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Warum die Kunst des Zweifelns auch im Zeitalter der Digitalisierung unverzichtbar ist

Der Zweifel hilft uns beim differenzierten Denken und Abwägen. Der bewusste Zweifler steht in der Tradition des Skeptikers. Skepsis ist ein aus der griechischen Philosophie stammender Begriff, der auf Pyrrhon von Elis zurückgeht und sich vom griechischen Verb skeptesthai („umherspähen, suchen, prüfen, genau betrachten“) herleitet. Er hängt zwar mit dem Zweifeln zusammen, sollte aber nicht auf ihn verengt werden. Ein Skeptiker prüft und betrachtet die Dinge genau und nimmt eine observierende Haltung zur Welt ein. Sein Drang, alles infrage zu stellen, basiert auf einer genauen und unvoreingenommenen Beobachtung.

Im 18. Jahrhundert setzte der Zweifel die Aufklärung in Bewegung. Der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes brauchte ihn, um rückschließen zu können, dass er denkt und existiert. Mit seinem Satz „Cogito ergo sum“ wurde er zu einem der bedeutendsten Wegbereiter der Aufklärungsphilosophie: "Ich zweifle, also bin ich, oder was dasselbe ist, ich denke, also bin ich." Voltaire machte den Zweifel sogar zu einer „Maxime seines Denkens“: „Zweifel ist zwar kein angenehmer geistiger Zustand, aber Gewissheit ist ein lächerlicher.“

Das gilt heute auch für die Gewissheit, die viele Menschen mit den positiven Folgen der Digitalisierung bringen: Zugang zu Wissen, Vernetzung und grenzenlose Kommunikation ist etwas Großartiges. Der Zweifel hilft uns, nicht nur in Kategorien von Rausch und Ernüchterung, von schwarz (digitale Abstinenz) und weiß (vollmundige Verheißungen der schönen neuen Welt) zu denken. Die Publizistin Carolin Ehmke fragte in ihrem SZ-Beitrag „Antastbar“: „Wie lassen sich Nachdenklichkeit und Zweifel zurückbringen ins Gespräch?“

Im Kontext der Digitalisierung schrieb der Soziologe Harald Welzer 2016 im SPIEGEL in polemischer Weise von der „smarten Diktatur“ eines Digitalimperialismus, den man bekämpfen müsse, denn das „gute Leben“ sei analog. Es ist unumgänglich, die kritischen Erörterungen zur Digitalisierung ernst zu nehmen (die Akkumulation der Daten, die Manipulation des Konsumverhaltens, unreguliertes Datensammeln, Geheimdienste und Unternehmen, die Digitalisierung zu ihrem Vorteil ausnutzen etc.), doch ist es genauso wichtig vermitteln, dass es heute um den Realitätssinn für das Thema gehen sollte und uns Alarmismus und Panik genauso wenig weiterbringen wie Euphorie.

Wir müssen die Rolle der Digitalisierung verstehen, um sie mit entsprechenden Grundkompetenzen richtig zu gestalten – und zwar so, dass die Angst nicht so stark wird, dass der Zweifel mit einer Verweigerungshaltung einhergeht: „Schaffen wir es nicht, die Euphorie gegenüber neuen Technologien mit Zweifeln und kritischem Hinterfragen zu kombinieren, laufen wir Gefahr, uns lächerlich zu machen.“ Schreibt Felix Schwenzel in seiner Kolumne im 3tn Magazin, der dem Zweifel gern zu mehr Popularität verhelfen möchte. Er ist für ihn dann konstruktiv, solange die Angst nicht dominiert und Skepsis mit Lust, Neugier und Offenheit einhergeht.

Vom französischen Philosophen, Essayisten und Skeptiker Paul Valéry (1871-1945) können wir heute vor allem das Prüfen (auch im Digitalisierungskontext) lernen: Er übte und stärkte seinen Geist durch rückhaltloses, dabei präzises Fragen (facultas interrogandi) bzw. durch Infragestellen des sicher Geglaubten. Leider neigen vor allem inkompetente Menschen dazu, sich selbst zu überschätzen und die Kompetenz anderer Menschen zu unterschätzen. Das ist der so genannte „Dunning-Kruger-Effekt“, der auf Studien der beiden Wissenschaftler Dunning und Kruger der Cornell University zurückgeht: Sie stellten fest, dass bei vielen Tätigkeiten Unwissenheit oder mangelndes Können häufig zu mehr Selbstsicherheit verleitet als Wissen oder Können. Der US-amerikanische Dichter Charles Bukowski bringt es auf den Punkt: „Das Problem der Welt ist, dass intelligente Menschen voller Zweifel und Dumme voller Selbstvertrauen sind.“

Weiterführende Informationen:

CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.

Alexandra Hildebrandt: Kopf oder Bauch? Wie wir heute die richtigen Entscheidungen treffen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Felix Schwenzel: Der gesunde Zweifel. In: t3n Magazin Nr. 52 (Juni 2018), S. 194.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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