Vordenker und Mahner in Zeiten des Klimawandels
Ein neues Kapitel der Erdgeschichte
„Der Mensch verlagert die Probleme immer wieder, statt sie wirklich zu lösen. Vielleicht verstärkt er sie längerfristig sogar“, sagte der niederländische Atmosphären- und Erdsystemforscher Paul J. Crutzen, der am 28. Januar 2021 im Alter von 87 Jahren starb. Er wollte immer dazu beitragen, „dass es keine Scheinlösungen gibt. Alles andere wäre unverbesserlich und falsch.“ Der Begriff „Anthropozän“, auch Menschenzeitalter, wurde von ihm geprägt. Er umfasst den Zeitabschnitt der letzten 60 Jahre in der Erdgeschichte, in dem tiefgreifende Veränderungen auf unserem Planeten stattgefunden haben und der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf der Erde geworden ist, indem er die geoökologische Entwicklung maßgeblich bestimmt. „Dabei geht es wohl um eine evolutionäre Reifeprüfung, ohne dass uns die Möglichkeit der Wiederholung offensteht.“ (Erle C. Ellis) Crutzen teilt die Epoche gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern in drei Perioden ein:
Frühphase (Einleitung mit der Industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts)
Phase der großen Dominanz der Industriestaaten des Nordens (Beschleunigung des industriellen Prozesses mit allen räumlichen, organisatorischen und sozial-kulturellen Auswirkungen durch die Great Acceleration nach dem Zweiten Weltkrieg).
Phase (beginnt heute, Basis: reflexives Verständnis für die wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Entwicklung, geleitet von ethischen Prinzipien und einer verbindlichen Governance).
Wenn es schlimm kommt, wird das Anthropozän zur kürzesten Epoche der Erdgeschichte, weil die Menschheit frühzeitig ausstirbt.
Der Vorschlag zum Begriff „Anthropozän“ kam im Jahr 2000 unabhängig voneinander von Eugene F. Stoermer und ihm. Bekannter wurde die Idee zwei Jahre später durch Crutzens Aufsatz in „Nature“. Vor allem der Klimawandel war für ihn der Auslöser. Doch je mehr sich die Lage zuspitzt, desto schwieriger wird auch der Umbau, den wirtschaftliche Interessen und Angst vor Verlust und Abstieg erschweren: „So erleben wir den Widerspruch, dass die Ökologie zwar allgemein akzeptiert ist, dennoch der Umbau von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft kaum vorankommt.“ Immer wieder verwies er auch in seinen letzten Interviews darauf, dass wir schnell handeln müssen, denn beim Klimawandel ist es besonders problematisch, „weil die Menschen anscheinend erst reagieren, wenn sie die Folgen schmerzlich spüren. Dann ist es aber beim Klimawandel zu spät.“
Anknüpfend an seinen Appell wurde einige Monate vor seinem Tod der Herausgeberband „Klimawandel in der Wirtschaft“ publiziert, der in Anlehnung an den Untertitel trägt: „Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen“. Sie zeigt sich in dem Moment, in dem erkannt wird, dass sofort und gemeinsam gehandelt werden muss. Die Erhöhung der Dringlichkeitstemperatur hat enormen Einfluss auf die Energie der (gesellschaftlichen) Veränderung. Denn ab einer bestimmten Temperatur fügen sich die Dinge und es entsteht die Bereitschaft, handfeste Beiträge zu leisten, anstatt nur zu reden oder zu schreiben.
Nie zog sich Crutzen in den Elfenbeinturm der Wissenschaft zurück - vielmehr sah er als Aufklärer und Forscher.
Sein Engagement gehörte auch der Abrüstung und Friedensfrage. Nach Tätigkeiten in Architektur- und Konstruktionsbüros begann er seine wissenschaftliche Karriere als Computerprogrammierer der Universität Stockholm und studierte Meteorologie. Der Jahrhundertwissenschaftler legte mit seinen Arbeiten über Stickoxide die Grundlagen für die Entschlüsselung des Ozonabbaus. 1995 erhielt er den Nobelpreis für Chemie (die erste umweltpolitische Auszeichnung des Nobelkomitees teilte er sich zusammen mit Mario Molina und Sherwood Rowland). Er engagierte sich in der UNO, in der Klima-Enquete des Deutschen Bundestages und dem Expertengremium zu den planetarischen Grenzen der Erde. Ein Meilenstein für die Erdsystemforschung war 2002 sein Essay „Die Geologie der Menschheit“. Nach ihm wurde sogar ein Asteroid benannt. Zwischen 2001 und 2004 war er der weltweit meistzitierte Geowissenschaftler.
Schon während der Einführung des Begriffs „Anthroprozän“ bezweifelte Crutzen, ob die Gesellschaft schon so weit ist, das Anthropozän als geoökologischen Fakt anzuerkennen. Die öffentliche Debatte entwickelte sich damals nur langsam, was ihn sehr enttäuscht hat. Er sah darin den Anstoß für eine intensive Diskussion über den Zustand des Erdsystems und regte an, sie in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zu führen. Er plädierte bis zuletzt für eine engere Zusammenarbeit zwischen Natur- und Sozialwissenschaften. Crutzen verstand sich immer in der Tradition Alexander von Humboldts, für den Wissenschaft ein dynamischer Prozess des Verstehens war: „Um das Geschaffene im Himmel und auf Erden zu verstehen, muss die Erscheinung der Dinge in einem Zusammenhang gesehen werden.“
Nachhaltigkeit im Anthropozän - ein Leben innerhalb äußerer und innerer Grenzen.
Auch heute, im Komplexitätszeitalter, geht es darum, den neuen Wissensstand über die Zusammenhänge der Welt richtig zu verstehen und Dinge einzuordnen. Hier braucht es auch eine psychologische Dimension, die mit unter anderem mit folgenden Fragen verbunden ist:
• Was meinen wir eigentlich, wenn wir Mensch sagen?
• Wer werden wir gewesen sein, wenn unser Leben zu Ende geht?
• Gelingt es uns, unser Leben vom Ende her richtig zu denken?
• Wie viel und was hinterlassen wir künftigen Generationen?
Anthropozän bedeutet in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit zwei Grenzerfahrungen: mit den geoökologischen Grenzen des Planeten (nach außen) und eine Auseinandersetzung mit den Grenzen unseres Denkens, unserer Wahrnehmung und unseres Handelns (nach innen). Die äußeren Grenzen sind uns durch den Planeten vorgegeben. Die inneren Grenzen verweisen wiederum auf individuelle Grenzerfahrungen sowie auf kollektive Grenzen in Bezug auf die von uns geschaffenen Institutionen (vorgezeichnet durch den Diskussionsstand der empirischen Psychologie, Neurowissenschaften und Medizin). Vor allem geht es hier um die Frage, wie wir mit Denkfehlern und Begrenzungen unserer Wahrnehmung umgehen, wie wir Risiken und Unwissenheit meistern, aber auch, wie wir zwischenmenschlich und mit der Natur umgehen und nachhaltige Veränderungen der globalen Wirtschaftsprozesse anstoßen.
Vieles wird nur kurzfristig gesehen, wobei der ökonomische Vorteil entscheidet.
Dagegen ist es schwer, das ökologisch Notwendige auch durchzusetzen. Das erfordert einen grundlegend neuen und anderen Weg. „Dabei wäre es eine große Chance, wenn wir unsere Kräfte auf ein ökologisch nachhaltiges Management in Wirtschaft und Gesellschaft konzentrierten“, so Crutzen. Wichtig sei es, dass auch Unternehmen Strategien entwickeln, in denen Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Innovationen Hand in Hand gehen. Dabei geht es nicht um „den einen großen Wurf, vielmehr sind es die kleinen Schritte, die Unternehmen voranbringen“, schreibt Ulrike Böhm, die beim Druckluft- und Pneumatikspezialisten Mader für Change Management und Kommunikation verantwortlich ist. Das Unternehmen richtet über die Jahre nicht nur sein Leistungs-und Produktportfolio Stück für Stück am Energieeffizienzgedanken aus.
Die Unternehmensführung ist sich sicher, „dass ein Umdenken bei jedem Einzelnen notwendig ist.“ Dazu braucht es auch die Einbindung der Sinnfrage (warum tun wir das, was wir tun). Sie ist für den Einzelnen genauso wichtig wie für Unternehmen mit einem gemeinsamen Wertekanon. Wir verbrauchen nämlich weniger Energie, um etwas zu verändern, wenn uns Weg und Ziel sinnvoll erscheinen. Belehrungen und Aufforderungen können nur wenig dazu beitragen, dass sich Menschen freiwillig für ein nachhaltiges Leben einsetzen. Wollen motiviert, nicht müssen. Es wird bei Mader deshalb von Anfang an auf Sensibilisierung gesetzt, den Austausch in Netzwerken, kontinuierliches Benchmarking und externe Impulse. Die Publikationen von Crutzen laden dazu ein, auch inhaltliche Beziehungen zu Unternehmen herzustellen, die seine Worte in Taten umsetzen - und für die Umwelt- und Klimaschutz eine grundlegende Bedingung dafür ist, dass Zukunftsaufgaben richtig gemeistert werden können.
Weiterführende Informationen:
Bewahrer und Betreiber des Wandels: Die Erde und wir
Ulrike Böhm: Die Macht der kleinen Schritte. Wie man als mittelständisches Unternehmen zum Klimaretter wird. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Paul J. Crutzen, Michael Müller (Hrsg.): Das Anthropozän. Schlüsseltexte des Nobelpreisträgers für das neue Erdzeitalter. Mit Einführungen u.a. von Hans J. Schellnhuber und Klaus Töpfer. Oekom Verlag, München 2019.
Wolfgang Haber, Martin Held, Markus Vogt (Hrsg.): Die Welt im Anthropozän. Erkundungen im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Humanität. Oekom Verlag, München 2016.
Erle C. Ellis: Anthropozän. Das Zeitalter des Menschen – eine Einführung. Oekom Verlag, München 2020.