Wahrer Luxus ist nachhaltig
Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Verschwendung“ – allerdings ist Luxus wirtschaftlich gesehen alles andere als überflüssig. Im Englischen beschreibt der Begriff teuren Komfort und Eleganz. In Spanien ist damit das Zurschaustellen von Dingen gemeint, in die viel Geld oder Zeit investiert wurde. Es geht um die Liebe zu einem Produkt und Achtsamkeit der Dinge. Wahrer Luxus ist sogar nachhaltig, weil hochpreisige Produkte von den Konsumenten wertschätzender behandelt werden und wegen ihrer hochwertigen handwerklichen Verarbeitung länger halten. In krisenhaften Zeiten ist die emotionale Bindung an nicht kopierbare und konkurrenzlose Luxusgegenstände, die mit den eigenen Händen zusammengefügt wurden, besonders ausgeprägt.
Handwerklich hergestellte Produkte stellen als wertvolles Kulturgut eine nachhaltige Alternative zum schnellen Konsum und zur Welt der Massenprodukte dar. Was heute nottut, ist eine allgemeine Wertschätzung des Vergnügens an einer tieferen und länger bestehenden Beziehung zu ihnen, schreibt Frank Trentmann, britischer Professor für Geschichte am Birkbeck College der University of London, in seiner umfassenden „Warenbiografie“ der letzten 500 Jahre („Herrschaft der Dinge“, im englischen Original: „Empire of Things“). Viele Gegenstände haben für uns eine tiefere Bedeutung, weil sie mit Geschichten und Emotionen aufgeladen sind. Er widmet sich alltäglichen Dingen, die die menschliche Seele berühren und identitäts- und sinnstiftend sind in einer Zeit, die immer komplexer, schneller und unsicherer wird: „Wenn ich für mein Leben gerne Fahrrad fahre, dann sind das Rad und der Helm ein Teil dessen, was ich bin. Das verstehen die meisten Konsumkritiker nicht. Die sehen Dinge, als ob sie außerhalb unseres Selbst liegen und uns aushöhlen oder gar vergiften. Aber ohne Dinge könnten wir nicht würdevoll leben. Der Mensch ist nicht dinglos“, sagte er im März 2019 in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.
In ihrem Buch „Bereicherung. Eine Kritik der Ware" widmen sie sich der Entstehung ökonomischer Wette und plädieren für eine alternative Form der Wertschöpfung: die Anreicherung von Dingen mit Geschichten und Geschichte und deren Erweiterung als Identifikationsplattform. Daran beteiligt sind Marketingexperten, Gutachter und Sachverständige, die den vermuteten Wert eines Gegenstands ermitteln und damit kaufmännischen Mehrwert ermöglichen. Der Wert von Waren sinkt normalerweise mit der Zeit - in der Anreicherungsökonomie, die nicht produziert, sondern Wert aus bereits vorhandenen Dingen schöpft, ist das allerdings umgekehrt: Er steigt. Die Ware wird dabei mit einer bestimmten Geschichte oder Tradition versehen, die sie anreichert. Luxusgüter, Immobilien und Tourismus sind für Boltanski und Esquerre zentrale Felder einer neuen Ökonomie der Anreicherung, die zunehmend unsere Gesellschaften prägt. Bislang wurden Luxusindustrie und Tourismus immer getrennt von der künstlerischen Produktion betrachtet.
Nicht mehr die Standardform der industriellen Produktion stellt das Ideal des Konsums dar, sondern das exklusive Einzelstück. So wie unsere Lebensbereiche zunehmend nach persönlichen Vorlieben gestaltet werden, erleben wir auch eine neue Blütezeit für Maßfahrräder. So bestellte Wladimir Klitschko im Sommer 2013 das Individualmodell von Corratec, ein maßgefertigtes Mountainbike, dessen Karbonrahmen kaum mehr wiegt als ein Profirennrad. Entworfen und hergestellt wurde es von Mauro Sannino, der seit vielen Jahren für den Fahrradproduzenten in Raubling bei Rosenheim arbeitet. Zwischen 150 und 200 Sannino-Rad-Bestellungen nimmt Corratec jährlich entgegen. Die urbanen Individualisten werden „vermessen“, nach ihrem Fahrradverhalten befragt und erhalten zwei Monate später ihr Fahrrad, das bis zu 10.000 Euro kostet - auf Wunsch auch mit Signatur. Die Bereitschaft, viel Geld in ein Fahrrad zu investieren, das häufig den Preis eines Kleinwagens hat, ist inzwischen auch in Deutschland gestiegen.
Luc Boltanski, Arnaud Esquerre: Bereicherung. Eine Kritik der Ware. Aus dem Französischen von Christine Pries. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
Miriam Schad: Über Luxus und Verzicht. Umweltaffinität und umweltrelevante Alltagshandlungen in prekären Lebenslagen. Oekom Verlag, München 2017.