Warum Rügen die beliebteste Ostseeinsel ist
Durch die Corona-Pandemie 2020/2021 wuchs die Beliebtheit der Ostsee als Urlaubsregion. Mit etwa sechs Millionen offiziell gebuchten Übernachtungen ist Rügen die beliebteste Ostseeinsel. Wer hierher kommt, möchte innehalten und Kraft für einen Richtungswechsel finden. Denn Unruhe ist heute so etwas wie ein permanenter Alarmzustand, aus dem es keine Befreiung, sondern nur Erlösung gibt. Das ist allerdings nur an einem Ort möglich, wo Menschen auch ihr inneres Gepäck ablegen können. Die westliche Kultur hat die Muße (skolé, otium) leider an den Rand gestellt. Dabei hat sie nichts mit Faulenzen zu tun. Wer sich ihr hingibt, zieht sich von der alltäglichen Welt beobachtend zurück, um dann mit erneuter Kraft wirksam und produktiv zu sein. Rügen eignet sich perfekt dafür: Die Anreise ist umweltfreundlich möglich, und es gibt viele nachhaltige Übernachtungsmöglichkeiten, Sehenswürdigkeiten und Rad- und Wanderwege. Der Rügenrundweg ist circa 275km lang und schließt alle wichtigen Eckpunkte der Insel ein. Die Küsten mit ihren Kreidefelsen, die feinsandigen Strände, die Schlösser, Parks und Herrenhäuser, die Bäderarchitektur, die Wälder und Moore sowie die schilfgesäumten Lagunen sind einzigartig.
Wer die Kreideküste Rügens kennenlernen möchte, kommt am Königsstuhl nicht vorbei, den bekanntesten der Kreidefelsen im Nationalpark Jasmund, der mit 118 Meter in die Höhe ragt. Leider gibt es durch zahlreiche Abbrüche keine Treppe mehr, die an ihm entlangführt. Schon Caspar David Friedrich (1774 bis 1840), der wichtigste Maler der deutschen Romantik, war von der Kreideküste am Königsstuhl fasziniert. Sein Gemälde "Kreidefelsen auf Rügen" entstand 1818 und zählt zu seinen berühmtesten Arbeiten. Die Kreidefelsen haben sich allerdings stark verändert, denn es gibt immer wieder Abbrüche. Neben dem Königstuhl und dem Nationalpark Jasmund gehören zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten auf Rügen der Peilturm, die Seebrücke Sellin sowie Kap Arkona, das auf der Halbinsel Wittow liegt und sich im Norden von Rügen befindet. Dort gab es in den Jahren 2014/2015 die meisten Sonnenstunden Deutschlands. Dieser Titel wurde zwar wieder abgegeben, aber die Sonne scheint dort weiterhin sehr oft. Auch Leuchttürme und Militärbunker können zum Highlight einer Fahrradtour werden. Auch die Insel Hiddensee, die gerade 16,8 Kilometer lang ist, bietet sich für Radtouren an, denn sie darf nicht mit dem Auto befahren werden.
Das zeigt der Arzt und Autor Hartmut Gill, der lange auf Rügen gelebt hat, in seinem aktuellen Buch „Rügen. Früher und heute“. Der Text- und Bildband beinhaltet zahlreiche seltene historischen Fotos und Abbildungen, Landkarten aus vier Jahrhunderten, historische Stadtansichten und Grafiken, kolorierte Holzschnitte, alte Postkarten, Schwarz-Weiß-Aufnahmen von DDR-Urlauben sowie aktuelle (Luft-)Bilder. Berichtet wird auch von der einst beschwerlichen Anfahrt, von ersten Trajektschiffen, Zug- und Flugverbindungen, vom Reisen zu Fuß oder in unbequemen Pferdewagen, von Automobilen auf holprigem Kopfsteinpflaster und vom „Rasenden Roland“. Im Fokus stehen ebenso die großen und kleine Ostseebäder. Das Ostseebad Binz ist nicht nur das größte Seebad der Insel – es bietet auch ein vielfältiges Kultur- und Veranstaltungsangebot und ist mit der Bahn zu erreichen. Neben dem fünf Kilometer langen Sandstrand ist dieser Ort in eine beeindruckende Naturlandschaft eingebunden, die sich beispielsweise vom Naturerbe-Zentrum Rügen aus erleben lässt. Das Zentrum befindet sich in Prora, dem nördlichsten Teil von Binz. Schon die Anreise mit dem Fahrrad entlang des Ufers lässt die beeindruckende Naturlandschaft erahnen.
Hartmut Gill: Rügen. Früher und heute. Hinstorff Verlag. Rostock 2022.