Vielfalt statt Einfalt: Was Unternehmen für eine chancengerechte Firmenkultur tun
Der Begriff Nachhaltigkeit ist durch seinen inflationären Gebrauch in Verruf geraten, ihm fehlt die Definitionsmacht, was dazu führt, dass das Besondere verlorengeht.
Es ist deshalb wichtig, die Sprache zu verändern, mit der die damit verbundenen Herausforderungen formuliert sind. Oft kommt es zu einer beliebigen und sogar irreführenden Begriffsverwendung, die sich mitunter im sogenannten "Green-Washing" zeigt - also dem Versuch, sich bloß einen "grünen Anstrich" zu geben. Die Idee der Nachhaltigkeit kann nur nachhaltig wirken, wenn sie in einen umfangreichen gesellschaftspolitischen Ansatz eingebettet ist, der das „Organisationshandeln“ von Institutionen, aber auch die individuellen Äußerungen und Aktivitäten von Menschen umfasst und dabei auch schwierige Themen berücksichtigt. Unternehmen, die im Bereich Nachhaltigkeit vorangehen, sind sich dessen bewusst und setzen auf Vielfalt statt Einfalt. Sie fragen sich:
• Was macht uns unverwechselbar?
• Wie können wir uns emotionaler darstellen?
• Wie „ticken“ unsere „Fans“, die künftig keine „Zielgruppen“ mehr sein werden?
• Wer sind die Gesichter hinter der Marke?
Viele Menschen neigen in Unternehmen dazu, jene auszuwählen, die ihnen sehr ähnlich sind.
Das ist jedoch kontraproduktiv für Kreativität und Innovation, denn es ist gerade der Sprung in der Schüssel, der das Licht hereinlässt. Mit betrieblichen Rahmenbedingungen setzt sich der nachhaltige Outdoor-Ausrüster VAUDE für eine chancengerechte Kultur ein, um Frauen für Führungspositionen zu gewinnen und zu stärken. Dies macht sich auch bei der Umstrukturierung des Marketings bemerkbar. Die Führungsebene wächst von einer Frau und zwei Männern auf drei Frauen und drei Männern – eine ausgeglichene Verteilung der Geschlechter in den Führungspositionen. „Um ein Abbild der Gesellschaft auch bei den Entscheidungsträgern eines Unternehmens zu haben, brauchen wir mehr Frauen in der Verantwortung. Es kann kein gutes Ergebnis herauskommen, wenn nur Führungskräfte mit dem gleichen Hintergrund, dem gleichen Geschlecht, dem gleichen Alter und der gleichen Überzeugung die Entscheidungen treffen. Mit einer hohen Diversität kann man der Komplexität von Entscheidungen gerecht werden“, plädiert VAUDE Geschäftsführerin Antje von Dewitz.
Häufig ist es leider nicht so, „dass sich Frauen den Schritt zu mehr Verantwortung zutrauen.“ Als sie das Unternehmen von ihrem Vater übernommen hatte, gab es noch nicht so viele Führungskräfte. Die Stellen sollten hauptsächlich intern besetzt werden, aber von vielen Kolleginnen, die sie in der Rolle gesehen hätte, erhielt sie oft die Rückmeldung: „Ich möchte weiter in Teilzeit arbeiten und Zeit für meine Familie und Hobbies haben.“ Oder: „Die Verantwortung ist mir zu hoch und der Umgang auf höherer Ebene zu rau – da möchte ich ungern dazwischengeraten.“ Nach dieser Erfahrung wurde intern weiter an den Themen gearbeitet.
„Findet euch selbst.“
Von Dewitz arbeitete aber auch an sich selbst: Anfangs dachte sie nämlich, dass sie „eine harte Linie“ fahren müsse. Dabei hatte sie gerade ihre Dissertation über ein positives Menschenbild (und was hierfür entscheidend ist) geschrieben. Als ihr von ihren Kolleginnen und Kollegen ehrlich die Meinung gesagt wurde, begann sie, sich in Frage zu stellen und ihr fiel auf: „Eigentlich möchte ich etwas ganz anderes.“ Heute ist es ihr wichtig, dass Führungskräfte den Mitarbeitern Raum geben. „Die Führungskraft sollte ein Rahmengeber sein und nicht der, der an vorderster Front das Schwert schwingt.“
Sie empfiehlt jungen Führungspersönlichkeiten, sich Zeit nehmen, auch einmal in sich hineinzusehen. Heute ist sie froh, dass sie am Anfang darauf gestoßen wurde, auch wenn es schmerzhaft war. „Ich durfte mein Unternehmen sehr stark selbst bestimmen, und ich möchte auch meinen Führungskräften den Raum geben, so zu sein, wie sie sind. Nur selbstsichere Führungskräfte können auch authentisch ihr Team führen.“
Früher wurde oft auch bis spät abends im Unternehmen gearbeitet. Heute gibt es keine Besprechungen nach 17 Uhr. Es wird viel Wert auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance gelegt – mit flexiblen Arbeitszeiten, einer Homeoffice Regelung, Sportangeboten in der Mittagspause oder der eigenen Bio-Kantine. Zudem erhalten die Mitarbeiter und Führungskräfte Trainings zur Selbstwirksamkeit und Kommunikation. Inzwischen konnte sehr viel bewirkt werden.
Anna Rechtern arbeitet in der Marketing-Abteilung von VAUDE. 2019 war für diese ein entscheidendes Jahr. Eine Umstrukturierung schafft drei neue Führungspositionen mit dem Ziel, Digitalisierung und Internationalisierung voran zu treiben. Die neue Struktur eröffnet im Marketing eine 50 % Quote von Frauen in Führungspositionen und toppt damit die unternehmensweite Quote bei VAUDE von 43 %. Drei Führungskräfte unterstützen künftig die Abteilungsleiter Manfred Meindl (Leitung Internationales Marketing) und Ralf Geiger (Leitung Content Marketing) sowie Geschäftsführerin Antje von Dewitz bei der Umsetzung der Ziele im VAUDE Marketing. „Unsere Arbeit besteht darin, Inhalte an die Gesellschaft zu kommunizieren, die grob zur Hälfte aus Männern und zur Hälfte aus Frauen besteht. Warum sollte dann plötzlich unsere Kommunikation nur von einem Geschlecht gesteuert werden?“, sagt Manfred Meindl.
„Mit Hilfe der neuen Struktur, wollen wir die veränderten Anforderungen durch Markt und Konsumenten hinsichtlich Digitalisierung und Internationalisierung meistern“, erklärt Antje von Dewitz die Idee dahinter. Unter der Leitung von Sonja Rupp kümmern sich künftig fünf Mitarbeiter um die digitalen Auftritte und Dienstleistungen von VAUDE. Die 32-jährige Teamleiterin geht zunächst Themen wie Omnichannel und Marketingautomatisierungen mit ihrem Team verstärkt an. Sonja Rupp ist seit fünf Jahren bei VAUDE und hatte jetzt das Bedürfnis, sich weiter zu entwickeln. Gereizt hat sie „neben operativen Aufgaben nun auch mehr strategische Verantwortung zu übernehmen. Und auch die Lust, mehr zu bewegen.“ Ein neues Team setzt sich aus den Bereichen Social Media sowie Presse und Öffentlichkeitsarbeit zusammen. Matthias Unflat übernimmt die Teamleitung. „Wir möchten das erfolgreiche Themensetting von uns auch im Ausland länderspezifisch weiter optimieren. Hierfür bauen wir eine Struktur auf, die eine ganzheitliche und internationale Kommunikation ermöglicht“, so Unflat.
Als neue Leiterin des Teams Sponsoring und Events, ist Tina Jauch mit ihrem Team für alle Events – von Leitmessen bis hin zum Fachhandel (Point of Sale) sowie für das umfangreiche Sponsoring – verantwortlich. „Mit Events und Athleten erreichen wir eine große Zielgruppe und steigern dadurch die internationale Bekanntheit“, erklärt die 36-Jährige, die ihre Aufgabe auch darin sieht, Experten in ihrem Team zusammen zu bringen und eine Plattform für einen Austausch zu bieten. Sie sieht sich eher als „Sprachrohr ins Team und aus dem Team heraus“. Die Unternehmenskultur bei VAUDE hat dazu beigetragen, dass sie sich auf die Stelle beworben hat. Sie betont, dass es definitiv leichter ist, den Schritt zu wagen, „wenn die Rahmenbedingungen passen. Hier wird man unterstützt und es gibt viele positive Beispiele – das motiviert.“
Seit 2016 gilt für die Aufsichtsräte von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen eine verbindliche Geschlechterquote von 30 %.
Antje von Dewitz ist bezüglich einer umfassenden Frauenquote geteilter Ansicht: Einerseits hat das Unternehmen große gesellschaftliche Themen wie Altersarmut bei Frauen oder den Gendergap in der Bezahlung. „Denen könnten wir mit einer Frauenquote entgegenwirken.“ Vor allem sieht sie, dass Freiwilligkeit – wie beim Thema Nachhaltigkeit - allein oft nicht ausreicht. Andererseits ist sie sich der Problematik des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels bewusst. Gut wäre es deshalb, „nach dem Prinzip ‚comply or explain‘ vorzugehen. Entweder man erfüllt die Ziele oder man muss erklären, warum nicht.“ Im Marketing hat sie beispielsweise zwei hervorragende männliche Abteilungsleiter, die sie „nicht nur wegen einer Quote rausschmeißen“ kann. Beim Prinzip „comply or explain“ könnte sie erklären, warum es in diesem Fall nicht funktioniert. So sind zumindest ein Bewusstsein und ein intensives Auseinandersetzen gefordert. Doch wenn wir akzeptieren, so ihre Kritik, „dass Frauen weniger in Führungspositionen sind, werden wir auch akzeptieren müssen, dass Frauen weiterhin weniger verdienen als Männer. Und damit akzeptieren wir, dass die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau genauso bleibt wie sie ist. Klar entscheidet man sich mit Kindern dafür, dass der Mann als Mehrverdiener zur Arbeit geht und die Frau zu Hause bleibt. Damit schaffen wir keine gleichwertige Aufgabenverteilung in der Familie. Es gibt somit viele Gründe, die für eine Frauenquote sprechen.“
Auch Manfred Meindl spricht sich explizit für eine Frauenquote aus. Wenn er sich die Bewerbungen der letzten Jahre ansieht, waren die von weiblichen Bewerbern meistens besser. „Aber wenn es dann um Gehaltsvorstellungen und ein klares Ziel geht – da haben sich die faktisch betrachtet ‚schlechteren‘ Männer besser präsentiert als die Frauen. Mit einer Quote sind Unternehmen dazu verpflichtet, genauer hinzusehen.“ Sonja Rupp betont, dass es auch immer darauf ankommt, auf welches Unternehmen geschaut wird. Bei VAUDE hat sie nicht den Eindruck, dass eine gesetzliche Regelung notwendig ist. „Aber bei anderen Unternehmen sind Frauen nun mal deutlich unterrepräsentiert.“