Petra Rohner

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für Frauen, Business, Networking, Netzwerke

Warum ich ein Workaholic bin – aus Sicht der anderen

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Allzu oft höre ich, wie viele andere auch, aus dem persönlichen Umfeld: „Du bist ja ein Workaholic!“ Zu Beginn musste ich darüber schmunzeln, denn eigentlich zeigte mir diese Bezeichnung, dass ich „beruflich angekommen“ bin. Tagtäglich freue ich mich auf meine Arbeit und meine Projekte – und richtig, ich schaue oft nicht auf die Uhr und arbeite zu viel und zu lange.

Zumindest aus Sicht der anderen!

Ich wurde jedoch nachdenklich, als ich in einem Online-Artikel folgende Beschreibung zum Workaholic gelesen habe:

„Ein Workaholic ist ein Mensch, der sich von seiner Arbeit nicht trennen kann, es geht ihm wie einem Alkoholsüchtigen, der eine immer höhere Dosis benötigt. Nicht nur Familie und Freunde stehen dem Süchtigen immer mehr im Weg, sondern er empfindet “Freizeit” sogar als Bedrohung.“

Obwohl auch ich Ferien nicht ohne meinen Laptop und Emailabfrage geniesse, sehe ich mich nicht in der oben genannten Situation. Da aber Süchtige bekanntlich einen getrübten Blick haben, setzte ich mich nun doch noch näher mit dem Begriff „Workaholic“ auseinander. Ich wollte erkennen, ob die Aussensicht, also die Wahrnehmung der anderen, mehr mit Sucht zu tun hat, als ich selber mir zugestehen wollte.

Ein schmaler Grat zwischen Hochgefühl und Überlastung

Als Selbstständige ist die Gefahr natürlich gross, einen nicht so klaren Überblick über die geleisteten Stunden zu haben, besonders wenn sich das Büro in der eigenen Wohnung befindet. Arbeitszeit und Freizeit sowie Arbeitsort und Lebensort vermischen sich. Eine der grössten Herausforderung ist deshalb, die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen, ja sogar bewusst zu zelebrieren.

Richtig ist, es besteht ein schmaler Grat, auf dem man geht, zwischen dem Hochgefühl der Selbstständigkeit und des wachsenden Erfolges einerseits und dem nicht mehr überschaubaren zeitlichen Engagement andererseits. Die Rechtfertigung dafür ist schnell zur Hand: Ich leiste den Einsatz ja für mich und nicht für andere. Wer ein Unternehmen führt, setzt jede Minute seiner Arbeit nicht nur für den Lohn ein, sondern auch für das eigenen Wachstum und den persönlichen Erfolg. Ich bin mir absolut bewusst, dass meine Agenda bei jemandem, der eine feste Anstellung im Rahmen von 8 Stunden pro Tag hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit für Unverständnis sorgt.

Aus Erfahrung weiss ich jedoch, dass ein solches Unverständnis gegenüber meinem Engagement und die Aufforderung, die Arbeit etwas zurückzustufen, nicht hilfreich ist: Jeder, der den Weg der Selbstständigkeit gewählt hat, muss sich immer wieder mal für oder gegen die nächste Stufe des Wachstums entscheiden. Zugleich strebt man meistens danach, sein Geschäft vom Kleinstunternehmen zur Firma mit gefüllten Auftragsbüchern weiterzuentwickeln – mit allen Konsequenzen, die dies für den persönlichen Workload mit sich bringt.

Weiter oben auf der Karriereleiter kann man nicht entspannen

Hilfreicher als die Aufforderung, kürzer zu treten, ist der Hinweis, dass man auch Arbeit abgeben können muss – da sich ansonsten Erfolg und dauerhaftes Wachstum nicht miteinander verbinden lassen. Man muss nicht für immer alles selbst machen, aber immer die Kontrolle behalten.

Doch Workaholics gibt es nicht nur unter Selbständigen. Wer als Angestellter schon einmal aufgestiegen ist, weiss, welcher Druck auf dem Weg der Karriereleiter vorhanden ist. Dieser Druck endet auch nicht, wenn die nächste Stufe erklommen ist. Denn je höher man sitzt, umso mehr muss man damit rechnen, dass jemand am Stuhl sägt, und diese Machenschaften abwehren.

Eine beliebte Falle, in die viele ambitionierte Angestellten treten, ist das Aufbauen einer coolen Scheinwelt: Sie wollen den Eindruck erwecken, dass es ihnen leicht fällt erfolgreich zu sein. Ist dieser Anschein im sozialen Umfeld erstmal platziert, ist es fast unmöglich, Kollegen oder Freunden zu vermitteln, dass man mittlerweile möglicherweise doch überlastet ist. Bemerkungen wie: „In deiner Position kannst du es doch jetzt ruhiger nehmen“, helfen in diesem Falle nicht weiter.

Familie und Freunde müssen erst das andere Lebensmodell akzeptieren

Bei vielen Gesprächen mit Personen in Führungspositionen und mit Selbstständigen ist mir aufgefallen, dass genau dieses Unwissen von Partner, Familie und Freunden eines der grössten Probleme darstellt, dass sie nicht verstehen, worin der berufliche Druck besteht, und warum ein Ausklinken oder eine Pensumreduktion aus persönlicher Sicht nicht möglich ist. Und auch, was die finanzielle Situation anbelangt, wissen die Allernächsten oft nicht genügend Bescheid.

Ich erlaube mir kein Urteil, wie man Menschen helfen könnte, die gefährdet sind, Workaholics zu werden. Ich bin mir aber sicher, dass wir künftig eher weniger Workaholics haben werden. Wenn beide Partner Karriere machen, beide dafür reduziert arbeiten können, beide Verantwortung für die Kinderbetreuung übernehmen und beide für die Lebensqualität finanziell aufkommen, hat dies Auswirkungen:

  • Der finanzielle Druck auf dem Einzelnen ist nicht mehr so hoch.
  • Es ist ein grösseres gegenseitiges Verständnis vorhanden, was die Anforderungen im Arbeitsmarkt anbelangt.

Gleichzeitig müssen wir jedoch darauf achten, dass nicht neue Workaholic-Fallen entstehen. Aktuell lesen wir immer mehr Berichte über Arbeitgeber mit neuen Konzepten:

  • Arbeiten wann und wo man möchte!
  • Ferien wann und so viel man möchte!
  • Familiäres, freundschaftliches Umfeld mit Feierabend-Drink und Grillfest

Die ersten Testläufe zeigen: Es wird eher mehr gearbeitet, es werden eher zu wenig Ferien genommen.

Mein Fazit: „Du bist ein Workaholic!“ ist einfach und schnell gesagt. Vielleicht wäre es von Familie und Freunden eher mal angebracht nachzufragen, was die Personen wirklich dazu bringt, so viel zu arbeiten. Dieses gegenseitige Interesse wird in Zukunft immer wichtiger werden, weil wir in den nächsten Jahren sehr grosse Unterschiede in der persönlichen Positionierung erleben werden: Während sich die einen auf Teilzeit oder Frühpensionierung freuen, starten andere neu durch und gründen beispielsweise ihr eigenes Startup.

Erst wenn wir gegenseitige Akzeptanz entwickeln und die jeweiligen Lebensmodelle der anderen kennenlernen, sind wir feinfühlig genug und können abschätzen, ob jemand wirklich arbeitssüchtig und somit ein Workaholic ist. Und dann braucht es keine Weisheiten von unserer Seite, sondern professionelle Hilfe.

Ihre Petra Rohner

Wer schreibt hier?

Petra Rohner
Petra Rohner

Referentin, Seminarleiterin, Autorin, PR Consulting GmbH

für Frauen, Business, Networking, Netzwerke

Mit PR Consulting GmbH lege ich den Fokus auf die Beratung von Fach-und Führungskräften im Bewerbungsprozess, oder in Neuorientierung. Mit den Büchern "EINFLUSSREICH NETZWERKEN" vermittel ich meine Erfahrungen im beruflichen Netzwerken. Als Ambassadorin Frau und Business vernetze ich Frauen im XING.
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