Warum wir sorgsam mit unserer Lebensenergie umgehen sollten
„Die Welt retten, Ideale verwirklichen, für andere einstehen. Wo soll diese Kraft herkommen, wenn nicht aus dem Körper?“, fragte der experimentelle Schriftsteller Christian Zippel 2014 in seinem Beitrag „Jeder kriegt sein Fett weg“ im Debatten-Magazin „The European“. Der Körper ist für ihn Komfort- und Kulturzone – erst dann wird er auch zur Kraftzone, aus der ein Mensch erwächst, der mit sich im Einklang ist. Der inneren Stabilität und Motivation als dem Bewegenden und Tragenden kommt dabei ein hoher Wert zu, weil die Gesellschaft immer komplexer und instabiler wird.
So verwischen auch die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben immer mehr. Der Zukunftsforscher Horst Opaschowski spricht deshalb auch nicht mehr von Work-Life-Balance. Übergreifende Motivation entsteht durch sinnvolles Tun und durch Qualität im gegenseitigen Umgang und im Umfeld. Deshalb sollten Kultur und Wirtschaft eine nachhaltige Energie erzeugen, um im globalen Wettbewerb die tiefgreifenden Veränderungen der Gesellschaft erfolgreich mitzugestalten.
Sozialkontakte und die Gestaltung von Beziehungsreichtum, die sich vor allem in der Pflege von Freundschaften ausdrückt, werden vor dem Hintergrund des demografischen Wandels künftig wichtiger sein als wachsender Konsum. Schon bei Aristoteles ist nachzulesen, dass die „philia“, die Freundschaft zwischen den Bürgern, eines der Grunderfordernisse eines gesunden Gemeinwesens ist. Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der memo AG, lädt ihre Energie im privaten Umfeld auf: durch Zeit mit ihrer Familie und mit Freunden. Zu Freundschaft gehören für sie gegenseitiges Vertrauen, Respekt, eine große Portion Nachsichtigkeit und der Mut, sich auf einen Menschen einzulassen. Werden diese Aspekte über einen längeren Zeitraum "missbraucht" oder sind nur einseitig, „dann geht Freundschaft verloren und kann nur schwer wieder aufgebaut werden.“ Freundschaft ist für sie ein schwer erreichbares, aber auch schnell "verlierbares" Gut.
Mit Energiezufuhr verbindet sie auch „ruhige Momente“ ganz für sich selbst, um zu reflektieren und Dinge zu überdenken. „Andererseits hole ich mir auch im beruflichen Umfeld durchaus neue Energie: Das kann durch ein erfolgreich abgeschlossenes Projekt, durch spannende und konstruktive Kontakte im Alltag oder auch durch den Besuch einer inspirierenden Veranstaltung sein.“ Mit Lebensenergie verbindet sie etwas sehr Positives: „Sie gibt (Antriebs)Kraft, ist Triebfeder für Motivation, Entschlossenheit und Mut zu Neuem.“ Ohne diese Energie würde nur wenig bis gar nichts gelingen.
Mit Energiefressern assoziiert sie beispielsweise die täglichen schlechten Nachrichten, die oft mutlos machen, aber auch Menschen, die nur an sich selbst denken oder deren Universum sich ausschließlich um sich selbst dreht, Kollegen oder Freunde im Alltag, „die dauernörgelnd Kraft entziehen“. In einem solchen Umfeld kann keine neue Energie entstehen, weil keine Energie mehr vorhanden ist und durch die Energiefresser vollständig verbraucht wurde. „Dann ist es sehr schwer, neue Energie für ein bestimmtes Projekt oder für einen neuen zwischenmenschlichen Schritt aufzubringen.“ Wenn jedoch ein "kleiner Funke" Energie vorhanden ist, kann er schon durch einen weiteren "kleinen Funken" zu einem "Brand" werden. "Für etwas brennen" bedeutet ja, eine Unmenge an Energie zur Verfügung zu haben.
Ein alltägliches Beispiel: „Die Laune am Morgen ist nicht ganz so gut, und der Bürotag läuft schlecht an. In diesem Moment kann ein nettes Wort, eine nette Geste oder ein kleines Lob Wunder vollbringen.“ Auch wenn es nicht leicht ist: Sie versucht, sich von diesen vielen "Kleinigkeiten" nicht zu sehr vereinnahmen zu lassen, was nicht immer gelingt. Dann helfen ihr "kleine Auszeiten", um Energiefresser zu ermitteln und auszuschalten.
In ihrer beruflichen Laufbahn erlebte sie es immer wieder, dass viel Energie vor allem durch "politische Befindlichkeiten" und durch die Beachtung konstruierter Hierarchien innerhalb der Unternehmen verloren geht: „Wenn ich mir jede Minute darüber Gedanken machen muss, was ich wann zu wem sagen darf oder nicht darf, dann kostet das eine Menge Energie, die durchaus sinnvoller eingesetzt werden kann. Wenn Status mehr zählt als Kompetenz und Einsatz, dann läuft etwas falsch. Das es aber auch richtig laufen kann, erlebe ich jetzt bei der memo AG: Bei uns zählt Eigenverantwortung, und es besteht ein großes Vertrauensverhältnis zwischen allen Mitarbeitern und Führungskräften. So lässt es sich leben und vor allem arbeiten.“
Der HR-Experte und Geschäftsführer solopia GmbH, Jürgen Zahn, verbindet mit Energieverlust in der Arbeitswelt Geldsorgen und Existenzängste, schwere Krankheitsfälle in der Familie und ständige Erreichbarkeit. „Unternehmen, die schlechte Planungen vorweisen, haben oft gestresste Mitarbeiter, und diese lassen es wieder an anderen Kollegen aus. Das ist eine typische Kettenreaktion. Die größten Energiekiller sind definitiv gestresste und unangenehme Vorgesetzte und Kollegen. Genauso wie eine schlechte Zeitplanung, Zeitdruck oder Angst Fehler zu machen.“ Giulia Enders schreibt in ihrem Buch „Darm mit Charme“, dass Stress vermutlich einer der wichtigsten Reize sei, die Hirn und Darm miteinander besprechen. Dies liege vor allem daran, dass unser Gehirn, wenn es ein bestimmtes Problem (wie Zeitdruck oder Ärger) fühlt, dieses Problem lösen möchte und dafür die entsprechende Energie benötigt. Diese Energie leihe sich das Gehirn dann vor allem vom Darm. Viele Menschen erleben Stress, weil Erfahrungen, die sie gemacht haben, in ihnen negative Spuren hinterlassen haben.
Jürgen Zahn empfiehlt, sich mit Menschen zu umgeben und auszutauschen, die einem gut tun. Beruflich ist es wichtig, „nicht alles so nahe an sich ran zu lassen und auch das kleine Lob, das man bekommt, anzunehmen.“ Berufliche Erfolge hält er deshalb für besonders bedeutsam, weil sie motivieren und in besonderen Stresssituationen helfen, nicht zu verzweifeln.
Die Gefahr von Stress (der englische Begriff stress bedeutet „Druck, Anspannung“ und geht auf das lateinische Verb stringere = anspannen zurück) und Burnout sinkt auch, wenn man sich bewusst entscheidet, auf Überflüssiges zu verzichten“, heißt es im Blog des Online-Weiterbildungsanbieters karriere tutor®, Das Start-up ermöglicht das Lernen von überall auf Basis des Konzepts New Work und lebt dieses Prinzip auch selbst. Startup nach New Work Methode. In vielen Kursangeboten spielt der Umgang mit Stress eine wichtige Rolle – und das aus gutem Grund, denn mittlerweile fühlt sich fast jeder dritte Angestellte häufig erschöpft und müde.
Insgesamt gaben dies in der Untersuchung des Personaldienstleisters Manpower 30 Prozent der befragten Angestellten an. Für die Studie befragte das Marktforschungsinstitut Toluna Manpower im Juni 2019 online 1004 Bundesbürger, darunter 753 Berufstätige. 17 Prozent klagten über regelmäßige Beschwerden wie Schlafstörungen sowie Nacken- oder Kopfschmerzen. Auch im Urlaub und am Wochenende können 15 Prozent nach eigenen Angaben nur schwer abschalten. Neun Prozent der befragten Berufstätigen gaben an, dass sie manchmal sogar Angst vor dem Arbeitstag haben. Als Grund identifizierte die Studie die deutsche Arbeitskultur: 16 Prozent müssen demnach oft Überstunden machen, und mehr als jeder Zehnte fühlt sich von Vorgesetzten unter Druck gesetzt. Drei Viertel der Befragten gaben aber auch an, dass sie auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf und Freizeit achten. Jeder Fünfte nimmt sich demnach bewusst Freiräume während der Arbeitszeit.
Ein Leben ohne Stress ist allerdings nicht vorstellbar, denn ohne Herausforderungen, Anstrengungen und Aktivität ist auch keine Plastizität und damit Reifung des Gehirns möglich. Zudem würden wir auch keine Belohnung unserer Ein- und Anpassung an diese Herausforderungen in Form von Glücksgefühlen erfahren. Deshalb wird zwischen akutem und chronischem Stress sowie zwischen „harmonischem“ Stress bzw. Eustress (griech: eu = wohl, gut richtig, leicht) und Dysstress, dem „schädlichen“ (griech: dys = miss-, schlecht) Stress unterschieden. Mit beiden Stressarten richtig umzugehen, auf den eigenen Körper zu hören und achten, vermitteln die Dozenten des Weiterbildungsanbieters.
Verdeutlicht wird beispielsweise im zertifizierten Kurs Selbstmanagement, wie sich Stressoren richtig erkennen lassen, und wie mit schwierigen Situationen umzugehen ist. Zudem wird vermittelt, wie sich Resilienz nachhaltig nutzen lässt. Mit den klassischen Selbstmanagement-Methoden (Pareto-Prinzip, ABC-Methode oder Eisenhower-Methode) wird vermittelt, Aufgaben zu selektieren und Zeit effektiv zu nutzen. Neue Selbstmanagement-Methoden wie Getting Things Done (GTD) sowie die Pomodoro-Technik helfen den Teilnehmern, fokussierter durch den Arbeitsalltag zu kommen. Dazu werden verschiedene Arten der Arbeitsorganisation gezeigt.
Was uns Energie entzieht:
• Interesselosigkeit und Selbstverneinung, die mit der Konzentration der gesamten Energie auf das eigene Selbst verbunden ist
• Optimierungsdruck und die Furcht, etwas zu Ende zu bringen
• narzisstische Gefühle, die sich auf die zwanghafte Frage konzentrieren, „Bin ich genug?“
• Sucht nach Anerkennung und Ansehen und das Streben nach Ruhm zum Selbstzweck.
Was uns Energie gibt:
• Durch Selbstverantwortung entsteht langfristig Selbstwirksamkeit, was bedeutet, dass wir gestaltend auf unser eigenes Erleben einzuwirken vermögen.
• Aufmerksamkeit für das innerlich Bewegende
• die Suche nach dem, was einen persönlich vitalisiert und fasziniert und der unerschütterliche Glaube daran, dass diese Faszination ihre Berechtigung hat und Sinn macht
• Nähe und Überschaubarkeit
• Vertrauen und die Möglichkeit zu einem offenen Ausdruck von Gefühlen
• der Wunsch nach Sicherheit, Ruhe und Beständigkeit
• Freundschaften, die Orientierung, Unterstützung und ein Plus an Selbstwertgefühl im Leben geben
• Gelassenheit im Umgang mit Leben und Tod.
Einfluss des äußeren Umfelds
Ein wesentlicher Aspekt, in modernen Arbeits- und Lebenswelt Energie nachhaltig fließen zu lassen, ist auch das äußere Umfeld. Nach der chinesischen Feng-Shui-Philosophie sollten Wohn- und Arbeitsräume so gestaltet werden, dass die Lebensenergie, das „Chi“, harmonisch fließt (in China gibt es kein Bürogebäude ohne Feng Shui). Ziel der Feng-Shui-Planerin Sabine Endres ist es, dass Mitarbeiter 100 Prozent ihrer Energie in die Arbeit investieren. Sie bestimmt den Punkt im Raum mit der meisten Energie. „In der Nähe sollte die Geschäftsführerin sitzen“ (impulse, 7/2014). Dann teilt sie den Raum nach der Himmelsrichtung in die sogenannten Bagua-Zonen ein. Im Südosten sind die „aufwärtsstrebenden Kräfte“ daheim – hier würde sie beispielsweise den Einkauf platzieren: „Denn da wird bei einem Händler das Geld verdient.“ Die Buchhaltung würde sie im energetisch schwachen Norden platzieren. Energieabziehende Orte sind Drucker und Archive. Da auch Ecken Energie saugen, kann beispielsweise ein Prokurist schräg zum Raum sitzen. Aus der Raummitte geht die meiste Energie hervor.“
Weiterführende Informationen:
CSR und Energiewirtschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. Verlag SpringerGabler, Berlin und Heidelberg 2019.