Karin Schmidt-Friderichs - Gaby Gerster, feinkorn

„Verlegen ist mehr als Veröffentlichen“

Interview mit Karin Schmidt-Friderichs, Verlegerin beim Verlag Hermann Schmidt und seit 2019 Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Ich glaube, dass jeder Trend einen Gegentrend in sich trägt. Je mehr Zeit wir an den verschiedenen Bildschirmen verbringen, desto mehr wissen wir vielleicht das Analoge zu schätzen. Ich persönlich „gönne“ es mir, auf Papier zu lektorieren. Das tue ich meist abends und am Wochenende, und es fühlt sich dann einfach nicht so sehr nach Arbeit an. Dazu kommt, dass wir in Deutschland eine Buchkultur leben, wie sie in der Welt nicht überall zu Hause ist. Die Herstellungsqualität der deutschen Buchproduktion ist einfach sehr hoch. Aber auch im Zeitschriftenbereich sind avantgardistische Gestaltungs- und raffinierte herstellerische Ansätze zu beobachten, sobald man den Mainstream verlässt und etwa bei Do you read me in Berlin oder bei Soda in München stöbern geht.

Was uns auszeichnet überlassen wir anderen zu beurteilen. Vielleicht sagen deutlich über 200 internationale Awards und Auszeichnungen in beinahe 30 Verlegerjahren etwas über unsere Haltung zu Gestaltungs- und Herstellungsqualität. Wie verstehe ich, wie verstehen wir – ich leite den Verlag gemeinsam mit meinem Mann Bertram – unsere Rolle? Wir sehen uns als Dienstleister der Leser*innen. Ihnen den Inhalt auf die bestmögliche Art strukturiert, formuliert, gestalterisch interpretiert und eben in Buchform gebracht in die Hand zu legen ist unser Ehrgeiz. Gegenüber unseren Autor*innen verstehen wir uns als Coach. Wir schleifen gemeinsam Rohdiamanten zu Buchbrillanten. Das Ziel: Die Augen unserer kreativen Leser*innen zum Leuchten zu bringen, ihren Alltag zu bereichern, ihnen Nutzen und Freude zu bringen.

Natürlich funktioniert das alles langfristig nur, wenn auch die Zahlen stimmen, aber im Vordergrund stehen Qualität und Nutzen für die Leser*innen. Ich glaube, dass wir nur deshalb in den Herzen unserer Kund*innen ein so gutes Standing haben, weil wir sie wirklich ins Zentrum unseres Denkens und Handelns stellen. Halbherziges und „Schmu“ spüren Menschen, das ist der Anfang vom Untergang manch einst gehypter Marken …

Dieser Satz spricht mir in mehrerlei Hinsicht aus dem Herzen: Zum einen finde ich bei allem Interesse an Trendbeobachtung und den Versuchen, daraus Prognosen abzuleiten die Idee vermessen, die Zukunft vorhersehen zu wollen vermessen. Ich stehe deshalb auch Budgetplanungen und werbewirksamen Bestseller-Versprechen eher skeptisch gegenüber. Wichtiger aber ist der zweite Teil des Satzes, denn wir tragen die Verantwortung für die Zukunft. In dem von Ihnen zitierten Verlagsverzeichnis bezieht sich das auf die ökologisch verantwortungsvolle Herstellung, die eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Es bezieht sich auch darauf, dass wir fast alles in Deutschland drucken. Denn auch für die Arbeitsplätze in Deutschland und die Transportwege tragen ja wir mit unseren Vergabe-Entscheidungen die Verantwortung. Und last but not least versuchen unsere Bücher, einen Beitrag zur Zukunft der Leser*innen zu leisten. Versuchen, Orientierung zu geben, Perspektiven aufzuzeichnen, Weiterbildung in schönster Form zu sein, also zukunftsfit zu machen.

Wenn ich mich fremden Menschen vorstelle, die ja oft den Verlag nicht kennen, sage ich, wir verlegen Nutzen und Freude für Kreative. Oder: Bücher von Schmidt machen den Kreativalltag schöner, einfacher und erfolgreicher – im besten Falle alles zusammen. Das ist gleichzeitig das „Sieb“, mit dem wir aus der Flut der Manuskripte und Buchideen auswählen. Wir bleiben bewusst ein kleines Team, um es uns leisten zu können, nur das zu veröffentlichen, hinter dem wir wirklich stehen. Das macht unseren Verlagsalltag nicht unbedingt einfacher, aber drum geht es ja auch nicht primär … Im Idealfall stehen wir auch dann noch voll hinter der Entscheidung, „Ja“ zu einem Buch gesagt zu haben, wenn es sich nicht so gut verkauft wie gehofft. Und im Idealfall tun wir das auch noch 10 Jahre nach Erscheinen und müssen uns nicht hinter „das hatte man damals so“ verstecken.

Es ist nicht so, dass wir noch nie Kompromisse gemacht haben, aber ja, wir haben noch nie ein Buch veröffentlicht, um ein Programm „voll“ zu kriegen oder „den Laden am Laufen zu halten“. Was passiert – und das ist bei jeder Doppelspitze denkbar – dass Bertram oder ich von einem Titel überzeugt sind, der oder die eine den oder die andere aber nicht wirklich mitreißen kann. Dann können Sie entweder ad ultimo diskutieren oder das Buch bekommt von einem/einer von uns derart Auftrieb, dass der/die andere beidreht. Oder der/die andere legt vehement die Vetokarte, dann gibt es keinen Kompromiss. Das geschieht selten, aber wir sind gottseidank eben beide Individuen mit eigenständigen Haltungen und Meinungen.

Das ist oben schon teilweise beantwortet, es hat aber noch einen weiteren Grund. Bertram hat ja nach Abitur, Schriftsetzerlehre, Druckereiingenieurstudium und Lehr- und Wanderjahren die elterliche Druckerei übernommen. Er war ehrgeizig, engagiert und top ausgebildet, und die Zeit war günstig. So wuchs die Druckerei – und das, was ihn wirklich glücklich machte, Unmögliches möglich machen, an Topqualität feilen, am liebsten selbst Hand anlegen kam nicht mehr vor in seinem Terminkalender.

Aus dieser Sehnsucht wurde der Verlag Hermann Schmidt. Und die Idee, nicht wachsen zu wollen. Das Lektorat der Bücher teilen Bertram und ich nach Kompetenzen auf, er Typografie und Kreativhandwerk, ich die Denkanstöße, alles, wo Komplexität gut strukturiert und sauber formuliert heruntergebrochen werden muss. Bertram sucht mit den Gestalter*innen, die wir beauftragen für jedes Buch individuell Papier und Einbandmaterial, Veredelungen und andere Raffinessen aus und steht fast immer beim Druck der ersten Bogen mit an der Maschine. Das geht nicht, wenn man die Hälfte seines Lebens mit Managementaufgaben verbringt.

Wir haben als Team in Wechselschichten gearbeitet, die Hälfte im Homeoffice, die Hälfte mit Masken, geöffneten Fenstern und Abstand im Büro. Wir hatten gottseidank treue Kund*innen, die durch Newsletter, social Media etc informiert auch die Titel gekauft haben, die sie undank geschlossener Buchhandlungen nicht per Zufall bei unseren schmidtaffinen Buchhändler*innen entdecken konnten. Die Buchhändler*innen haben unvorstellbares geleistet in der ganzen Coronazeit, sie sind die Held*innen der Pandemie – zumindest was diese Branche angeht. Im März 2020 hätten wir beide nicht zu hoffen gewagt, dass wir – zugegebenermaßen an die Grenzen unserer Kraft gehend – aber doch irgendwie halbwegs stabil durch diese Krise kommen würden.

Das Thema muss zu unserer Zielgruppe, den Kreativen in den Creative Industries passen, Ihnen im weiteren Sinne einen Nutzen bringen. Manchmal ist das ein klar greifbarer, rational begründbarer Nutzen wie: „Erweitern Sie Ihr Geschäftsfeld durch gestaltende Beratung und kommen so früher an den Tisch“, manchmal widmen wir uns den eher „weichen“ Themen wie“ wie führe ich ein kreatives Leben, wie tanke ich auf, was tun, wenn die Ideen von denen die Kreativen ja leben, mal nicht sprudeln“. Die Bandbreite ist groß, aber immer bezogen auf die Menschen, für die wir Bücher machen: die Kreativen. Dann muss der Autor/die Autorin uns von seiner oder ihrer Kompetenz im Thema überzeugen. Und dann kommt ein Kriterium, das wir uns erst im Laufe der Zeit getraut haben, aufzustellen: Wir fragen uns und unsere potentiellen Autor*innen, ob wir miteinander können, salopp formuliert, ob es uns Spaß machen wird, zusammen zu arbeiten. Ich weiß, das klingt nicht nach Business und Economy, es ist aber ein wichtiger Erfolgsfaktor. Denn jedes Projekt kommt irgendwann in unruhiges Fahrwasser, in Turbulenzen, es gibt immer irgendwann mal Stress oder Dissonanz. Dann hilft es ungemein, wenn Sympathie und Respekt einen durch diese Phase tragen und man nicht schon seit Monaten nur ungern ans Telefon geht, wenn xy anruft.

Seit wir diese Frage thematisieren ist es nicht so, dass hier nur eitel Sonnenschein im Verlagsbüro ist, aber die Projekte werden besser, sie werden sogar erfolgreicher. Denn jede und jeder versucht, sein wirklich bestes zu geben. Weil wir einander das wert sind. Und wen man 60 Wochenstunden arbeitet, dann tut man das auf Dauer resilienter, wenn der Großteil dieser Stunden Spaß macht.

Wir verlegen gerade ein Buch über die Rolle der Intuition im Kreativprozess. Der Autor Michael Matthiass beschreibt das Zusammenspiel von Kopf und Bauch besser als alle anderen, von denen ich dazu gelesen oder gehört habe. Und während der Zusammenarbeit mit ihm an diesem Buch habe ich viel darüber gelernt, wie gute Entscheidungen genau auf beiden Ebenen getroffen werden: Bauchgefühl und analytisches Denken im gut choreografierten Dialog. So versuchen wir das auch mit den Büchern.

Die Bücher sind der Ausdruck des Miteinanders mit den Menschen, mit denen und für die wir sie machen. Wenn Bertram und ich uns für ein eigentlich viel zu teures Einbandmaterial entscheiden, nachdem eine Gruppe von Kreativen die Dummies, die ich bei einem Lunchtimetalk aus diesem Material herumgegeben hatte nicht mehr wieder hergeben wollten, dann mag das der BWLler in Bertram vier Stunden Autofahrt lang abzuwehren versuchen, am Schluss gewinnt die Erfahrung, wie Kreative genau dieses Material beinahe zärtlich gestreichelt haben. Das Buch ist übrigens dieses Jahr in die zwölfte Auflage gegangen. Das Material ist immer noch sündhaft teuer. Es fühlt ich immer noch fantastisch an.

Wir fahren dann weg. Gehen alte Dorfverbindungswege, schalten die Handys aus. Und sitzen abends an der Feuerschale draußen. Distanz zum Alltag und raus aus dem Büro ist nicht nur für strategische Entscheidungen wichtig. Die wichtigste Ressource dieses Verlages ist unsere kreative Energie.

Tatsächlich veröffentlichen wir fast ausschließlich Erstlingswerke. Zu normalen Zeiten kommen zwei Mal im Jahr Kreative aus ganz Deutschland, aber auch aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden zu sogenannten Mappentagen zu uns und stellen mehr oder weniger ausformulierte Buchideen vor. Oft ist das der Ursprung, manchmal kommen die Iden aber auch per Mail, Empfehlung etc. Dann brainstormen wir, feilen, diskutieren, schleifen, unterstützen, coachen. Tatsächlich geht das so weit, dass ich vor einigen Jahren eine eineinhalb jährige Ausbildung zum Businesscoach absolviert habe.

Das gilt nicht nur für uns: Verlage sind für Autor*innen so etwas wie Trainer für Sportler. Und genau wie im Sport sehen Sie ja auch, wenn ein*e gute*r Lektor*in oder Verlagsleiter*in/Verleger*in den Verlag wechselt, wie sich der entsprechende Verlag plötzlich ins Bewusstsein der Literaturkritik und des Handels schiebt. Auf der Bühne steht der Autor/die Autorin, hinten dran, immer für ihn oder sie da steht jemand vom Verlag. Unsichtbar. Unterstützend.

Ein gutes Produkt ist das beste Marketing. Und das ehrlichste.

Ganz so optimistisch bin ich nicht: Wir verfügen in Deutschland über eines der besten und dichtesten Buchhandlungsnetze der Welt. Und wir sind eine letztlich buchaffine Gesellschaft. Solange wir Qualitätsverlage und Qualitätsbuchhandlungen haben – und Bücher ein Teil unserer Kultur und Gesellschaft sind, werden gute Bücher ihren Weg zu den Leser*innen finden. Alle drei Aspekte sind aber nicht selbstverständliche Errungenschaften. Vielleicht engagiere ich mich wegen dieses Bewusstseins ehrenamtlich für die Buchbranche.

Karin Schmidt-Friderichs, Jahrgang 1960, ist zusammen mit ihrem Mann Bertram Verlegerin beim Verlag Hermann Schmidt. Bertram Schmidt-Friderichs trat am 1. Januar 1986 in die väterliche Druckerei ein und führte sie von 1988 bis Ende 2013 alleinverantwortlich. Seit 1999 ist der Verlag Hermann Schmidt Mainz ein eigenständiges Verlagsunternehmen, das ca. zwölf Mitarbeiter beschäftigt, darunter regelmäßig Praktikanten und Auszubildende. Nach der Schließung des „Mutterunternehmens“ 2013 wird konsequent in Deutschland gedruckt. Der Verlag kooperiert mit FSC-, PEFC- und EMAS-zertifizierten Lieferanten und übernimmt damit nicht nur Verantwortung für Inhalt und Gestaltung, sondern auch für die Herstellung seiner Werke. Um Bücher zu kennzeichnen, die auf diese nachhaltige Weise im eigenen Unternehmen gedruckt wurden, wurde das Label „printed in Germany with love“ geschaffen.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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