Wächter des Meeres: Warum Leuchttürme nicht vergessen werden sollten
Leuchttürme sind vom Untergang bedrohte Relikte der Vergangenheit. Sie sind zwar noch nicht ganz verschwunden, doch haben sie durch die sonar- und satellitengestützte Navigation an Bedeutung verloren.
Dank GPS wissen Schiffe heute, wo Riffe lauern. Als "romantische Ruinen", befürchtet der britische Historiker R. G. Grant, werden diese Bauwerke in naher Zukunft enden. Sie sind zwar nicht mehr das, was sie einmal waren, aber sie erinnern uns als Mahnmale dessen daran, was wir verlieren können. Heute erscheint der Begriff verstärkt im Unternehmenskontext, etwa, wenn von „Leuchtturmprojekten“ gesprochen wird.
Wer an Leuchttürme denkt, verbindet damit Stürme und Gefahr, aber auch Orientierung und Sicherheit. Die australische Autorin Margot L. Stedman bezeichnet den Leuchtturm in ihrem Roman "Das Licht zwischen den Meeren" sogar als auf die Erde gefallene "Splitter eines Sterns". Das Aufmacherfoto dieses Beitrags entstand in Portugal an der Küste von Nazaré, das die Fotokünstlerin Nicole Simon für ihr Kalenderprojekt POINT OF VIEW 2019 wählte. „Ich hoffte, das Glück zu haben, dort für mein Motiv RESPEKT riesige meterhohe Wellenbrecher beobachten zu können, um diese beeindruckende Macht der Natur in mein Bild übertragen zu können. Die Intention dabei war, mit dem Foto bewusst zu machen und verdeutlichen zu können, wie klein wir Menschen im Gegensatz zu riesigen Naturgewalten sind. Wir sollten Respekt vor ihnen und Natur wertschätzen.“
Es lohnt sich, vor diesem Hintergrund auch den Sammelband „Europa und das Meer“ (Deutsches Historisches Museum) zu lesen. Erst dann wird das Big Picture der Geschichte und der Geschichten vollständig. Darin wird auch auf die Odyssee verwiesen, der ersten schriftlichen Überlieferung zum Thema Seefahrt in der Antike. Der Dichter Homer (vermutlich 850/750 v. Chr.) schilderte, dass die Griechen mit Langschiffen vorwiegend im küstennahen Bereich fuhren oder an windgeschützten Sandstränden aufgeschleppt wurden. Odysseus musste auf der Rückfahrt von Troja in seine griechische Heimatinsel Ithaka gemeinsam mit seinen Gefährten zahlreiche gefahrvolle Abenteuer überstehen. In der Szene einer Begegnung mit der Phäakenprinzessin Nausikaa sind erstmals Merkmale überliefert, die als Prototyp einer Hafenstadt gelten können: Im Hafen berühren sich Land und Meer, es sind aber auch Vorrichtungen für das Anlegen von Schiffen vorhanden sowie ummauerte Hafenbecken zum Schutz vor Sturm, Strömung und Feinden, ebenso ausreichend Lagerkapazität für Handelswaren, ein Markt zum Verkauf verderblicher Güter sowie ein Leuchtturm (!), damit der Hafen auch bei Nacht weithin sichtbar ist.
Sie könnten als "romantische Ruinen" enden
Im Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin findet sich der Denar aus dem Münzprogramm des Sextus Pompeius (76/66?–35 v. Chr.), der auch im Sammelband des DHM abgebildet ist: Auf der Vorderseite ist ein Leuchtturm (!) zu sehen, der von einer Statue mit Helm sowie maritimen Elementen (Dreizack, Ruder, Schiffsbug) gekrönt wird. Davor befindet sich eine Galeere. Auf der Rückseite ist Skylla (weiblicher Oberkörper und Unterkörper, der sich aus Hunden und Fischschwänzen zusammensetzt) dargestellt, die mit einem Ruder zum Schlag ausholt. Die Münze bezieht sich auf den Krieg zwischen Sextus Pompeius und dessen Kontrahenten Octavian (63 v. Chr. – 14 n. Chr.), den späteren Kaiser Augustus. Im Jahr 42 und 38 v. Chr. erlitt Octavians Flotte Niederlagen in der Straße von Messina, als seine Schiffe bei Unwetter an den Klippen zerschellten, während es Sextus‘ Flotte trotz der Stürme gelang, in den sicheren Hafen einzulaufen.
Der englische Sachbuchautor R. G. Grant widmet sich in seinem Buch „Wächter der See“ der Geschichte - dem Aufbau und Verfall der Leuchttürme: Eines der sieben Weltwunder der Antike, der rund 140 Meter hohe Pharos von Alexandria (280 v. Chr.), galt als erster Leuchtturm. In drei Etagen ragte er 140 Meter hoch auf. Er war allerdings nicht nur ein Leuchtturm, sondern auch ein Symbol der Macht. 1500 Jahre hielt das Bauwerk, dann zerstörten es Erdbeben 1303 und 1323.
Nachdem am Heiligabend 1695 die „Constant“, ein Handelsschiff auf dem Weg nach Plymouth, am Eddytone Riff gekentert war, beschloss ihr Eigner Henry Wistanley, auf diesem winzigen Felsen im tosenden Meer einen Leuchtturm zu errichten. Die Arbeiten waren zunächst nur im Sommer möglich. Sämtliches Material musste per Boot dorthin geschafft werden. Nach vier Jahren wurden auf dem 18 Meter hohen Holzturm 60 Talglichter entzündet. Wistanley feierte das als Sieg über die Elemente und schmückte den Turm immer weiter aus. Fünf Jahre später, am 27. November 1703, spülte ein Orkan Leuchtturm und Erbauer vom Felsen. Zwei Tage später zerschellte das nächste Schiff am Riff. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts setzte der moderne Staat dem Piratenunwesen ein Ende und sicherte damit Reisewege auch zur See. Zudem hatte er damit begonnen, das Meer durch Deichbau zu bändigen und Warnsysteme zu entwickeln - etwa die seit Ende des 18. Jahrhunderts in ihrer Leuchtkraft stark verbesserten Leuchttürme oder Wetterballons. 1759 begann mit dem Eddystone Lighthouse im Südwesten Englands das Goldene Zeitalter des Leuchtturmbaus. Allerdings wollten viele arme Küstenorte gar keine Leuchttürme, weil sie die Wracks bevorzugten (Plünderungen sicherten ihr Überleben).
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging die weltweite Ausbreitung der Leuchttürme mit der "Expansion des europäischen Imperialismus" einher: Der maritime Welthandel explodierte - auch dank hochseetauglicher Dampfschiffe. Europäische Mächte wie England befahlen ihren Handelspartnern, Leuchttürme entlang der Schifffahrtswege zu erbauen. Damit waren häufig zahlreiche Gefahren verbunden. So berichtet Grant von englischen Arbeitern, die auf abgelegenen Felsen vor der Küste erst in größter Not vor der steigenden Flut gerettet wurden. Er verweist aber auch auf Bautrupps, die auf Inseln festsaßen und wegen Sturm sieben Wochen von keinem Versorgungsboot erreicht werden konnten. Beschrieben wird auch der anstrengende Alltag der Leuchtturmwärter – fernab aller Romantik: Auf See saßen in einer kleinen Kammer Dreierteams monatelang einsam und eingepfercht zusammen.
„Das ist der Hüter des Landes
Der äußerste Wachtposten des Friedens
Das ist der Mann, der alles Liebenswerte des Lebens aufgibt
für einen Lebensunterhalt.“
Das schreibt der schottische Schriftsteller Robert Louis Stevenson, der mit seinem Werk „Die Schatzinsel“ bekannt wurde, über den „Light-Keeper“ - „hoch oben gehalten in der Finsternis / im flammenden Kern des Lichts“. Er stammt aus einer Dynastie von Leuchtturmbauern. Robert Stevenson (1772-1850) war ein schottischer Leuchtturmbauer und Stiefsohn von Thomas Smith, der ebenso Leuchtturmbauer war. Seine drei Söhne David, Alan und Thomas, sowie seine Enkel David Alan Stevenson und Charles Alexander Stevenson und sein Urenkel Alan Stevenson folgten ihm beim Errichten von Leuchttürmen nach. Grant widmet sich aber auch den Schwierigkeiten des Leuchtturmbaus, der Entwicklung des Leuchtfeuers (von Talgkerzen über katoptrische Lichtsysteme bis zur Fresnel-Linse, die in den 1820er-Jahren die Leuchtturmtechnik revolutionierte) und den schrittweisen Verbesserungen der Leuchtkraft. Enthalten sind mehr als 300 Abbildungen, Bauskizzen, alte Stiche und frühe Fotografien.
Warum also sollten wir uns in Zeiten des digitalen Wandels mit einem Monument der Vergangenheit wie dem Leuchtturm beschäftigen? Vielleicht, weil es uns hilft, uns besser zu orientieren und zu fokussieren, aber auch, uns an das zu erinnern, was war, um daraus geistige Kraft für die Gegenwart zu gewinnen. Viele Menschen nutzen die Symbolkraft der Leuchttürme, um Zukunftsweisendes zu vermitteln: So sind beispielsweise Miniatur-Solar-Leuchttürme zum Selberbauen sehr beliebt. Auch werden immer mehr Leuchttürme aufgestellt, die für ein maritimes Flair im Garten sorgen. Wer den Dingen hinterher denkt, rettet sie in die Erinnerung. Was im Gedächtnis nachhaltig bewahrt ist, gehört zur eigenen Vergangenheit, die nicht verklärt werden soll, sondern ein Gefühl von Ankommen und Abschied vermittelt oder einfach nur Trost in Zeiten, die an schwere See erinnern und Orientierung bieten.
Weiterführende Informationen:
Grant: „Wächter der See. Die Geschichte der Leuchttürme“. Aus dem Englischen von Heinrich Degen. DuMont, Köln 2018.
Europa und das Meer. Herausgegeben von Dorlis Blume, Christiana Brennecke, Ursula Breymayer und Thomas Eisentraut für das Deutsche Historische Museum. Hirmer Verlag. München 2018.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Kindle Edition 2017.