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Warum sich Sportler, Unternehmer und Manager vom schönsten Turnierbuch des Spätmittelalters inspirieren lassen sollten

Das Messen sportlicher Fähigkeiten und dessen Bedeutung für die politische Repräsentation sind seit je untrennbar miteinander verbunden - vom Wagenrennen der Antike bis zu den Olympischen Spielen. Allerdings haben sportliche Wettbewerbe nur selten eine höhere Eleganz und größere gesellschaftliche Bedeutung erreicht, als im ritterlichen Turnier des späten Mittelalters. Im Vergleich zur Bilderflut moderner Sportevents ist die Zahl der erhaltenen Darstellungen von Turnieren des Mittelalters sehr gering. Eine unvergleichliche und bislang nur begrenzt zugängliche Bildquelle zu ihnen ist der „Freydal“, das zwischen 1512 und 1515 entstandene Turnierbuch Kaiser Maximilians I. (1459–1519).

Die Gattung des Turnierbuches erreichte in der Epoche um 1500 ihren Höhepunkt. Damals strebte das Bürgertum der großen Handelsstädte zunehmend nach Repräsentation und Einfluss und machte darin dem Adel Konkurrenz. Das Turnier war jedoch noch immer dem Adel vorbehalten. Es galt als ritualisierte Standesübung der Ritterschaft und grenzte die adelige Gesellschaft öffentlich vom Bürgertum und Patriziat ab. „Wer ime im leben kain gedechtnus macht, der hat nach seinem tod kain gedechtnus, und demselben Menschen wird mit dem glockendon vergessen.“ Das meint: Wo man sich nicht nachhaltig an etwas erinnert, wird es rasch vergessen. Kaiser Maximilian I. wird zugesprochen, den Aufstieg der Dynastie der Habsburger zur Weltmacht eingeleitet zu haben. Dazu braucht es Visionen, Diplomatie, Entschlusskraft und: Macht. Die treffsicherste Definition davon prägte Max Weber: Er definierte sie als Fähigkeit, die eigenen Ziele auch gegen Widerstand durchzusetzen. Macht hat allerdings zwei Gesichter: Sie ist notwendig, um Regeln aufzustellen, ohne die das Faustrecht regieren würde. Doch wird sie zum Selbstzweck, kann sie zur gefährlichen Waffe gegen Andersdenkende werden.

Auch in "Game of Thrones" wird die die Frage von Macht und Moral gestellt. Die Schöpfer George R. R. Martin und die Produzenten der Serie haben die Foltermethoden und Grausamkeiten nicht erfunden. Martin sagte 2014 der „New York Times“, dass Westeros nicht Disneyland und „keineswegs düsterer oder verdorbener als unsere eigene Welt“ sei. Das hier dargestellte Grauen sei nichts im Vergleich zu dem, was in einigen Geschichtsbüchern stehe. https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/game-of-thrones-warum-ich-die-achte-staffel-nicht-schauen-werde-16140846.html Auch davon legt der Freydal Zeugnis ab.

Als einer der wichtigsten europäischen Herrscher der Neuzeit prägte Maximilian I. ein versierter Diplomat, der sich der Wirkungskraft einer positiven öffentlichen Darstellung schon früh bewusst war, die politische Landkarte des Kontinents bis weit ins 20. Jahrhundert. Er erkannte die Bedeutung des Druckens und nutzte diese Vervielfältigungs- und Marketingmöglichkeit konsequent, in dem er namhafte Künstler seiner Zeit verpflichtete. Albrecht Dürer soll ein Wandbild beendet haben, indem er auf dem Rücken eines auf dem Boden knienden Edelmanns stehend arbeitete. Die Anordnung an ihn soll von Maximilian I. erfolgt sein. https://www.habsburger.net/de

Zwischen 1512 und 1515 entstand auf Wunsch Maximilian I. ein umfangreiches illustriertes Manuskript zu 64 Wettkämpfen. Die 255 kunstvoll gold- und silbergehöhten Miniaturen waren mehr als nur eine Sammlung von Turnierszenen am Hofe der Habsburger, sondern auch ein ein sinnbildliches Epos, das die Geschichte eines unerschrockenen Menschen, der niemand anderes als er selbst war, erzählte. In Gestalt seines literarischen Alter Egos „Freydal“ kämpfte Maximilian I., „um einer Dame edlen Geblüts seine Liebe zu beweisen.“ Die Geschichte endet mit ihrer Zustimmung, ihn zu heiraten. 1477 ehelichte er Maria von Burgund in Gent. Der "Freydal" gilt als das größte und schönste Turnierbuch des Spätmittelalters. Es ist Teil des Weltdokumentenerbes der UNESCO. Erstmalig werden nun im TASCHEN Verlag die Miniaturen aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien anlässlich des 500. Todestages des großen Habsburgers vollständig mit den jeweiligen Turnierbeschreibungen und einem Essay über Macht und Medien in der Frühzeit des Buchdrucks publiziert.

Stefan Krause, Direktor der Kaiserlichen Hofjagd- und Rüstkammer des Kunsthistorischen Museums, führt mit der Geschichte der Turnierkunst in das Werk ein. Das Wort „Turnier“ leitet sich vom lateinischen Verb „tornare“ ab. In klassischer Zeit bedeutete es drechseln, später auch drehen oder wenden (vgl. frz. tourner, engl. to turn). Es bezieht sich auf die Wendung, die ein Reiter mit seinem Pferd vollführt, wenn er sich im Kampf für einen erneuten Angriff wieder in Position bringt. Auch gegenwärtig finden im Fußball, Golf, Schach und im Pferdesport Turniere statt. Diese Sportevents knüpfen dabei an die Tradition an die ritterlichen Turniere des frühen Hochmittelalters an. Das Turnier entstand im späten 11. Jahrhundert im nördlichen Frankreich zunächst als rein militärisches Training für die neu etablierte Waffenart der Lanze. Bis dahin führten berittene Krieger ihre leichten Spieße als Stoß- oder Wurfwaffe in der Hand.

„Die Lanze sollte für Jahrhunderte ein dominierender Faktor auf den Schlachtfeldern Europas bleiben und verlor erst in der Frühen Neuzeit mit dem Aufkommen der fußknechtischen Heere und mit dem Erstarken der Feuerwaffen an Bedeutung. Ein Problem beim Kampf mit der Lanze war die Koordination der mit dieser Waffe ausgestatteten Reiter. Um den Angriff in der Gruppe zu trainieren, etablierten sich inszenierte Schlachten, die aufgrund der wiederholten übungsmäßigen Wendungen der Teilnehmer in den frühen Quellen als turnamenta (lat.) oder tournois (frz.) bezeichnet werden.“ Sie waren der ideale Rahmen, um ritterliche Tapferkeit und Geschicklichkeit zur Schau zu stellen. Fürstliche Förderer erkannten ihren Wert für die höfische Repräsentation, und so wandelten sie sich zum sportlichen Wett- und Schaukampf. Das Turnier, das zu einem Schlüsselmoment des ritterlich-höfischen Lebens wurde, entstand parallel mit der Ausformung des Rittertums. Grundlegend für das ritterliche Selbstverständnis war ein Tugendsystem, das von Treue, Ehre und Tapferkeit sowie der Minne, dem höfischen Frauendienst, geprägt war. Dieser Wertekodex – der auch heute noch von vielen nachhaltigen Unternehmen genauso genannt wird - verband die gesamte Hofgesellschaft. Doch Ritterlichkeit war eine flüchtige Eigenschaft. Sie musste stets aufs Neue unter Beweis gestellt werden. Davon können auch Unternehmer und Manager lernen.

Stefan Krause weist nach, dass genau in diesem Kontext das Turnier als eine der großen Bühnen des Rittertums, eine zentrale Rolle einnahm. „Die Wettkämpfe boten dem Veranstalter eine Bühne, um sich im besten Licht zu präsentieren, was an moderne Sportevents erinnert“, so Krause. Turnierreiter mussten bei einem Lanzentreffer enormer Kraft widerstehen, die jener bei einem Zusammenstoß zweier moderner Kleinwagen bei etwa 60 km/h ähnelt. Allerdings war die Ausrüstung der Reiter auf diese entscheidenden Sekunden des Wettkampfes perfekt angepasst: „Der schiffbugartige zugespitzte Helm, der hochgezogene Sehschlitz, die Verschraubung aller Teile des Harnischs sorgten dafür, dass die biomechanischen Belastungswerte für das menschliche Gehirn bei einem Lanzentreffer weit niedriger lagen als bei einem Autounfall unserer Tage.“

Ein besonderes Verdienst von Stefan Krause ist es auch, Parallelen zur Gegenwart zu zeigen und darauf zu verweisen, dass die Faszination, die die Gefahr im Sport auf den Menschen ausübt, auch in der heutigen Erfolgs- und Wettbewerbsgesellschaft noch unverändert hoch ist: Formel 1 oder Skirennen stehen heute im Zentrum einer milliardenschweren Unterhaltungsindustrie und „fordern genauso wie einst das Turnier Verletzte und Tote.“

Freydal. Medieval Games. Das Turnierbuch Kaiser Maximilians I. / Stefan Krause / Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. TASCHEN Verlag 2019.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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