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Verkehrswende: Wie gelingt eine klimaneutrale Zukunft in den Städten?

Klimawandel, Parkplatznot, Stau, steigende Energiekosten und die Notwendigkeit der Verbesserung der CO2-Bilanz stellen enorme Herausforderungen für Stadtverwaltungen, Energieversorger und Verkehrsbetriebe dar.

Hintergrund ist die Entwicklung des Menschen vom „Homo mobilis“ zum „Homo transportandum“. Vor allem in Ballungsgebieten wird er immer mehr zum „Transportproblem“. Der weiter zunehmende Verkehr stellt Städte vor große Herausforderungen. Während es Industrie, Handel und Privathaushalten gelingt, ihre Treibhausgasemissionen zu senken, tritt der Verkehrssektor allerdings auf der Stelle. „Der Transportsektor spielt eine entscheidende Rolle für das Erreichen der ambitionierten Klimaziele für 2030“, sagt Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Geschäftsführer der Stiftung Klimaneutralität. Es müssten etwa 65 Prozent der Emissionen eingespart werden (70 bis 80 Millionen Tonnen CO2). Um die aktuellen Herausforderungen zu verstehen, braucht es eine grundlegende Transformation in Richtung nachhaltige Mobilität.

Es geht um einen kompletten Umbau des Verkehrssystems, um CO2-neutral zu werden

Eine längst überfällige Verkehrswende, bei der Klimaschutz und Lebensqualität im Fokus stehen, ist deshalb notwendig. Dazu braucht es auch den politischen Willen, die Klimafrage mit oberster Priorität anzugehen, das Bewusstsein für Dringlichkeit sowie richtige Projektorganisation. Doch geht es nicht nur um die Infrastruktur für die Nutzung der unterschiedlichen Fortbewegungsmittel – vielmehr spielt hier der ruhende Verkehr eine wichtige Rolle.

Eine nachhaltige Verkehrswende als gesellschaftliches Großprojekt bedeutet, eine umfassende Mobilitätswende durchzusetzen, die wesentliche technische Innovationen wie On-Demand-Verkehrsangebote für mehr Klimaschutz einschließt. Allerdings sind sie nur ein Teil eines fundamentalen gesellschaftlichen Transformationsprozesses. Eine nachhaltige Verkehrswende umfasst Ausbau und Förderung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, Sharing-Systeme sowie Rad- und Fußverkehr. Berücksichtigt werden zudem wesentliche technische Innovationen für mehr Klimaschutz und innovative Maßnahmen (Emissionen sparen, Platz schaffen, mobil sein). Erreichen lässt sich dies nur durch eine engagiertere und integrierte Verkehrspolitik von Bund und Europäischer Union, die Maßnahmen auf kommunaler Ebene stützt und eine nachhaltige Mobilität für alle in Stadt und Land befördert. Dabei muss jede Region ihren eigenen Weg finden, weil Infrastruktur und gesellschaftliche Strukturen überall unterschiedlich sind.

Viele Stadtbewohner:innen und Entscheider:innen haben erkannt, dass die zunehmende Mobilität künftig umweltfreundlicher, effizienter und intelligenter sein muss. Doch hätten Städte größere Handlungsspielräume, wären viele Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit unkomplizierter zu treffen. Um dies zu erreichen, müssten Planungsverfahren einfacher und effizienter werden. Im ersten Schritt bedeutet eine nachhaltige Verkehrswende Vermeidung von überflüssigem Verkehr im Güter- und Personenverkehr. Anschließend muss der Güterverkehr auf die Schiene und der Personenverkehr auf den Umweltverbund aus Fuß-, Rad-, Bus- und Schienenverkehr verlagert werden.

Mobilität war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein aristokratisches Vorrecht: Macht hatte, wer sich schneller fortbewegen konnte. Der Mensch spiegelte sich in seinem Fortbewegungsmittel. Im 21. Jahrhundert bedeutet Mobilität ein vielseitiges Miteinander aus Öffentlichem Verkehr, Individualverkehr im PKW, zu Fuß, auf dem E-Bike oder dem Fahrrad. Wichtig für den Erfolg der Verkehrswende sind auch die Car-Sharing-Stationen und die gute Anbindung an S-Bahn, Stadtbahn und Busse.

Die Verkehrskonzepte der Zukunft stehen unter dem Motto „Teile und kombiniere!“

Sie sind „multimodal“ und bestehen aus einem Ideenmix in einem ganzheitlichen Konzept. Was heute zählt, sind Zugang, Nutzung und Dienstleistung. Fahrräder und Mobilitätsstationen benötigen allerdings mehr Platz im öffentlichen Raum. In der Regel geht dies zu Lasten von Kfz-Stellflächen. Das birgt Konflikte, was dazu führt, dass sich viele Radprojekte verzögern. Das Forschungsteam des „City2Share-Projekts“, das vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) gemeinsam mit weiteren Partnern durchgeführt wurde, verdeutlichte allerdings, dass weniger Parkplätze kein individueller Verlust sein müssen. Im Gegenzug kann Lebens- und Aufenthaltsqualität für alle im Wohnviertel gewonnen werden. Die Modellstädte München und Hamburg testeten innovative Wege in eine mobile und umweltverträgliche Zukunft. Die Publikation belegt, dass eine Reduzierung des Verkehrs nicht nur die Lebensqualität steigern, sondern sogar ein Mehr an Mobilitätsoptionen eröffnen kann.

In den beiden Modellstädten wurden mehrere Maßnahmen zur Entlastung des Verkehrs parallel erprobt, beispielsweise der Einsatz wohnungsnaher Mobilitätsstationen mit geteilten und elektrischen Mobilitätsangeboten (Bike- und Carsharing), ein umweltverträglicher Lieferverkehr auf der Basis von Mikro-Depots und Lastenrädern sowie die Rückgewinnung und Aufwertung des kostbaren öffentlichen Raums, kombiniert mit einer umfassenden Bürgerbeteiligung, denn eine smarte Stadt hört sie nicht bei Energieeffizienz, Klimaschutz oder intermodaler Mobilität auf. Vielmehr schafft sie auch Arbeits- und Bildungsangebote, verbessert die Gesundheitsversorgung und beteiligt die Bürger bei der Mitgestaltung. All das führt zu einer höheren Lebensqualität für Bewohner:innen und zu besseren Rahmenbedingungen für Unternehmen.

Auch Changing Cities ist eine unabhängige Bewegung für lebenswerte Städte. Sie setzt sich für eine faire Verteilung des öffentlichen Raums und für sicheres Radfahren ein und möchte zeigen, dass eine klare Stimme der Zivilgesellschaft positive Politik machen kann. Das Ziel ist die Verkehrswende in Deutschland. Mit etwa 150 Ehrenamtlichen und einem kleinen Büroteam konnten bereits erste Erfolge erzielt werden: mit dem Volksentscheid Fahrrad Berlin (erstes Projekt) und als Impulsgeber für das neue Berliner Mobilitätsgesetz. Es stellt sicher, dass bis 2030 51 Mio. Euro jährlich in den Ausbau der Radinfrastruktur und zur Förderung des Radverkehrs investiert werden.

In Städten entwickelt sich das Fahrrad gemeinsam mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Mobilitätsmedium der Zukunft

Bereits 2016 plädierte der Nachhaltigkeitsexperte und Klimabotschafter der Stadt Kassel, Matthias Schäpers fürs „Umsatteln“, denn Räder halten fit, schonen die Umwelt und sind (auf Kurzstrecken) sogar schneller als Autos. Er arbeitete zehn Gründe heraus, warum auch Unternehmen verstärkt aufs Rad setzen sollten. Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) forciert die Verkehrswende hin zum Fahrrad und sieht E-Bikes als passendes Mittel in diesem Vernetzungsprozess an. Die Corona-Krise erforderte einen raschen Auf- und Ausbau der provisorischen Radinfrastruktur. Was es nun braucht, sind auch bauliche Veränderungen für eine dauerhafte Integration in bestehende Verkehrssysteme. Zu den wichtigsten „Bausteinen“ einer nachhaltigen Smart City-Strategie gehören strategische Planung, IT-Infrastruktur sowie die ineinandergreifenden Anwendungsfelder öffentliche Verwaltung, Gesundheit, Bildung, Energie und Umwelt, Gebäude und Mobilität.

  • Anforderungen an die Stadt der Zukunft

  • Umweltfreundliche Zukunftsmobilität: Konstruktive Beiträge zur Verkehrswende

  • Fahr Rad! Wie Verkehrskonzepte der Zukunft in die Gänge kommen

  • „Das Ruder herumreißen“. In: DUP Unternehmer Magazin (Februar 2022), S. 48.

  • Marco Völklein: Druck von der Straße. In: Süddeutsche Zeitung (15./16.1.2022, S. 46.

  • Peter Hennicke, Thorsten Koska, Jana Rasch, Oscar Reutter, Dieter Seifried: Nachhaltige Mobilität für alle. Ein Plädoyer für mehr Verkehrsgerechtigkeit. Oekom Verlag, München 2021.

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Mobilität und Logistik: Richtige Wege, die nicht aufs Abstellgleis führen. Amazon Media EU S.à r.l. 2018.

  • CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2021.

  • Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

  • Jörg Knieling (Hg.): Wege zur großen Transformation. Herausforderungen für eine nachhaltige Stadt- und Regionalentwickelung. Oekom Verlag, München 2018.

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Mobilität und Logistik: Richtige Wege, die nicht aufs Abstellgleis führen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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