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Ausschnitt aus: The Walt Disney Film Archives. TASCHEN Verlag, 2016. - TASCHEN

Warum wir Walt Disneys Erbe pflegen sollten

Alle Wunder dieser Welt

In unserer unübersichtlichen Welt, die wir kaum mehr erklären können, weil wir sie nicht mehr begreifen, gibt es noch einen wundersamen Rest, der uns nicht verzweifeln lässt. Wir finden ihn überall dort, wo Gefühle und Geschichten noch Zeit haben und nicht von den nächsten Katastrophenmeldungen, Livetickern und Kurzmitteilungen hinweggefegt werden. Sie sind dort, wo unsere Sinne geschärft werden, wo noch vollständige Sätze zu finden sind und handwerkliches Können: in Büchern, die als gedruckte Wissensschätze wie eine Form des Widerstands gegen die Verrohung der Wirklichkeit anmuten.

Der Kettenraucher Walt Disney, der am 15. Dezember 1966 an den Folgen von Lungenkrebs starb, liebte Bücher, mit denen viele seiner Animationsfilme beginnen. Hier öffnen sich gewaltige Einbanddeckel, die uns Türen in eine Welt öffnen, vor der wir uns nie verschließen sollten, weil sie uns hilft, die andere besser zu verstehen und uns in ihr zurechtzufinden. Er wollte alle Wunder darstellen, die die menschliche Phantasie hervorbringen kann – und er wollte für jeden verständlich sein. Sein unerschöpfliches Erbe an Geschichten und Wissen zeigt uns, worauf es heute ankommt – und dass sich (die Wertschätzung für die) Kunst (der Illustratoren), Management und Handwerk nicht ausschließen müssen, um an einer besseren Welt zu bauen. Alles gehörte für ihn zusammen. Doch es sollte einfach und zeitlos sein – und die Menschen positiv stimmen. Er glaubte, dass jemand, der ein Bett baut mit klaren Linien, in dem man gut schlafen kann, mehr von einem Künstler hat als jemand, „der ein Bild malt, das einem Albträume bereitet“.

Kulturschätze der Vielfalt

Disneys oberstes Credo war Vielfalt. In seinen Werken plädiert er für ein tolerantes Miteinander und Nebeneinander verschiedener Kunststile und des individuellen Ausdrucks. Eine beeindruckende Auswahl seines kreativen Erbes findet sich in der englischen Originalausgabe „The Walt Disney Film Archives. The Animated Movies 1921 – 1968“, das von Daniel Kothenschulte herausgegeben wurde. Es enthält rund 1500 Abbildungen, Essays von zahlreichen Disney-Spezialisten und die deutsche Übersetzung in einem Beiheft. Im Fokus stehen einzelne Spielfilme, die die Disney-Studios von den 30er Jahren an produzierten und Weltruhm erlangten, darunter „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ von 1937 und das „Dschungelbuch“ aus dem Jahre 1967. Die Essays zu den Filmproduktionen geben Einblicke in den Schaffensprozess der Disney Studios. Enthalten sind u.a. Auszüge aus den Produktionskonferenzen. Ein wahrer Kulturschatz sind die Illustrationen und Fotos von den Produktionsteams, die während der Entstehungszeit der Filme aufgenommen wurden, aber auch handgezeichnete Entwürfe. Disney kümmerte sich um jedes Detail und konnte niemals stillstehen. Von dieser inneren Bewegung, die ihn nie zufrieden machte, legt dieser Band ebenfalls Zeugnis ab. Immer musste er sich weiterentwickeln und experimentieren.

Leben heißt, die Grenzen des Machbaren verschieben

Walter Elias Disney, der 1901 in Chicago als Sohn eines Zimmermanns kanadisch-irischer Abstammung geboren wurde, wuchs er im ländlichen Missouri auf. Nach dem Verlust der elterlichen Farm mussten er und seine vier Geschwister, früh lernen, eigenes Geld zu verdienen: Als Neunjähriger jobbte er als Zeitungsbote. Sein Zeichentalent kam ihm zugute, als er Cartoons für fünf Cent an einen Landarzt aus der Nachbarschaft verkaufte. Dabei reifte in ihm die Idee, Kunst und Kommerz nachhaltig zu verbinden. Disney belegte Kurse an der Kunstakademie von Kansas, entwarf Comics für das US-Army Magazin „Stars and Stripes“, entwarf Werbeanzeigen, arbeitete an Theaterprogrammen und Katalogen mit. Mit 40 Dollar in der Tasche reiste er nach Hollywood, wo er sich eine Kamera lieh und in der Garage (vieles erinnert auch an den Werdegang an Steve Jobs) seines Onkels bastelte. Das Ergebnis war die Trickserie „Alice in Cartoonland.“ 1923 wurden die Disney-Studios gegründet. „Es macht Spaß, das Unmögliche zu tun“, sagte Disney, der die „Grenzen des Machbaren“ immer wieder verrückte. So konnte in „Steamboat Willie“ (1928) Micky Maus bereits sprechen. In dieser Zeit feierte er erste Triumphe, zunächst mit Zeichentrickfiguren, dann auch mit Spielfilmen und Disneyworld. Als sein Bruder Roy 1971 bei der Eröffnung gefragt wurde, ob er es sehr bedauern würde, dass sein jüngerer Bruder den ihm gewidmeten Park nicht mit eigenen Augen sehen könne, meinte er, dass Walt den Park bereits in seinem Geist klar gesehen hat, bevor er stand.

Lebendiges Erbe

Walt Disney konnte Grenzen ständig verschieben, weil er selbst ein Grenzgänger war, der den Träumer, Realisten und Kritiker in sich vereinte. Er schöpfte aus seinen Träumen, die er dann mit kritischem Blick in Realität umwandelte. Der von Walt Disney geprägte Begriff Imagineering steht für ihre Koordination. Ein Träumer ist ohne einen Realisten nicht in der Lage, Ideen einen konkreten Ausdruck zu geben. Kritiker und Träumer verfangen sich ohne den Realisten in unendlichen Konflikten. Träumer und Realist können durchaus gemeinsam Dinge hervorbringen, doch sie sind ohne den Blick eines Kritikers nicht unbedingt brauchbar. Der Kritiker hilft bei der Beurteilung und Verbesserung. Wenn sich heute die großen Geschichten und Gefühle von Walt Disney mit unseren Gedanken und unserem Engagement verbinden, zeigt sich, wie lebendig und nachhaltig sein Erbe heute ist.

Weiterführende Literatur:

The Walt Disney Film Archives. The Animated Movies 1921 – 1968. Herausgegeben von Daniel Kothenschulte. Taschen Verlag, Köln 2016.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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