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Vom nachhaltigen Wert guter Umgangsformen

Weshalb bewegen royale Events so viele Menschen weltweit? Vielleicht, weil sie neben Glamour und Schönheit auch die tiefe Sehnsucht nach Orientierung, Traditionen und Werten widerspiegeln, die scheinbar immer mehr verlorengehen: Familiensinn, Wertschätzung und Beständigkeit. In einer Welt der Vereinfachung und Verkürzung („Hallo“, „Hi“, „FYI“, „MfG“, „Mahlzeit“) oder überfallartiger Aufforderungen zwischen Tür und Angel („auf einen Sprung vorbeikommen“) zerfällt auch die Kultur des Miteinanders, wie das folgende Beispiel aus dem Wirtschaftsmagazin „brand eins“ zeigt: „Vor dem Tresen steht ein Mann, reif für die Schere. ‚Guten Abend, kann ich Ihnen helfen?‘, fragt sie. Der Mann schaut sich um, als werde er verfolgt. ‚Schneiden‘, sagt er. Womit das Notwendige doch wohl gesagt wäre. Dachte er. Der Gesichtsausdruck der Friseurin aber friert ein. „Ganz ehrlich: Ein Satz mit Guten Tag und ´bitte` hätte es auch getan‘, sagt sie. Der Kunde reagiert sauer, macht auf dem Absatz kehrt und verlässt den Laden. Die Frau zuckt mit den Schultern: „‘Ist das zu viel verlangt?“, fragt sie in die Runde. ‘“

Sie gründet nach Uwe Jean Heuser und Robert Leicht auf mindestens drei verratenen Tugenden: „Mäßigung, Wahrhaftigkeit und Courage. Die Maßlosigkeit, nicht die Ungleichheit ist dabei in besonderem Umfang der Beitrag der Wirtschaft.“ Unternehmen sollten deshalb die gebotene Chance nutzen, sich verändert und verantwortlich zu präsentieren. In diesem Zusammenhang fällt oft der Begriff Corporate Governance. Ihn nur als „gutes Benehmen“ zu übersetzen, greift zu kurz. Begreifbar wird er, wenn man sich das Gegenteil in Erinnerung ruft, nämlich das schlechte Benehmen von Unternehmensführungen in den vergangenen Jahren, das nicht nur zu einem rapiden Vertrauensverlust geführt hat, sondern auch für Turbulenzen an der Börse sorgte. Für die Schaffung und langfristige Sicherung materieller Werte ist die Berücksichtigung ideeller Werte seit je notwendig gewesen, doch gerade in Krisenzeiten rückt dieses Thema wieder verstärkt ins gesellschaftliche Bewusstsein. Transparente, verantwortungsvolle und nachhaltige Unternehmensführung gewinnt vor diesem Hintergrund einen immer höheren gesellschaftlichen Stellenwert. In einer auf Nachhaltigkeit basierenden Kultur des Vertrauens ist ein Vorbild mehr als nur eine realisierte ethische Leitvorstellung - denn Vorbild sein heißt, Versprechen und Erwartungshaltungen einzulösen.

Verantwortung heißt, Konflikte, die mit unternehmerischen Entscheidungen verbunden sind, offen anzusprechen, die eigene Motivation offen zu legen und unternehmerische Entscheidungen zu begründen. Zur Verantwortung gehört aber auch Mut zur (unbequemen) Wahrheit. Alfred Herrhausen zitierte in diesem Kontext gern den Satz der Dichterin Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Sie ist notwendig, damit das Unternehmen sicher gehen kann, dass seine Werte auch wirklich umgesetzt werden und einheitlich dieselben bleiben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie lediglich ein notdürftiges Feigenblatt sind und negativ auf das Unternehmen zurückwirken. Nachhaltig ausgerichtete Branchenkulturen setzen Standards guten Managements. Die jeweiligen nationalen Wirtschaftskulturen binden diese zurück an die über Jahre gewachsenen Traditionen und Vorstellungen über nachhaltiges Wirtschaften. Eine „Good Corporate Governance“ sieht deshalb für Unternehmen im Detail unterschiedlich aus. Deshalb muss sich jedes Unternehmen individuell mit den relevanten Verhaltensregeln für Mitarbeitende und Unternehmensleitung auseinandersetzen und sich auch mit der Frage beschäftigen, wie es deren Einhaltung sicherstellen kann. Denn ein gut erarbeiteter Verhaltenskodex wirkt nur dann, wenn er wirklich gelebt und seine Einhaltung sichergestellt wird.

Denn durch die Globalisierung und das Bestreben, gemeinsame Werte und Standards zu schaffen, gewinnt Corporate Governance zunehmend an Bedeutung. Individuelle Tugenden und Werte beeinflussen dabei direkt die Qualität der Führung eines Unternehmens, die Menschenkenntnis verlangt, feine Antennen für das eigene Umfeld, denn nicht jeder Mensch ist auf der gleichen Welle ansprechbar. Eine gute Führungskraft zeichnet sich weiterhin dadurch aus, dass sie sich der Verantwortung sich selbst gegenüber bewusst ist, aber auch sorgend Anteil am Anderen nimmt. Zu ihrem Führungsstil gehören Fairness und das Wahren der „Gürtellinie“. Sie leitet andere dazu an, ihren eigenen Lebensweg zu gestalten, und befähigt sie dazu, sich selbst zu führen. Ihr geht es vor allem um die Umsetzung der Werte in Tugenden, wie der Philosoph Rüdiger Safranski gesagt hat: Werte, die gewusst werden, sollen in jene umgewandelt werden, die gelebt werden. Dabei wird der klassischen Grundregel der Verhaltensethik gefolgt: „Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.“

Denn die Anforderungen von Unternehmen an Bewerber:innen werden vor dem Hintergrund nachhaltigen Wirtschaftens immer anspruchsvoller. Wer persönlich und beruflich „erfolgreich“ sein möchte, muss vor allem durch eine reife Persönlichkeit überzeugen. Doch wie können Führungskräfte die gewünschten Eigenschaften für ihre Selbstentwicklung erwerben? Es gibt den Business-Knigge, den Ess- und Tisch-Knigge, den Auslands-Knigge, den Knigge für Weintrinker, den Reiter-Knigge und schließlich sogar den Erotik-Knigge. Alle Benimm-Bücher beziehen sich auf einen Mann, dessen Name zu einem Synonym für gute Manieren geworden ist: Adolph Freiherr Knigge (1752–1796). Sein Buch „Über den Umgang mit Menschen“, erstmals erschienen 1788, beschäftigt sich im Gegensatz zur landläufigen Meinung mit „guten Umgangsformen“, dem richtigen Benehmen, und nicht mit Manieren und Konventionen (Etikette), was häufig nicht dasselbe ist. Etiketten schaffen für ihn lediglich den Rahmen für eine wertschätzende Kommunikation – doch die steife Etikette ist für ihn etwas „Unmenschliches“. Sein Nachfahre Moritz Freiherr Knigge erklärt den Unterschied so: „Nehmen wir an, Sie sind in einem kleinen Restaurant, und da sitzt eine Gesellschaft, ein paar Damen und ein paar Herren, die gerade von einer Dichterlesung oder einem Theaterbesuch kommen. Sie unterhalten sich auf kulturell höchstem Niveau, sind alle perfekt gekleidet und essen vielleicht sogar gerade Hummer, der ja ein Synonym für das technisch richtige Essen ist. Aber mit gutem Benehmen hat das noch gar nichts zu tun. Achten Sie darauf, wie diese Menschen mit dem Servicepersonal umgehen. Dann wissen Sie, woran Sie sind.“

Knigges Buch ist eine zeitlose Anleitung für das menschliche Miteinander verschiedener Berufsgruppen und Generationen sowie eine wichtige Grundlage für Unternehmenskulturen, die auf langfristige und immaterielle Aspekte setzen. Gute Unternehmenskultur und Internationalität bedeutet eine offene Gesprächskultur mit allen Mitarbeitenden über nationale und kulturelle Grenzen hinweg.

Höflichkeit: ein Statement gegen die Gräuel dieser Welt

Zeit für Höflichkeit und gute Manieren

Wie im richtigen Leben: Guter Stil unter virtuellen Bedingungen

Warum der alte Knigge immer noch brandaktuell ist

Warum gutes Benehmen wieder salonfähig sein sollte

Charakterfrage: Haltung zeigen in haltlosen Zeiten

Die Krise der Welt: Warum Anstand und Bildung auf der Verliererseite sind

Haben traditionelle Werte ihren Einfluss heute eingebüßt?

Uwe Jean Heuser und Robert Leicht: Es lohnt sich nicht. Von Ypsilanti bis Zumwinkel: unmoralisches Verhalten wird bestraft. Vom Nutzen der Werte. In: DIE ZEIT (13.3.2008).

Max Ernst Walbersdorf / Krischan Lehmann: Etikettenschwindel. Im Interview: Moritz Freiherr Knigge. In: GQ (8.2.2007).

Thomas Vasek: Inflation der Anerkennung. In: brand eins 5 (2011), S. 92.

Alexandra Hildebrandt: Manieren 21.0: Warum gutes Benehmen heute wieder salonfähig ist. Amazon Media. Kindle Edition 2026/2022.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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