Warum wir unsere inneren Ressourcen nicht verbrauchen dürfen
Wir müssen besser verstehen, wie wir mit Stress und Unsicherheit umgehen, wie Mitgefühl, Toleranz und Empathie entstehen und gefördert werden können und welche Bedingungen wir für Selbstachtung und Selbstwirksamkeit benötigen. Diesen Aspekten widmet sich der Ökonom und Psychiater Prof. Stefan Brunnhuber in seinem Buch „Die Kunst der Transformation“, in dem er exemplarisch zeigt, dass der heutigen Ökonomie eine Einbettung in das „spezifisch Menschliche“ fehlt. Es geht ihm um das Zusammendenken von Lebenswissenschaften (insbesondere der Psychologie), Bewusstsein und Nachhaltigkeit.
Wer immer das Letzte gibt, handelt nicht nachhaltig
In diesem Zusammenhang verweist er auch auf den Welterschöpfungstag (Earth Overshoot Day), der nicht nur die Außenwelt betrifft, wenn es um Energieverbrauch geht: „Sie findet ebenso in der Innenwelt statt, wenn wir Bedürfnisse, Ängste und Ärger spüren.“ Energie ist für ihn ein Phänomen, das im Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Bereichen und Entwicklungen zu sehen ist: Es geht darum, auf die eigenen Ressourcen und Reserven zu achten.
Unsere Wohlfühlhormone „produzieren“ mit Bindung, Vertrauen und Wertschätzung auch gleich Energie mit. Der Energiehaushalt ermöglicht unsere Regenerationsfähigkeit – ihn nachhaltig zu pflegen, bedeutet, die Balance halten. So ist es einfacher und energiesparender, gelassen zu bleiben, als bei jedem reizenden Anlass gleich aus der Haut zu fahren. Gelassenheit ist kein Zustand der Trägheit, sondern der Harmonie und Klarheit. Wo die Gedanken schwer sind, werden auch die Gefühle schwer - und der Körper verliert aufgrund negativer Vorstellungen oder Erwartungen seine Energie.
Der Philosoph Paul Valéry beobachtete an sich selbst, dass unter den Menschen, denen er begegnete, die einen in ihm so etwas wie Energie erregten, „spontane Wärme und eine vertrauensvolle Öffnung“, die andern den gegenteiligen Effekt, der dazu führte, dass er sich verschloss, ja einschloss und entfernte.
Eine besondere Form von positiver Energie ist Freundschaft, die nach den bekannten Gesetzen der Physik niemals verloren geht. Den Satz von der Erhaltung der Energie wurde 1847 von Hermann von Helmholtz formulierte: Energien können in andere Energieformen umgewandelt, nicht jedoch vernichtet werden. 1909 publizierte der Naturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Wilhelm Ostwald das Werk „Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft“, in dem er für den bewussten Umgang mit Energie den Begriff „Lebenskunst“ gebraucht.
Wenn Energie als das Wesentliche des (Da)Seins verstanden werden kann und das Wesentliche der Energie wiederum in der Fülle von Möglichkeiten zu sehen ist, die in ihr gespeichert sind, dann ergibt sich für den Philosophen Wilhelm Schmid daraus: „Der Sinn allen Seins könnte sein, alle Möglichkeiten des Seins durchzuspielen, ohne weiteren Zweck, bis in alle Ewigkeit, ad infinitum.“ Ein anderes Wort für Energie könnte nach Ansicht des Philosophen Seele sein, von der alle Kulturen (außer der modernen) schon immer angenommen haben, dass sie unsterblich sei.
Was bedeutet das Nachdenken über unsere psychische Energie, die unserem Verhalten eine bestimmte leidenschaftliche Orientierung gibt, für das Arbeitsleben? Der Unternehmer Erich Sixt verdankt seine innere Energie beispielsweise seinen Visionen. Pläne haben ihn niemals überzeugt, weil sie Denken und Handlungsmöglichkeiten einschränken. Vieles hat er immer aus dem Bauch heraus" entschieden. Der Marketing- und Kommunikationsexperte Dr. Klaus Stallbaum verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass wir nach den Erkenntnissen der Hirnforschung sekündlich über unsere Sinne Informationen in der Größenordnung von 11 Millionen Bits wahrnehmen. „Bewusst verarbeiten wir davon 30 bis 40 Bits, also den ‚Gegenwert‘ von 3, 4 Worten. Der Rest fließt ab ins Unterbewusstsein (respektive füttert das Bauchgefühl). Das muss auch so sein, da unser Hirn unser größter Energieverbraucher ist.“ Mehr bewusste Prozesse entsprechen einem höheren Energieverbrauch.
Sogar Extremsportler wie der österreichische Bergsteiger Stefan Gatt empfehlen, mehr auf das eigene Bauchgefühl zu hören: „Die Intuition muss Grundlage für Entscheidungen sein. Denn das Unbewusste greift auf tausendmal mehr Informationen zurück, als sie der Kopf und damit die Ratio zur Verfügung haben. Der Grund: Wir nehmen unbewusst viel mehr Informationen wahr als auf bewusstem Wege." Wenn der Bauch seinem Kopf widerspricht und ihm sagt: „Tu das nicht", dann vertraut Stefan Gatt immer seinem Bauchgefühl. Sein „Survival-Handbuch Führung“ ist wie „Die Kunst der Transformation“ von Stefan Brunnhuber ein Plädoyer für persönliche Nachhaltigkeit: „Achten Sie darauf, dass Sie Ihren eigenen Energiehaushalt pflegen, die Balance halten und ein Zuviel oder Zuwenig – als Burn-out oder Bore-out – vermeiden.“
Weitere Informationen:
Stefan Brunnhuber: Die Kunst der Transformation. Wie wir lernen, die Welt zu verändern. Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016.
CSR und Energiewirtschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage, Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2019.
Alexandra Hildebrandt: Kopf oder Bauch? Wie wir heute die richtigen Entscheidungen treffen. Amazon Media EU S.à r.l. 2017.
Wilhelm Schmid: Gelassenheit. Was wir gewinnen, wenn wir älter werden. Insel Verlag Berlin 2014.
Stefan Gatt: Survival-Handbuch Führung. Aus Extremsituationen für den Berufsalltag lernen. Carl Hanser Verlag München 2016.