„Verantwortung für alles übernehmen“: Interview mit dem Verleger Lothar Wekel
Der Anlass unseres Interviews war vor einigen Wochen der Einfluss der Digitalisierung auf die deutsche Buchbranche. Nun müssen auch Sie sich mit den Folgen der Pandemie auseinandersetzen. Was bedeutet die Corona-Krise für Ihren inhabergeführten mittelständischen Verlag?
Die Folgen der Pandemie wird eine enorme Veränderung des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens hervorbringen, deren Ausmaß auch für unseren Verlag nicht klar ist. Wie für viele inhabergeführte Verlage, Buchhandlungen und Firmen reicht die Liquidität knapp ein Viertel Jahr, wenn Umsätze keine neuen Mittel generieren, was durch geschlossene Geschäfte und den Ausfall von Veranstaltungen nun gegeben ist.
Die Digitalisierung oder zunächst das Internet startete ja höchst verdienstvoll, angetrieben von innovativen Köpfen, die tatsächlich Allen alles zugänglich machen wollten ... was daraus geworden ist, muss ich hier nicht beschreiben. Kein geringerer als Berners-Lee als Vater des Internets legt nun einen „Vertrag für das Internet“ vor, der von Staaten wie Bürgern gleichermaßen angenommen werden soll.
Was möchten Sie damit zum Ausdruck bringen?
… dass die Digitalisierung gleich mehrere Herausforderungen für einen kleinen Verlag mit sich brachte: als erstes die zeitliche Belastung, da von den Mitarbeitern alle Arbeiten mitgestemmt werden mussten, weil die Erträge aus dem neuen Bereich keine neue Stelle zuließen, dann als nächstes die mentale Herausforderung, überhaupt dieses dynamische Geschehen zu verfolgen und darin diverse Entscheidungen zu treffen, welcher Weg genommen werden will. Nach einigen Jahren dann natürlich auch die Einsicht, dass im Netz Strukturen entstanden sind, die an Pay-TV erinnern, und die viel heftiger von KI und Algorithmen unterstützt zu einer weit überlegeneren digitalen Welt geführt haben, an der der kleine unabhängige Marktteilnehmer keine Partizipation hat.
Wie lassen sich neue Möglichkeiten in Zeiten des digitalen Wandels erschließen?
Persönlich bin ich da kein guter Visionär, da wir uns dezidiert auf die Herstellung anspruchsvoller und gut gemachter Bücher kapriziert haben, auch in der Annahme, dass Leser auch in der Zukunft Inhalte überwiegend durch Bücher aufnehmen. Von den Erlösen durch eBook-Verkäufe können wir allerhöchstens eine halbe Lektoratsstelle finanzieren.
Größere Verlage agieren zuweilen wie unbewegliche Tanker im Ozean. Können sich kleinere Verlage besser auf aktuelle Situationen einstellen?
Es gibt wunderbare Autoren und Herausgeber unseres Verlags, mit denen wir schon mehrere Projekte in einem Gespräch abgesteckt und verabschiedet haben, wobei Schnelligkeit ja nicht unbedingt nur eine positive Eigenschaft ist.
Zur Flexibilität ein anderes aktuellen Beispiel – die kurzfristige Absage der Leipziger Buchmesse. Für mich sind essentiell wichtige Gesprächstermine, die zu Ideen und neuen Ansätzen geführt hätten, somit entfallen, die Wandlung in Telefonate gelang nur in Ausnahmen. Noch heute habe ich nicht alle Verabredungen wenigstens per Mail kompensiert. Und noch ein Satz zu beweglichen Kleinen: Dieser braucht auch immer ein Gegenüber, der ebenso Freude an der Gestaltung hat.
Sie haben einmal den Satz gesagt: „Ich bin heute da, wo ich immer hinwollte.“ Was meinen Sie damit?
Verantwortung für alles übernehmen – einen kleinen Verlag führen zu dürfen, der ausgezeichnete Autoren hat und lesenswerte Bücher verlegt.
Was heißt für Sie „Verlegen“? Und wie wichtig ist Ihr Bauchgefühl, zu vielem Nein und zu Wenigem Ja zu sagen?
Ich habe erkannt, dass mir konzeptuelles Arbeiten mit Autoren, Fotografen und Herausgebern unglaublich Spaß macht und auch Erfolg hat – schauen Sie jetzt auf VOCI DI SIZILIA mit Etta Scollo bei Corso oder an unser Herbstprojekt DIGITALE HEIMAT mit dem Verband der Internetbetreiber Eco und zehn Beiträgern bei marix, das zunächst als Buch erscheint und später als webbasiertes Forum.
Leider ist das Bauchgefühl mittlerweile ziemlich ausgeprägt und hat beinahe immer auch recht.
Weshalb ist es ein Fehler vieler Verlage, Projekte anzunehmen, nur um das Geschäft am Laufen zu halten?
Ich denke, wir sollten unterscheiden in große Verlage und kleine. Der Ausstoß etlicher umsatzstarker Marktteilnehmer korrespondiert mit den verabredeten Umsatzzielen wichtiger Handelspartner, dabei rutschen dann schon auch weitere Genretitel oder Nice-to-have-Titel auf die Tische und in die Regalflächen, also auf Plätze, die einem kleinen Verlag nicht zugestanden werden. Damit wird ein Grundumsatz erzeugt, der zwar zu Remissionen führt, aber eben auch zu anschließender Neubelieferung. Aus Lesersicht könnte man also dies Vorgehen einen Fehler nennen, da auf diesen Plätzen kein Titel liegt, der von der Qualität her besehen eine wirkliche Chance verdiente.
Warum sollten Mutmacher auch Marktmacher sein und anderes ausprobieren und anbieten?
Hier kann ich Ihnen nur beipflichten, ich sehe eine Übermacht des Controllings via Media Control in Richtung Nachfragebefriedigung, aber zu wenig Stimulanzien im Hinblick auf einen Angebotsmarkt, den der Buchhandel eben auch darstellen kann. Es ist hervorragend, dass es Bestseller gibt, aber wenn links und rechts von diesen nichts mehr steht, verliert der stationäre Handel an Attraktivität und auch an Umsatz. Später dann beklagt man ein Minus von 0,5 oder auch 1,5 Prozent pro Monat und sucht den Schuldigen im Kunden, der ausbleibt. Besser wäre es zu fragen, warum Kunden im Netz hängen oder eine Einkaufsstätte als nicht attraktiv empfinden.
Wollen Menschen Klassiker und gute Literatur sowie Kunstbücher weiterhin anfassen und mit der Hand „be-greifen“?
Wir sprechen jetzt über unsere Kultur, unsere lang gelebte und geachtete Kultur, so wie diese noch bis vor einer Generation begriffen und gelebt wurde, also auch von mir, daher darf ich mit einem klaren Ja antworten. Stellen Sie allerdings die gleiche Frage der aktuellen Generation im Querschnitt, so würde sich die Akzeptanz anders darstellen. Meiner Ansicht nach ist dies ebenso die Folge von Bildungspolitik, die nach dem Digitalem in der Schule verlangt, als auch von der Übermacht der digitalen Konzerne, die Lifestyle und Good Feeling besser mit dem teuren Handy verbinden kann als die finanzschwache Buchbranche. Und dann noch der aufgebaute Fluch des All for free. Es ist spannend, wie die Pressekonzerne jetzt Pay-Modelle aufbauen, die ich nur bejahen kann, denn gute Recherche, gute Texte, gute Übersetzungen und guter Journalismus braucht Geld vom Leser, der sich dafür entscheidet und nicht Werbegeld, das über die Performance einer Zeitung entscheidet.
In unserem Verlag setzen wir zertifizierte Papiere und Naturpapiere ein, die Herstellung testet viele Materialien, um die herauszufiltern, die einem Inhalt gemäß sind und aber auch das Blättern zu einem Genuss werden lassen.
Können Sie ein aktuelles Projekt nennen?
Vor einigen Tagen ist der Titel „See and Change! Warum weniger manchmal mehr und neu denken vielfach besser ist. ...“ hier von Leonard Hepermann, unserem jüngsten Autor, erschienen. Wir haben es in Österreich bei gugler.at fertigen lassen, eben Cradle to Cradle Certified. „Jede und jeder kann etwas tun!“ ist das Credo des 19 Jahre alten, überparteilich engagierten Studenten aus dem Herzen des Ruhrgebiets. In seinem Plädoyer für eine Politik, die die Interessen der um 2000 Geborenen wirklich ernst nimmt, tritt er für einen pragmatischen Politikwandel ein. Seine Diagnosen (See!) und seine konkreten Handlungsempfehlungen für jeden einzelnen (Change!), die er in Gesprächen mit vielen bereits Tätigen gewonnen hat, machen seinen Essay zu einem gleichzeitig emotionalen und sachlichen Paukenschlag.
Mit ihm hatte ich angefangen zu arbeiten, als er 18 Jahre jung war, dessen ruhige Art mit seinen guten Argumenten korrespondiert, der auch ohne auf die Straße zu gehen Veränderungen umsetzt
Wird es künftig insgesamt weniger, aber bessere Bücher geben?
Ich sehe hier seit Jahren Anzeichen für einen sich weiter und weiter ausdifferenzierenden Markt, in dem es mehrere Ebenen folglich gibt. Wir folgen dem mengenmäßig betrachtet kleiner dimensionierten, aber haltbaren Marktsegment, auch weil wir nicht über die Vertriebspower und über das vorhin beschriebene Standing in den Handelsketten verfügen, die ihre größeren Flächen durch absatzstarken mainstream bedienen müssen. Unabhängig davon muss die Produktion weiter geringer werden, dies lernen wir nicht erst durch libri oder amazon, die schon ausgelistet haben oder Hinweisschlüssel vergeben, die dem Kunden signalisieren, es gäbe den Titel gar nicht mehr, sondern auch schlichtweg daraus, dass auch die Leserkreise einfach ein Zeitlimit haben.
Welche Rolle spielt künftig der Lektor? Was sollte bleiben, und was wird anders?
Meiner Ansicht nach behält die Lektorin und der Lektor eine der wichtigen Positionen im Verlag, seine Verantwortung aber ist gewachsen, da er sehr früh die inhaltlichen Punkte für die tiefe und erfolgreiche Vermarktung wahrnehmen muss und die Weichen in die sozialen Netzwerke hinein zu stellen hat. Und er muss noch intensiver in dem Profil seiner Programmlinie stecken, um die teilweise ungemein rasanten Entwicklungen in den Lesern mitgestalten zu können.
Zur Person:
Der 1958 in Hannover geborene Lothar Wekel genoss seine ersten Jahre im Buchhandel in der wunderbaren Universitätsbuchhandlung Bouvier in Bonn, dem universal sortierten Muss der ehemaligen Bundeshauptstadt, bevor er in die Kultbuchhandlung Walther König in Köln wechselte, um den internationalen Buchmarkt das erste Mal kennenzulernen. Es folgten weitere Stationen, besonders ist seine siebenjährige Zeit bei Weltbild in Augsburg hervorzuheben, in der nicht nur der Mailorderbereich, sondern auch Verlage in seiner Verantwortung lagen. Nach der Programmleitung im Bertelsmann Buchclub und in den Ratgeberverlagen von Ullstein Heyne List kam endlich die Selbstständigkeit. Demnächst schon im zwanzigsten Jahr mit dem Verlagshaus Römerweg in Wiesbaden.