Von Begriff: Warum Digitalisierung und Nachhaltigkeit eine präzise Sprache brauchen
Der Journalist Jens Tönnesmann bemerkte einmal in einem ZEIT-Artikel, der sich mit der „alten Welt“ beschäftigte, dass viele Vorstände deutscher Konzerne zwar nicht an großen Worten sparen, wenn es um Digitalisierung geht, aber sich zu wenig damit auskennen. Vieles klingt so, als sei Digitalisierung ein „Zaubertrank, der sich nach Belieben anrühren und ausschenken lässt und dann viel Gutes bewirkt… Die Sprechbläschen im Zaubertrank blubbern.“ Das Problem: Viele wissen gar nicht genau, was hier hineingehört oder was er bewirkt.
Verwiesen wurde auf eine Studie vom Investment Lab Heilbronn, einer Denkfabrik der Dieter-Schwarz-Stiftung, die der ZEIT exklusiv vorlag. Das Ergebnis: „92 Prozent der Vorstandsmitglieder haben keine Digitalerfahrung, die sich im Lebenslauf niederschlägt… viele haben also in einer Zeit studiert oder die Ausbildung absolviert, in der das Internet noch eine Sache für Nerds mit zu viel Zeit war.“ Die sogenannten „Learning Journeys“ ins Silicon Valley würden zwar optisch verändern, aber innerlich substanzlos bleiben. Das betrifft auch die danach eröffneten „Brutstätten“ der Beschleunigung (z.B. Inkubatoren) gerade entdeckter Ideen, die mitunter Feigenblatt-Charakter haben und signalisieren sollen, dass das Unternehmen etwas zum digitalen Wandel beiträgt. Zwei Drittel der Befragten beklagten, dass die Verteidigung alter Organisationsstrukturen einer nachhaltigen Entwicklung im Weg steht. Damit sich die Digitalisierungseuphorie am Ende nicht als „fauler Zauber“ entpuppt, braucht es zuerst die Anpassung der Organisationsstruktur und der Unternehmensprozesse, da sie viel länger dauern als die Etablierung neuer Technologien. Die digitale Transformation ist also weit mehr als nur eine technologische Herausforderung. Sie erfordert auch eine kulturelle Transformation.
Auch die Rolle des CSR-Managers ist angesichts der Digitalisierung ein wichtiges Thema. Mehr denn je müssen sie die Chancen verantwortungsbewussten Handelns aufzeigen, anstatt sich von der Digitalisierung verschrecken zu lassen - nicht nur, weil Online-Plattformen neue Möglichkeiten für ressourceneffiziente Lösungen bieten, sondern auch, weil in einer Wirtschaft, die mehr denn je auf Chancen fokussiert ist, Verantwortung eine entsprechende Sprache finden muss.
Damit sind wesentliche Aspekte angesprochen, die auch im Fokus des Herausgeberbandes „CSR und Digitalisierung“ stehen: Die Angst vor dem Unbekannten, das generell Ängste verursacht, weil keine ausreichenden Informationen vorliegen, wohin die Reise führt, darf nicht dazu führen, dass unser Chancenblick getrübt wird. Voraussetzung dafür ist unsere innere, geistige Freiheit, die wir für einen klaren Chancenblick brauchen. „Datenschutz und Technikfolgenabschätzung verbauen unseren Blick für die Chancen, die wir haben könnten, wenn wir Technik wieder den Möglichkeitsraum öffnen würden, die unsere Väter und Großväter ihr einmal eingeräumt hatten“, schreibt Christoph Keese in seinem Vorwort.
Die Verunsicherung, die das Unbekannte erzeugt, ist heute in vielen Unternehmen mit dem Wunsch verbunden, möglichst lange am etablierten Geschäftsmodell und Managementstandards festzuhalten. Doch was macht sie aus? Der Managementvordenker Niels Pfläging verweist in seinen Publikationen auf Frederick Taylor, der im Jahr 1911 „The Principles of Scientific Management“ veröffentlichte und damit Management als eine Organisationsmethodik begründete, die dem Effizienzstreben des Industriezeitalters Flügel verleihen sollte. Taylors Idee war die konsequente Trennung des Denkens (das den Managern vorbehalten war) vom Handeln. Manager wurden zu „denkenden Führern nicht denkender (Mit-)Arbeiter“. Nach seinem Tod 1915 setzten sich seine Ideen zur hierarchischen und funktionalen Trennung branchenübergreifend durch: Das Management der alten Welt, das bis heute überlebt hat und sich an den Methoden Taylors orientiert, funktioniert über Weisung und Kontrolle. Im Komplexitätszeitalter ist dies jedoch nicht mehr möglich, ja es droht sogar ein Kollaps des sozialen Funktionierens, wenn es so weitergeht wie bisher.
Komplexität ist für Pfläging das Maß „für die Menge der Überraschungen, mit denen man rechnen muss.“ In einem solchen Umfeld geht es um die Frage, wer (!) Probleme lösen kann. Deshalb sind Menschen mit Erfahrung heute von besonderer Bedeutung: „Menschen mit Können und Ideen. Wir nennen sie Könner. Könner, die Schüler haben, nennen wir Meister.“ Verantwortung muss jetzt eine entsprechende Sprache finden. Ein unverzichtbares Wörterbuch dafür sind die „Komplexithoden“, in denen Niels Pfläging und Silke Hermann darlegen, dass komplexe Organisationen neue Begriffe und präzise Unterscheidungen brauchen. Denn "ohne passende Begriffe können wir die nötige Veränderung weder denken, noch sie hervorbringen.“ Sie sind der Schlüssel zur neuen Welt.
Weiterführende Informationen:
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.
Niels Pfläging, Silke Hermann: Komplexithoden. Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. Redline Verlag, München 2015.
Niels Pfläging: Organisation für Komplexität. Wie Arbeit wieder lebendig wird – und Höchstleistung entsteht. Redline Verlag, Münchner Verlagsgruppe GmbH 2014.