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Warum funktioniert die Chef-Strategie von Donald Trump? Der Teufel trägt – Charisma!

Kurz vor der US-Wahl lohnt sich ein Blick auf Führungskräfte wie Donald Trump. Warum akzeptieren Menschen seine Lügen? Warum machen sie womöglich sogar aktiv dabei mit?

Wie kann es sein, dass normale Menschen auf einmal den Verstand ausschalten? Und wie kann sich eine konservative Partei derartig radikalisieren? Warum fehlt dafür in Deutschland (noch) das Verständnis?

Das sind Fragen, die man sich beim Blick in die USA zwangsläufig stellen muss. Wir beobachten die Entwicklungen, machen uns Sorgen und ringen um Verstehen. Früher hätten wir in der Tat vor einem Rätsel gestanden. Dank neuer Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung lässt sich das Phänomen heute jedoch anhand von drei Punkten präzise beschreiben und erklären.

Trump tritt erstens unheimlich charismatisch auf, aber in Deutschland erreicht er die Menschen damit nicht. Zweitens sorgt Charisma unter bestimmten Umständen dafür, dass Menschen das eigene Denken aufgeben und sich ethisch fragwürdig verhalten. Drittens nimmt Trumps Vision den Amerikanern ausgesprochen geschickt die Angst vor dem Wandel. Wie geht das? Lasst uns das im Detail aufdröseln.

Eine superkurze Einführung: was wissen wir über Charisma?

Vorher gibts hier ganz kurz die wissenschaftlichen Fakten zu Charisma. Charisma besteht aus wertebezogenen, emotionalen und/oder symbolischen Signalen. Charisma ist ein entscheidender Faktor für Erfolg in der Führung und lässt sich objektiv messen. Charisma ist zum Teil angeboren, zu einem bedeutenden Teil aber auch erlernbar. Wer erfolgreich führen möchte, sollte sich über Charisma definitiv Gedanken machen. Das passiert viel zu wenig – gerade in der Wirtschaft. Komisch.

Charisma wirkt über drei Komponenten. Das wusste bereits Aristoteles und nannte dieses Dreieck damals Logos (Metaphern, rhetorische Fragen, Kontraste, Geschichten und Listen), Ethos (Werte, Empathie, Ziele und Zuversicht) und Pathos (Stimme, Ausdruck, unkonventionelles Verhalten und Humor).

Charisma ist zwar enorm wirkmächtig, aus einer ethisch-moralischen Perspektive jedoch komplett neutral. Die größten Lichtgestalten der Menschheitsgeschichte sind nicht zufällig ebenso höchst charismatisch wie die grausamsten Tyrannen – dafür reicht ein kurzer Blick in die deutsche Geschichte.

Intelligenz hilft, aber man muss keineswegs besonders extrovertiert sein für hohes Charisma, siehe etwa Mahatma Gandhi, beide Obamas oder Greta Thunberg. Narzissmus korreliert mit Charisma, weshalb man Charisma z.B. bei der Personalauswahl unbedingt erheben sollte – aber Narzissmus halt zur Kontrolle eben auch. Einen Mahatma Gandhi möchte man als Führungskraft gern im Team haben, einen Donald Trump jedoch eher weniger. Literatur findet Ihr unten.

1. Trumps Charisma wirkt – aber nicht in Deutschland

Dass Trump ein besonders ausgeprägtes Charisma hat: offenkundig. So spricht er beispielsweise extrem in Bildern und Geschichten. Dabei verzichtet er weitgehend auf inhaltliche Kohärenz, aber selbst dafür findet er noch eine Metapher: „the weave“ zu deutsch „das Webgeflecht“. Er redet also unzusammenhängendes Zeugs daher und schafft es, selbst das als einzigartige Kompetenz zu überhöhen. Die Redewendung „aus Scheiße Gold machen“ liegt da durchaus nahe.

Übrigens mag Trump zwar explizit wissenschaftsfeindlich auftreten, aber er agiert selbst wie ein kleiner Wissenschaftler und testet Hypothesen systematisch. Zunächst probiert er neue Slogans aus, dann testet er die Reaktionen seines Publikums darauf und begräbt im Anschluss nicht funktionierende Punchlines. Nehmt zum Beispiel seine vermeintliche Beleidigung der „laughing Kamala“. Natürlich sind diese negativen Spitznamen eine weitere Charismataktik. Aber die „laughing Kamala“ hat er eine Zeit lang ausprobiert, die Beleidigung kam nicht wie gewünscht an und verschwand in der Folge schnell wieder in der Versenkung.

Trump ist irgendwie total charismatisch, aber das kommt in Deutschland nicht an. Komisch, oder?

„Wertekongruenz“ Was soll das sein?

Die Begründung dafür liegt in einem einzigen Wort: „Wertekongruenz“: Charismatische Signale entfalten ihre Wirkung vor allem dann, wenn es eine gemeinsame Basis gibt. Insbesondere in polarisierten Themenfeldern verpufft Charisma bei stark auseinanderklaffenden Wertesystemen. Das ist bei Trump der Fall. Sein Charisma wirkt in Deutschland nicht, weil er US-typisch konnotierte Ideale propagiert:

Freiheit: Ein höchst libertär geprägter Begriff von Freiheit, der mit Hegel nix zu tun hat und kaum anschlussfähig ist.

Patriotismus: Ein klar in den Rassismus und Isolationismus kippender Patriotismus, wie er in Deutschland sehr skeptisch beäugt wird.

Religion: Eine Auffassung von Religion, die fundamentalistisch daherkommt, Frauenrechte weitgehend ignoriert und in Deutschland mehrheitlich verpönt ist.

Das ist uns in Deutschland doch alles relativ fremd – aber der Wind dreht sich. Die AFD gewinnt in Ostdeutschland und wird überall stärker, Schweden, Niederlande, Ungarn etc. sind bereits heute auf demselben Kurs. Insofern ist die Inkongruenz der Werte in Deutschland vermutlich mit einem „noch“ zu versehen.

Aber halt! Da fehlt doch was. Wie sieht es denn mit der Bigotterie von Trump aus? Liegt da nicht ein Widerspruch nahe? Wie kann denn der Trump ernsthaft so was wie Religion überhaupt ansprechen und die Evangelikalen für sich einnehmen, wenn er ganz offensichtlich Wasser predigt und selbst Wein säuft? Das Bisherige erklärt alles noch nicht, dass die Menschen seinen Lügen glauben! Und was hat das damit zu tun, dass vormals staatstreue Menschen plötzlich zu Geiferern werden, die das Kapitol angreifen? Stimmt alles. Auf geht es zu Punkt 2.

2. Trumps Charisma verführt zu Schweigen und unethischem Verhalten

Charisma funktioniert also super – jedoch unabhängig vom ethisch-moralischen Gehalt. Okay. Aber warum nehmen die Leute die ganzen Lügen hin, warum ignorieren sie so passiv die Fakten, und woher kommt die krasse Aggressivität?

Donald Trumps Charisma ist wie ein Popkonzert im Stadion: Laut, mitreißend und voller begeisterter Fans, die jedes Wort inhalieren. Bei aller Begeisterung bleiben dabei einige sehr wichtige Dinge auf der Strecke.

So sind die Fans schnell derart beeindruckt, dass ihre kritischen Einwände auf Stumm geschaltet werden. Während das Anheizen von Trumps Ideen gepusht wird, sieht es mit Kritik zunehmend düster aus. Niemand möchte Buhmann sein und den Flow des großen Meisters stören – schon gar nicht, wenn Trump die Show so spektakulär inszeniert. Dieser Effekt wurde sogar international nachgewiesen, einmal in Asien und einmal von Heike Bruch aus Sankt Gallen mit europäischen Daten. So entsteht Schweigen. Aber Schweigen ist das eine – aktive Lügen noch mal ne andere Nummer. Wie geht das vonstatten?

Warum spielen die Leute das böse Spiel mit?

Zwei negative Effekte bedingen sich dabei gegenseitig: die Legitimation von unethischem Verhalten und eine Zunahme von Zynismus.

Wie entsteht die Legitimation von unethischem Verhalten? Da ist Donald Trump mit seiner typischen Gestik – die Hände weit, die Stimme laut, die Worte scharf. Die Leute hängen an seinen Lippen. Dabei verrutscht der moralische Kompass ausgesprochen leicht. Trumps charismatisches Auftreten erzeugt eine so starke Identifikation, dass die Sache plötzlich „größer als man selbst“ wird. Aus „ich hinterfrage das mal“ wird ein „alles für das Team“ – und damit werden auf einmal fragwürdige Aktionen salonfähig.

Das Spannende**:** Es muss nicht mal Absicht sein! Trump präsentiert seine Visionen, die Augen funkeln, die Energie im Raum steigt – und ehe man sich versieht, denkt man auch mal um die Ecke, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Mal hier eine Wahrheit beugen, mal dort ein Auge zudrücken – für „das große Ganze“, versteht sich. Die moralischen Schranken bröckeln, wenn durch pure Begeisterung der Zweck die Mittel heiligt. Der Gedanke, mal eine Information zu „verdrehen“ oder einen Vertrag etwas kreativ auszulegen, wird plötzlich zum Akt des Heldentums. Unethische Handlungen werden zum Loyalitätsbeweis, solange es „dem großen Ziel“ dient.

Trump spricht von „Gewinnen um jeden Preis“, und die Fans lassen dafür sonst übliche ethische Regeln außen vor. Diesen Prozess hat ein Bochumer Dreigestirn (inklusive meines heutigen, höchst geschätzten Kollegen Jochen Overbeck-Gurt) nicht nur theoretisch beschrieben, sondern empirisch nachgezeichnet.

3. Trumps Charisma nimmt Menschen die Angst vor der Zukunft

Veränderungen erzeugen Ängste. Immer. Unabhängig von Inhalten. Und häufig auch irrational. Menschen reagieren selbst dann mit Widerstand, wenn die Notwendigkeit der Veränderung erkannt wird, wenn die Ziele mit den eigenen Interessen übereinstimmen und wenn eigentlich Wohlwollen gegenüber den Handelnden herrscht. Klingt crazy, aber so isses. Wer mal ne Veränderung umzusetzen versucht hat, weiß das.

Was tun? Na ja, eine Vision, also ein Bild der Zukunft für die jeweilige Gemeinschaft, hilft nachweislich schon mal. Damit wird nämlich klar, wo es eigentlich hingehen soll und was daran cool ist. Oft sind solche Visionen aber viel zu verkopft und zahlengetrieben, um die Menschen zu erreichen. Dieser Fehler ist so verbreitet, dass er sogar einen wissenschaftlichen Namen hat: der „blurry vision bias“. Was kann man dagegen tun? Von Trump lernen. Eine zu progressive Vision der Zukunft wirkt einschüchternd. Sie bedroht vor allem die soziale Identität, also das Selbstkonzept von Menschen. Neue Dinge mag man nicht, weil sie als Bedrohung für die Vorstellung vom eigenen Ich aufgefasst werden.

Auf einmal tauchen neue Geschlechter auf? Igitt. Damit will ich mich nicht auseinandersetzen.

Ich soll mich impfen, weil da so eine komische Pandemie angerollt kommt? Bleib mir weg.

Da sollen Menschen mit komischen Namen und anderer Hautfarbe in den Arbeitsmarkt integriert werden, damit Deutschland das Demografieproblem in den Griff bekommt? Das kommt nicht in die Tüte.

Doch es gibt dafür ein Gegenmittel, das den Menschen das Gefühl von Bedrohung nimmt. Anstatt nämlich die progressiven Zukunftsvisionen in blühenden Farben zu malen und dadurch unwissentlich Ängste auszulösen, macht Trump das ganz anders – und mit ihm weltweit die Populisten. Das Geheimrezept ist der Vergangenheitsbezug. Eine Vision der Zukunft erzeugt nämlich dann weniger Angst, wenn sie aus der Vergangenheit heraus begründbar und konsistent erscheint. Eine gute Vision der Zukunft ist eine Vision der vergangenheitsbezogenen Kontinuität. Das wurde in einer bahnbrechenden Arbeit eines holländischen Teams nicht nur sauber aufgeschrieben, sondern sowohl in einer Feldstudie als auch in einem Laborexperiment empirisch nachgewiesen.

Was hat das jetzt mit Trump und den Populisten zu tun? Na ja, deren Visionen sind so attraktiv, weil sie allesamt einen starken Vergangenheitsbezug haben. Dadurch entsteht ein Gefühl von Konsistenz, Richtung und Kontinuität. Das finden Menschen gut.

„Make America great AGAIN!“ macht klar, dass die Zukunftsvision von Trump im Kern die Fortschreibung einer glorifizierten Vergangenheit sein soll. In Großbritannien war das beim Brexit nicht anders. „Taking BACK Control!“ ist eine Rückbesinnung. Das wirkt. Kontinuität durch eine Fortschreibung der Geschichte. Und hat sich mal jemand gefragt, weshalb Putin dauernd so beknackte Parallelen zum zaristischen Russland herstellt? Genau.

Fazit

Charisma ist wahnsinnig wirkungsvoll, aber ethisch-moralisch neutral. Trump nutzt das aus und macht sich dabei – wissentlich oder unwissentlich – die drei beschriebenen Effekte zu nutze.

Kommentare? Wie siehts aus? Seid Ihr an Bord oder gibt’s Widerspruch? Schießt los!

Quellen

Charisma ist entscheidend für Führungserfolg:

Hoffman, B. J., Woehr, D. J., Maldagen‐Youngjohn, R., & Lyons, B. D. (2011). Great man or great myth? A quantitative review of the relationship between individual differences and leader effectiveness. Journal of occupational and organizational psychology, 84(2), 347-381.

Charisma ist erlernbar:

Antonakis, J., Fenley, M., & Liechti, S. (2011). Can charisma be taught? Tests of two interventions. Academy of Management Learning & Education, 10(3), 374-396.

Charisma wirkt über drei Komponenten:

Bastardoz, N. (2020). Signaling charisma. In Routledge International Handbook of Charisma (pp. 313-323). Routledge.

Charisma und Narzissmus:

Galvin BM, Waldman DA, Balthazard P. (2010). Visionary communication qualities as mediators of the relationship between narcissism and attributions of leader charisma. Personnel Psychology, 63, 509–537.

Wertekongruenz bedingt die Charismawirkung:

Wilms, R., Bastardoz, N., el Dahan, C. S., & Jacquart, P. (2024). Are we on the same page? Leader-follower value congruence as a boundary condition in the emergence of charismatic effects. The Leadership Quarterly, 101839.

Charisma und Schweigen

Zhu, Y., & Wu, J. (2023). Does charismatic leadership encourage or suppress follower voice? The moderating role of challenge–hindrance stressors. Asian Business & Management, 22(2), 595-620.

Menges, J. I., Kilduff, M., Kern, S., & Bruch, H. (2015). The awestruck effect: Followers suppress emotion expression in response to charismatic but not individually considerate leadership. The Leadership Quarterly, 26(4), 626-640.

Charisma und Zynismus

Gebert, D., Heinitz, K., & Buengeler, C. (2016). Leaders‘ charismatic leadership and followers‘ commitment—The moderating dynamics of value erosion at the societal level. The Leadership Quarterly, 27(1), 98-108.

Charisma und unethisches Verhalten

Effelsberg, D., Solga, M., & Gurt, J. (2014). Transformational leadership and follower’s unethical behavior for the benefit of the company: A two-study investigation. Journal of business ethics, 120, 81-93.

Charakteristika guter Visionen

Venus, M., Stam, D., & Van Knippenberg, D. (2019). Visions of change as visions of continuity. Academy of Management Journal, 62(3), 667-690.

Ralf Lanwehr schreibt über Führung & Transformation

Ralf beschäftigt sich mit harten Fakten zu weichen Themen aus dem Dreieck Psychologie-BWL-Mathe. Er berät DAX-Vorstände, trainert Führungskräfte und coacht Bundesligatrainer. Die eigene Karriere als Kicker blieb trotz seiner Zeit als Stürmer in der 3. mosambikanischen Liga verdientermaßen aus.

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