.
Hier sind drei Beispiele aus der Praxis:
Dies habe sein Vermittler im Akademiker-Team der Arbeitsagentur im ersten und bisher einzigen Termin gesagt, erzählt mir mein Klient, der sich später bei meiner Arbeit mit ihm als einer dieser breit ausgebildeten und vielseitig berufserfahrenen Generalisten herausstellt. „Bin ich mit derat viel Erfahrung echt unvermittelbar?“, fragte er mich ungläubig verunsichert.
Dies bekam meine Klientin mit Mitte 50 neulich von der Mitarbeiterin eines großen Personaldienstleisters schonungslos am Telefon zu hören, nachdem sie ihr ihren Lebenslauf geschickt hatte. Ja, womöglich passte sie nicht ganz in das Top-Manager-Suchraster dieses Anbieters – jedoch gleich die Karte „unvermittelbar“ ziehen?
Dies war die Aussage eines Bewerbungscoachs, den mein Klient vor mir kontaktiert und ihm für ein Vorgespräch seine Unterlagen geschickt hatte. Ich vermute, der Kollege wollte damit seinen Lebenslauf-Check an den Mann bringen und die Betonung lag auf „mit diesem Lebenslauf“, doch für meinen Klienten war die Botschaft „Sie haben im Arbeitsmarkt keine Chance“.
Ich möchte mit diesem Beitrag weder Kollegen-Bashing betreiben, noch die Mitarbeitenden der Arbeitsagenturen und Jobcenter pauschal durch den Kakao ziehen. Vermutlich gibt es auch Klienten, die sich nach einem Coaching über Aussagen von mir beim nächsten Coach echauffieren. Doch grundsätzlich gesunde und körperlich arbeitsfähige Menschen wie in diesen drei Beispielen geschehen auf den ersten Blick als „unvermittelbar“ und damit ihre berufliche Zukunft als chancenlos abzustempeln, halte ich in der Rolle als Experte und Dienstleister nicht nur für unprofessionell, sondern auch zwischenmenschlich für fragwürdig.
Unvermittelbar? - Wer weiß das schon!
Sicherlich gibt es immer wieder Jobwechsler, bei denen auch ich zu Beginn eines Coaching-Prozesses vermute, dass die Arbeit mit ihnen sowie auch die Stellensuche und Bewerbung im Anschluss schwieriger, aufwendiger und langwieriger werden, als es bei anderen der Fall ist.
Weil sie Lebensläufe haben, die bunt, krumm und undurchsichtig mehr Fragen aufwerfen als Klarheit über die berufliche Vergangenheit schaffen. Mit langen Zeiten einer Selbständigkeit, zig Arbeitgeberwechseln in überschaubarer Zeit, zehn Jahren Bachelor-Studium, zweimal in Folge das Ende in der Probezeit oder mit wiederkehrend unerklärlichen Auszeiten. Die Beschäftigung mit dem eigenen Lauf des Lebens und dessen Verarbeitung als Lebenslauf kann anstrengende und im Prozess auch belastende Arbeit sein, doch sie ist die unbedingt notwendige Basis für echte Klarheit und einen glaubwürdig starken Auftritt gegenüber potenziellen neuen Arbeitgebern.
Es kann schwieriger sein, weil sich jemand in den letzten 25 Jahren nie bewerben musste und höchst qualifiziert mit bester Berufserfahrung in der ungewohnten Rolle als Bewerber mehr der verängstigte Bittsteller als starke Gesprächspartner auf Augenhöhe ist. Das Bewusstsein für und die Arbeit an einer gesunden neuen Haltung als Bewerber braucht Zeit, doch sie schützt nicht nur vor Angriffsfläche, sondern erlaubt es Bewerbern, sich gezielt und selbstbewusst den passend neuen Arbeitgeber auszuwählen.
Und ja, manche Jobwechsler sind zu dem Zeitpunkt, an dem sie mir gegenübersitzen, auch psychisch (noch) nicht in der Verfassung, mit klarem Kopf über ihre persönliche Zukunft nachzudenken – geschweige denn mit einem potenziellen neuen Arbeitgeber in gute Gespräche zu gehen. Wut, Frust, Trauer und Ärger, Kündigungsschutzklagen oder Abfindungsverhandlungen sowie der Zwist ums sehr gute selbst verfasste Arbeitszeugnis belasten sie noch stark. Erst der Abschied vom Alten macht den Kopf frei für eine neugierige Lust auf Neues.
Nicht immer stehen die Vorzeichen für einen reibungslosen Jobwechsel gut. Doch „unvermittelbar“ wäre in allen diesen Situationen die fatal falsche Botschaft. Ein Jobwechsel kann schwierig sein und vielleicht ist es ein steiniger Weg voller Anstrengung und Rückschläge. Doch vielzu oft bin ich selbst überrascht, wie leicht es auch gehen kann und Jobwechsler sogar Freude an dieser Zeit ihres Aufbruchs hin zu neuen Chancen entwickeln. Wer weiß das schon ..?!
Wenn's mit dem neuen Job mal länger dauert ... ...
Insbesondere bei Führungskräften im mittleren Management erlebe ich es oft, dass sie trotz Coaching und hohem eigenem Engagement mitunter ein Jahr suchen und Gespräche führen, bis sie schließlich einen neuen Arbeitsvertrag unterzeichnet haben. Und ja, viele von ihnen können es sich leisten und genießen auch die ungewohnt freie Zeit.
Bei manchen Arbeitnehmern zeigt sich, dass sie nach vielen Jahren im Schwindel erregenden Hamsterrad nun zuhause erst einmal in ein tiefes Loch fallen, Jobsuche und Bewerbung nicht auf die Reihe bekommen und zunächst freie Zeit und neue Kraft für sich selbst benötigen.
Und natürlich gibt es viele Bewerber, die sich schwertun, ihre Erfahrungen und Stärken richtig wertzuschätzen, so gar nicht die geborenen Verkäufertypen sind oder einfach in Folge Pech haben, in dritter Runde gegen andere Bewerber den Kürzeren zu ziehen.
Auch wenn es bis zum nächsten Job länger als gedacht dauert und diese Zeit für jeden Bewerber ein anstrengendes Auf und Ab, Nerven aufreibend und immer wieder frustrierend ist, so ist der Stempel „Unvermittelbar!“ nicht die logische Konsequenz, sondern wird am Ende zum neuen Grundproblem im eigenene Kopf, warum es niemals mit dem Jobwechsel funktionieren wird.
"Herr Slaghuis, bin ich Ihr schwierigster Fall?"
Wenn mich neue Klienten kontaktieren, dann höre ich Aussagen, wie „Herr Slaghuis, Sie sind meine letzte Hoffnung“ oder „Ich weiß gar nicht, ob mir überhaupt noch zu helfen ist.“ Im Coaching habe ich mitunter das Gefühl, manche nehmen meine Dienstleistung in Anspruch, um auch von mir noch einmal die Bestätigung dafür zu erhalten, dass sie ein besonders schwieriger Fall sind. Doch den „Gefallen“, sie exakt darin zu bestätigen, den gibt’s bei mir nicht zu kaufen. Auch wenn es bequem und in dieser Sekunde wohltuend wäre, von mir als unabhängigem Dritten offiziell als Grund „unvermittelbar“ für die langwierige Jobsuche und Hunderte von Absagen beurkundet zu bekommen, so wäre genau dies das Kontraproduktivste in meiner Rolle als Coach, was ich dem Menschen mir gegenüber antun könnte.
Denn ich bin überzeugt davon, dass jeder gesunde und grundsätzlich körperlich belastbare Mensch mit Schulabschluss, Ausbildung oder Studium und insbesondere mit langjähriger Berufserfarung immer in der Lage ist, (irgendwann) eine neue Position bei einem passenden Arbeitgeber zu finden und zu besetzen. "Unvermittelbar" ist das Gefühl und der Ausdruck einer Endgültigkeit, die ich auf keine*n meiner Klient*innen der letzten 9 Jahre als zutreffend bezeichnen würde.
Um es deutlich zu unterscheiden: Es gibt persönliche Lebensumstände und Situationen, in denen Menschen insbesondere als Folge von schwerer Krankheit oder dauerhaft körperlichen/psychischen Beeinträchtigung zeitlich begrenzt oder niemals wieder einer regulären Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt nachgehen können. Sie möchte ich mit diesem Beitrag nicht verletzen, indem ich ihren Status "unvermittelbar" verharmlose. Wie die Ausrichtung dieses Beitrags zeigt, geht es mir ausschließlich um gesunde und grundsätzlich arbeitsfähige Menschen, die mit der Aussage "unvermittelbar" konfrontiert werden.
Umso mehr vor diesem Hintergrund darf „unvermittelbar“ keine mal eben so daher gesagte Meinung Dritter, sondern kann nur das Ergebnis ärztlicher/therapeutischer Diagnosen sein. Wer wäre ich als Coach und woher nehmen die oben zitierten Berater dieses Wissen und die Gewissheit, einem Menschen nach kurzer Zeit des Kennenlernens zu bescheinigen, dass er sicher keinen Job mehr finden wird?
Unvermittelbar? - Das können Sie vergessen!
Falls Ihnen als Arbeitsuchende oder Jobwechsler von Arbeitsvermittlern, Coaches, Berufsberatern, Verwandten, Nachbarn, Ex-Kollegen, Freunden oder wem auch immer vermittelt wird, Sie seien im Arbeitsmarkt absolut chancenlos, dann nehmen Sie dies nicht hin und verkriechen sich noch stärker in Ihr Schneckenhaus, sondern hinterfragen Sie solche Äußerungen:
- Auf welcher Grundlage fällt jemand dieses Urteil über Sie?
- Was konkret in Ihrem Lebenslauf oder persönlichen Auftreten veranlasst einen Dritten zu dieser Meinung?
- Welche Erfahrungen hat sie oder er vielleicht gemacht, die mit Ihrer Situation vergleichbar sind?
- Woran macht jemand konkret fest, dass Sie als Jobwechsler keine Chance mehr haben?
- In welchen Zeitrahmen wird "unvermittelbar" gesetzt? - In diesem Moment, den nächsten 6 Monaten oder für immer bis zur Rente?
- Was glaubt sie oder er, was Ihnen konkret fehlt oder woran Sie arbeiten sollten, um wieder eine Chance zu haben?
- Wie kann sie oder er Sie darin unterstützen, wieder Kraft zu tanken und einen neuen Arbeitgeber zu finden?
„Das kannste vergessen!“ ist aus gemeinsam frustrierter Opferhaltung in bester Jammerer-Gesellschaft unter Gleichgesinnten schnell dahergesagt.
„Das können Sie vergessen!“ aus Experten-Mund ist ein Urteil über die Zukunft eines Menschen, das sich niemand erlauben sollte.
Ihr

Was ist Ihre Meinung oder sogar persönliche Erfahrung zum Thema? Ich bin gespannt auf Ihre Sichtweise unten als Kommentar.
Sollten wir hier noch nich vernetzt sein, freue ich mich, wenn Sie mir als XING-Insider folgen oder mir eine Kontaktanfrage schicken.
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Insider for Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung