Verweile doch! Manager entdecken Goethe international
Interview mit Olaf Schulze
Olaf Schulze wurde 1963 in Halle/Saale geboren und leitet den Bereich Energy Management der METRO AG. Seit 2005 METRO GROUP, zunächst Geschäftsführer METRO Properties Energy Management GmbH. Er studierte Staats- und Rechtswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und legte 1993 in Düsseldorf das zweite juristische Staatsexamen ab. Olaf Schulze ist begeisterter Goethe-Liebhaber und erklärt im Interview, warum Goethe noch immer aktuell ist, und was Führungskräfte und Manager von ihm lernen können.
Herr Schulze, was verbindet Sie mit Goethe?
Naja, ich wohne in Erfurt, bin sehr gern, aber zu selten, in Weimar – zuletzt klimaneutral mit dem Fahrrad mit kleiner Bergwertung über Buchenwald am Gründonnerstag – und Goethe ist für mich Thüringen und Heimat. Wenn ich in Leipzig bin, mache ich immer einen (Um-)Weg über Auerbachs Keller, nur wegen ihm. Und von 1970 bis 1978 lernte ich an der POS Goethe in Halle/Saale, danach ging es an die EOS August Hermann Francke, wo Goethe mich im Deutschunterricht begleitete - die Reclam-Hefte habe ich natürlich heute noch.
Was ist ihre erste Erinnerung an diesen Weltbürger und Dichter?
Das weiß ich beim besten Willen nicht mehr exakt, aber ich meine rein physisch war es der einprägsame markante Kopf auf dem DDR-Zwanzig-Mark-Schein. An dem kam man nicht vorbei, egal wie alt man war. Und literarisch waren es der Erlkönig und der Osterspaziergang in der Schule.
Ich kann mich auch noch genau daran erinnern - und das halte ich letztlich für das Schlüsselerlebnis -, dass ich abgesehen von Kindheitstagen am ersten Sonntag 1993 aus dem Thüringer Wald kommend das erste Mal in Weimar gewesen bin und einfach nur fasziniert war.
Sie sind Direktor in einem international agierenden Handelskonzern, für den sie viel unterwegs sind. Wo überall ist Ihnen Goethe „zufällig“ begegnet?
Da gibt es zwei Kategorien: Entweder ich traf Menschen, die Goethe zugetan sind oder ich traf Goethe. Im letzten Jahr hatte ich das große Glück, aus Anlass der UN Climate Week in New York mein Unternehmen dort zu vertreten und bin bei schwüler Hitze die 5th Avenue kilometerweit langgetrabt, hatte einen Termin über Carbon Pricing in Europe im Französischen Konsulat, aber vorher musste ich unbedingt zum Gebäude des Goethe-Instituts vorbeischauen.
Und in Seoul hatte ich mich gewundert, weshalb der dortige Retailer „LOTTE“ heißt, so deutsch, überall LOTTE, und schließlich am LOTTE Tower wusste ich, dass es kein Zufall war: Ein Goethe-Denkmal in Seoul – unfassbar! Und die Widmung, dass der Gründer von LOTTE von „Die Leiden des jungen Werther“ und der Figur der Charlotte so begeistert war, dass er sein Imperium danach nannte. Sodann war ich begeistert.
Oft treffe ich Kollegen oder Geschäftspartner, die sich für ihr geniales Deutsch entschuldigen, weil es nicht perfekt sei – sie haben es im Goethe-Institut und durch Goethe-Literatur gelernt. Mit dem indischen CEO meines Unternehmens kam ich gleich beim Kennenlernen auf Wellenlänge, weil ich ihm zur Begrüßung sagte, dass ich mehrere Bücher von Rabindranath Tagore – dem Goethe Indiens – gelesen habe. Goethe ist ein genialer Botschafter.
Sie haben unterwegs viele Fotos im Goethe-Kontext gemacht. An welches Motiv und Erlebnis erinnern Sie sich besonders gern?
Aus knapp 500 m Höhe von der Glasplattform des Lotte Towers in Seoul auf das Goethe-Denkmal am Fuße – mit meinem Fuß drauf. Was für eine Metapher…
Ganz aktuell: Am Gründonnerstag in Weimar mit dem Fahrrad, Sonne, Frühling, kaum Menschen, keine Geschäfte offen, es herrscht Corona-Depression, aber Goethe und Schiller auf dem Sockel vor dem Deutschen Nationaltheater strahlen förmlich Kraft und Zuversicht, Hoffnung und Freiheit.
Das Goethe-Schiller-Denkmal, das 1857 vor dem Deutschen Nationaltheater auf dem Theaterplatz in Weimar eingeweiht wurde, schuf der Dresdner Bildhauer Ernst Rietschel. Dass er den Hofrat Goethe in formellerem Habitus darstellte als den Privatmann Schiller, sorgte einige Jahrzehnte später für Aufsehen …
Der offene Knopf an Schillers Weste erzeugte einen wahren Wettstreit der Epigonen. Die jüngeren Schiller-Denkmäler hätten als Ziel vor Augen, "einander in der saloppen Darstellung seiner äußeren Erscheinung zu überbieten".
Rietschel hat diese Tendenz vermutlich vorhergesehen. Das entdeckten Restauratoren allerdings erst viel später: Denn auch bei Goethe sind am rechten Hosenbein der Kniebundhose und an der Weste unter der Hand mit dem Lorbeer - zwei Knöpfe offen. Die Nahtstellen an den Armen und Köpfen sind jedoch nur für den Fachmann zu erkennen, auf den Laien wirken sie im Griff nach dem Lorbeer untrennbar vereint. Welche persönlichen Erinnerungen verbinden Sie mit Schillers Weste …
Ich weiß noch genau, wie mich der Großonkel meiner Frau fragte, ob ich gesehen hätte, dass Schiller die Weste falsch geknöpft hat, weil er immer so eine „Schlampe“ gewesen ist – hatte ich natürlich nicht, aber seitdem achte ich immer darauf. Und wenn ich am Oberhemd mal einen Knopf vergesse, was gar nicht so selten ist, denke ich immer an die beiden.
Haben Sie ein Lieblingsgedicht oder Lieblingszitat von Goethe?
Kurz und knapp:
Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält (Faust I, Nacht).
Was können Manager und Führungskräfte von Goethe lernen?
Weitsicht, über den Tellerrand schauen und werteorientiert Handeln;
breit angelegtes Wissen aneignen und nie aufhören zu lernen und zu wagen (sei offen für Neues – das Glück gehört dem Tüchtigen und auch Wagemutigen);
Vergiss nicht, wo Du herkommst, und nimm Dich nicht zu wichtig;
Vergiss nicht, auch zu leben und den Augenblick zu genießen:
„Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön!“
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit der Bedeutung von Goethe im Wirtschafts- und Nachhaltigkeitskontext beschäftigen sich Damian Mallepree, Nicole Simon und Halil Topcuk im Buch:Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.